Lorsch. In Lorsch gibt es unter anderem eine Carl-Benz-Straße, man kann in der Goethestraße wohnen oder eine Adresse in der Marie-Curie-Straße haben. Ob in die Klosterstadt, die sich durchaus mit persönlichen Besuchen von allerlei prominenten Persönlichkeiten schmücken kann – wie Karl dem Großen, Papst Leo IX oder Kanzler Konrad Adenauer – auch der geniale Auto-Erfinder, der weltberühmte Dichter oder die bekannte Naturwissenschaftlerin jemals einen Fuß gesetzt haben, ist noch unerforscht. Sicher aber ist, dass es eine Reihe von Straßennamen gibt, die nach Personen benannt sind, die für Lorsch tatsächlich eine besondere Bedeutung hatten. Zum Beispiel gibt es in Lorsch einen Pfarrer-Heinstadt-Weg.
Auf diesem Weg, benannt nach einem mutigen und sozial engagierten Geistlichen, war jeder Lorscher schon unterwegs. Er ist autofrei und viel frequentiert, denn er liegt im Zentrum und führt zu wichtigen Adressen wie etwa dem Stadthaus, der katholischen Kirche St. Nazarius und dem gleichnamigen katholischen Kindergarten. Eine kleine Hinweistafel ist dem Straßenschild beigefügt. Sie informiert Passanten darüber, dass Heinstadt einst Pfarrer in Lorsch war und ihm die Ehrenbürgerwürde verliehen wurde.
Genau 75 Jahre liegt diese Ehrung jetzt zurück. Heinstadt war 1946 erst der zweite Ehrenbürger in Lorsch, dessen Wirken mit dieser hohen Auszeichnung gewürdigt wurde. Die bis dahin erste Ehrenbürgerschaft ging – mit der sehr langen Zeitspanne von fast 100 Jahren zuvor – 1844 an den Oberforstmeister Friedrich Wilhelm Freiherr von Dörnberg zu Hausen. Heinstadt allerdings hatte Schlimmes zu erleiden. Er wurde in der NS-Zeit schikaniert.
Die Zahl der Ehrenbürger beträgt inzwischen sieben. Im „Lorsch“-Buch, das der Heimat- und Kulturverein 2014 anlässlich des Klosterjubiläums herausgegeben hat, skizziert der Vereinsvorsitzende Reinhard Diehl die sieben Männer in kurzen Porträts. Heinstadt, geboren am 19. August 1872 im hessischen Oppertshofen und gestorben am 8. April 1956 in Lorsch, ist unter anderem wegen seines Mutes gegenüber den Nationalsozialisten im Gedächtnis geblieben.
„1929 verhinderte er durch sein couragiertes Auftreten die Teilnahme Hitlers an einer Beerdigung eines beim Nürnberger Parteitag umgekommenen Lorscher Parteigenossen“, schreibt Reinhard Diehl. 1934 wurde der Lorscher Pfarrer wegen „Kanzelmissbrauch“ im Rahmen der Gesetzgebung gegen „heimtückische Angriffe auf Staat und Partei“ verhaftet.
Mit Verboten kaltgestellt
Heinstadt wurde zwar freigesprochen, hatte aber trotzdem weiter unter Repressalien zu leiden. Der Seelsorger, der im Dezember 1933 vom Mainzer Bischof Ludwig Maria Hugo zum Geistlichen Rat ernannt worden war, erhielt Unterrichtsverbot. Zudem wurde er mit einem Aufenthaltsverbot belegt und musste seine Gemeinde 1934 verlassen.
Betrachtet man alte Fotos aus den 1930er und 1940er Jahren, dann kann man auch heute noch erahnen, wie viel Entschlossenheit, Rückgrat und Zivilcourage Pfarrer Heinstadt wohl ausgezeichnet haben, der den Nationalsozialismus als unchristlich ablehnte und trotz Einschüchterungen und andauernder Drangsal durch die neuen Machthaber lange an seinem Widerstand gegen den immer stärker werdenden Gegner unvermindert festhielt. Schließlich waren Hakenkreuze auch im katholischen Lorsch zu sehen und viele Straßen trugen auch dort, wie damals fast allerorten üblich, Namen, die führende Nationalsozialisten würdigten.
Adolf-Hitler-Straße beispielsweise hieß die spätere Friedrich-Ebert-Straße, „Horst-Wessel-Straße“ die heutige Uhlandstraße, Rudolf-Heß-Straße die Kettelerstraße und als „Straße der SA“ wurde die heutige Oberstraße benannt.
Reinhard Diehl erinnert in seinem Kapitel über die Lorscher Ehrenbürger daran, dass in die Amtszeit von Pfarrer Heinstadt auch wichtige soziale Projekte fielen. In den Jahren 1908 bis 1910 wurde zum Beispiel das katholische Krankenhaus erbaut, das 1910 eingeweiht wurde.
1929 folgte der Bau des katholischen Kindergartens. Der Kindergarten St. Nazarius ist heute die älteste Kindertageseinrichtung in Lorsch.
1929 wurde außerdem der erste Spatenstich zur Erweiterung der Pfarrkirche gesetzt.
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