Lorsch. Wer hat schon einmal nachgeschaut, wo die Jacke produziert wurde, die er morgens überzieht? Sechstklässler der Werner-von-Siemens-Schule wissen jetzt, wo ihre Kleidungsstücke ursprünglich herkommen. Sie haben nämlich die Etiketten studiert. Das war die erste Aufgabe, die sie zu erledigen hatten, als sie am Donnerstagvormittag Lauresham besuchten.
Ergebnis: Es handelte sich fast durchweg um Produktionsstätten in Asien. Anschließend konnten die Schüler einen Einblick gewinnen, wo und wie die Kleidung für Lorscher früher entstand, in der Zeit des Frühen Mittelalters. Unter der Regie der Museumspädagogen Florian Saum und Anna Hennings konnten sie auch selbst bei der Produktion aktiv werden – und die Fertigung ist nicht so einfach. Das kann jeder erfahren, der zum Beispiel schon einmal versucht hat, selbst Wolle zu spinnen.
Jugendliche der Haupt- und Realschule erkunden Lauresham
Es gibt nicht viele Menschen in Deutschland, die eine Unesco-Welterbestätte vor der Haustür haben. In unmittelbarer Nähe einer so bedeutenden Stätte zu leben, ist eine Besonderheit – und ein bisschen auch Verpflichtung, sich damit auseinanderzusetzen. In Lorsch wird darauf geachtet, dass jedes Kind zumindest im Grundschulalter einmal persönlich das Klostergelände kennenlernt und etwas von der bedeutenden Historie seines Wohnortes erfährt.
Im vorigen Jahr haben Wingertsbergschule und Welterbestätte sogar eine offizielle Kooperationsvereinbarung geschlossen, die darauf abzielt, das Kloster auch als Thema in den Unterricht zu integrieren. Lorscher Grundschüler haben, um das Mittelalter für Kinder heute verständlich zu machen, unter anderem einen Audioguide namens „Museumslauscher“ produziert. Auch mit der zweiten Lorscher Schule, der Werner-von-Siemens-Schule könnte es künftig einen stärkeren Austausch geben.
Ein Projekt startete in dieser Woche mit Jugendlichen der Haupt- und Realschule. Alle vier sechsten Klassen werden dabei das Experimentalarchäologische Freilichtlabor Lauresham erkunden. Den Starttermin übernahmen die Hauptschüler, die am Donnerstag gemeinsam mit ihrem Lehrer Jannik Ehrenfels einen Unterrichtstag im Klosterfeld verbrachten.
„Wie wir vom Mittelalter für heute lernen können“ lautete ein Schwerpunkt des Projekts. Unter anderem ging es um den Wert von Nutztieren, die Wertschätzung von Kleidung und aktuelle Fragen der Nachhaltigkeit.
Wären die Siemens-Schüler zur Karolingerzeit geboren worden, in der das Kloster Lorsch entstand, dann hätten sie Kleidung von Bauernhöfen am Ort getragen, erklärte Florian Saum. Die Gewänder, Kittel und Beinlinge mussten zumeist in Eigenarbeit gefertigt werden. Wolle, Flachs und Leinen standen zur Verfügung.
Keine Freude an kratziger Wolle
Kratzige Wollkleidung tragen zu müssen, stellten sich die Schüler als alles andere als angenehm vor. Die Menschen damals werden aber vor allem froh gewesen sein, sich gegen Kälte schützen zu können. Gegen kratzige Wolle half idealerweise Unterkleidung aus Leinen.
In Lauresham wurde zunächst Station bei den dort lebenden Schafen gemacht. Es sind Vertreter der alten Rasse „Gotländisches Guteschaf“, die sich von den Besuchern nicht stören ließen. Besonders gefielen die kleinen Lämmer, die übers Gelände staksten. Kontakt mit Schafwolle stand nach einem kurzen Abstecher ins Schäferhaus anschließend im Webhaus an. In die Körbe mit Vliesen wollten aber die wenigsten Schüler greifen, denn die Wolle beinhaltete noch einiges an Fett. „Bäh“, schüttelte sich mancher.
Das Lanolin jedoch ermöglicht es den Tieren, auch bei Dauerregen draußen zu sein, ohne bis auf die Haut durchnässt zu werden. Das Wollfett wird von vielen Menschen auch heute noch für die Hautpflege vor allem der Hände genutzt, erläuterte Saum. Auch in der Kosmetikproduktion wird es geschätzt. Wer es aber nicht mag, kann es einfach mit Seife abwaschen, beruhigte er.
Faden reißt immer wieder
Dann bekam jeder ein kleines Stück Wolle und eine Handspindel und durfte nach der Anleitung des Museumspädagogen probieren, aus den Fasern einen Faden zu gewinnen. Meist riss dieser schon nach wenigen Zentimetern oder die sogenannte „Fallspindel“ fiel zu Boden. „Es ist normal, dass man anfangs viel Frust erlebt“, erklärte Florian Saum. Es ist Übung und Fingerfertigkeit für die alte Handwerkskunst erforderlich, um den Faden gerade zu halten und schnell im Uhrzeigersinn zu drehen – und viel Ausdauer und Geduld. Stillhaltenkönnen muss man noch dazu.
Spinnräder, an denen Wollfäden hergestellt werden konnten, wurden erst viel später erfunden. In der Karolingerzeit gab es nur die einfache Handspindel und keine Alternative zur mühsamen und zeitaufwändigen Textilarbeit. „Ihr schlagt euch gut“, lobte Museumspädagoge Saum die Siemens-Schüler für erste Erfolge.
Im Laufe des Unterrichtstages im Lorscher Freilichtlabor konnten die Schüler, aufgeteilt in zwei Gruppen, noch weitere Häuser im Herrenhof Lauresham sowie Werkzeuge und Produkte des Frühmittelalters kennenlernen. Auch Knochen, Felle und Wachs waren wertvoll und wurden verarbeitet. In einem Raum des Besucherinformationszentrums wurden dann gemeinsam Lederbeutel hergestellt.
Im Mai kommen die weiteren der insgesamt vier sechsten Klassen der Siemens-Schule zu Projekten nach Lauresham. Initiiert hat den Austausch der Verein zur Förderung der Welterbestätte Kloster Lorsch, der vormals unter dem Namen Kuratorium Kloster Lorsch bekannt war. Der Förderverein hat unter anderem Materialkosten übernommen.
Einmalig soll die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Realschule und Welterbestätte nicht bleiben. In welcher Form sie in den kommenden Jahren fortgeführt wird, ist noch nicht detailliert entschieden. Eine Menge gelernt haben die Jugendlichen beim Besuch auf jeden Fall. Im Werkunterricht an der „Werner“ wird zwar ebenfalls viel Praktisches gefertigt, derzeit zum Beispiel Schlüsselbretter. Mit Wollespinnen haben sich die Schüler aber noch nie beschäftigt. Im Werkunterricht ist üblicherweise Holz das meistverwendete Material.
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