Lorsch. In Lorsch gibt es Feste, die es sonst nirgendwo gibt. In der Adventszeit zum Beispiel einen Weihnachtsmarkt, der als „Blaues Weihnachtswunder“ weit über die Grenzen der Kleinstadt große Beachtung findet und viele begeisterte Besucher anzieht. Dass sich die Lorscher Stadtfeste einen hervorragenden Ruf erarbeitet haben, ist zuvorderst Gabi Dewald und ihrem Team zu verdanken. Als Kulturamtschefin gehörte es vor elf Jahren zu ihren ersten Aufgaben, die Stadtfeste wertiger zu machen und ihnen einen Lorscher Charakter zu verleihen. Das ist gelungen. Jetzt allerdings steht eine Zäsur an. Denn Gabi Dewald hört auf.
Ende der Woche wird sich die 65-Jährige offiziell in den Ruhestand verabschieden. Die kreative Lorscherin hat sich für die erste Zeit ihrer Rente bereits neue Herausforderungen gesetzt – weit ab von ihrer Heimatstadt. Erst einmal will sie einige Monate auf einer Alm verbringen. „Ich liebe diese Landschaft“, schwärmt sie. Ein Almsommer als Sennerin sei ein Kindheitstraum, den sie sich – „wann, wenn nicht jetzt?“ – zu erfüllen gedenke. Und der Geruch von Kuhmist und Gras sei „toll“, erklärt Gabi Dewald: „Ich freue mich drauf.“
Kritik an „Schlumpf-Weihnacht“
Voller Tatendrang legte sie in Lorsch auch als erste Kulturamtschefin los. Zuvor gab es nur eine Kulturabteilung – und nicht jeder in Lorsch war überzeugt, dass die Stadt von mehr Kulturarbeit profitieren werde. Mit vielen ihrer originellen Ideen stieß die Quereinsteigerin durchaus zunächst auf Skepsis. Das „Blaue Weihnachtswunder“ sei von manchem als „Schlumpf-Weihnacht“ abgelehnt worden. Und an den Buden, die mehrheitlich in blauer Farbe aufgestellt werden sollten, fand sich ein „Schmähgedicht“, erzählt Dewald.
Sie war aber sicher, dass ihr Konzept richtig ist. Nach der Devise, „bei Gegenwind Standvermögen“ zu zeigen, kämpfte sie für die Umwandlung eines normalen Weihnachtsmarkts, wie er überall zu finden ist, in das neue Lorscher Weihnachtswunder – und gewann. Der inzwischen charakteristische Lorscher Markt mit besonderem Charme erhält stets sehr gute Noten.
Auch die Aktion Hoftorgedichte stieß anfangs auf Vorbehalte. Was hat man denn davon, wenn man ein Gedicht an sein Hoftor heftet? Womöglich nur Ärger oder gar ein beschädigtes Tor? Dewald warb unbeirrt für diese Art der Lyrik-Vermittlung und erreichte ihr Ziel. Die Gedichte bereiten nicht nur unzähligen Passanten Freude. „Heute rufen Leute im Kulturamt an und wollen ausdrücklich, dass ein Gedicht bei ihnen angebracht wird“, sagt sie.
Tabakkerb war nicht zu machen
Nicht jede Initiative lief so, wie sie sich das gewünscht hätte. Die Kerb dauerhaft zu einer Tabakkerb umzugestalten, das war mit den Lorschern nicht zu machen. Solche Überlappung eines im Kern religiösen Festes durch ein Label, das nichts mit der Kirche zu tun habe, verletzte die Gefühle vieler Gläubiger, hatten etwa Katholiken von St. Nazarius kritisiert. Der Protest in Lorsch war groß, zumal auf der Hauptbühne mehrfach auf kubanische Musik gesetzt wurde. Nach zwei Jahren ruderte der Magistrat zurück, entschied, das Fest wieder als Kerb zu bewerben. Einen Kompromiss gab es jedoch. Gefeiert wird seit 2016 unter dem Titel „Lorscher Kerb mit Tabakfest“.
Bald das erste Johannisfest nach dem neuen Konzept?
„Es wird sehr gut auch ohne mich gehen“, ist die scheidende Kulturamtschefin Gabi Dewald mit Blick auf das künftige Programm in Lorsch überzeugt. Die Stadtfeste und beliebten Großveranstaltungen sollen nach den Einschränkungen der Corona-Zeit möglichst bald wieder im fast gewohnten Umfang stattfinden können.
Auftakt ist der Frühlingsmarkt mit Bienen- und Dichterfest sowie den Pfingstrosentagen im Mai. Dewald erinnert aber auch an das mehrtägige Birkengarten-Festival mit abwechslungsreichem Bühnenprogramm, das im Sommer ein Treffpunkt für unzählige junge Familien ist, sowie an die Rathaus-Konzerte oder die Wiederkehr der „Lese-Stadt“ mit Tausenden Büchern zum ausgiebigen Schmökern auf dem Benediktinerplatz.
Feuerwerk, aber kein Festzelt mehr
Eine Neuauflage wird von vielen Lorschern für das Johannisfest erhofft, weiß Dewald. Die Art, wie das Volksfest gefeiert wurde, sprach bekanntlich zuvor viele nicht mehr an, es gab Besucherrückgänge. Nachdem das Johannisfest zudem zwei Jahre wegen Corona ganz ausfiel, soll im Juni möglichst das neue Johannisfest zu erleben sein. Wichtigste Änderung: es wird kein Festzelt mehr geben. Das große Feuerwerk zum Finale aber soll bleiben. sch
Marketingmäßig wäre die Tabakkerb die bessere Lösung gewesen, meint die Kulturamtschefin weiterhin. Als Ort für Tabakanbau und Zigarrenproduktion hat Lorsch schließlich ein Alleinstellungsmerkmal, das die Herausstellung lohnt. Die gute Nachfrage nach der inzwischen wieder produzierten „Lorsa Brasil“ und die vielfache Anerkennung für ehrenamtliche Tabakprojekte unterstreichen das Interesse.
Von der Tabakkerb einmal abgesehen hätten die Lorscher „fast alles mitgemacht“, freut sich Dewald über viele Akzente. Der Frühlingsmarkt, der ums Bienen- und Dichterfest und um Päonientage erweitert wurde, gehört jedenfalls genauso zu ihren Erfolgsgeschichten wie die Kulturarbeit in der Corona-Krise.
Kultur auch in der Corona-Krise
In der Pandemie lief allerorten fast nichts mehr – in Lorsch dagegen wurde unter anderem ein „Sommer-Park“ auf die Beine gestellt, der über viele Wochen ein eintrittsfreies Kulturangebot im Stadtzentrum ermöglichte und von vielen Bergsträßern gern und dankbar angenommen wurde.
Ob die „Leseschwarm“-Reihe oder die Rathauskonzerte unter dem Motto „Drei von hier“ – sie habe Zugänge zu Kultur erleichtern, Interesse wecken, Beteiligung ermöglichen wollen, beschreibt Dewald ihren Arbeitsansatz. Handgemachte, authentische Veranstaltungen, die für jeden offen sind, habe sie mit ihrem Team angestrebt. Schon weil Lorsch mit dem Kloster eine Welterbestadt ist, sei es der Anspruch, trotzdem Qualität stets hoch zu halten.
Die Arbeit als Chefin des Kultur-und Touristikamtes hat Dewald Spaß gemacht, die zuvor als Chefredakteurin ein Keramik-Magazin betreute und als Pressereferentin für das Porzellanmuseum im fränkischen Selb tätig sowie viel im Ausland unterwegs war. Sie sei dankbar dafür, dass so viel umgesetzt werden konnte.
Die Äcker in Lorsch seien nun bestellt und bewässert, sagt die Mutter eines erwachsenen Sohnes. Die Lorscher und ihre Gäste, die sich daran gewöhnt haben, dass ihnen ein üppiges und besonderes Kulturprogramm geboten wird, müssten auch künftig nicht Verzicht üben. Die Arbeit werde vom bewährten Team fortgeführt und bald durch eine junge Nachfolgerin ergänzt, die Dewald als ihre „Wunschnachfolgerin“ bezeichnet.
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