Kriegsende

Amerika und Deutschland: Wie aus Feinden Freunde wurden

Der Bensheimer Wolfram Ziegler, Jahrgang 1937, erinnert sich an die letzten Kriegstage und an den Einmarsch der Amerikaner.

Von 
Wolfram Ziegler
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Bensheim. Was wir gerade erleben, ist wieder Krieg in Europa und offenbar das Ende einer Freundschaft zu den USA. Ich dagegen habe deren Anfang erlebt und was wachsend zu verlässlichen Beziehungen mit Amerika geführt hat. Deshalb fühle ich mich dazu aufgerufen, aus meinen Erinnerungen zu berichten.

Der Zweite Weltkrieg war für uns Deutsche bereits sichtbar klar verloren. Aber dies auszusprechen, konnte das Leben kosten. Mannheim, Worms waren durch Fliegerangriffe der Alliierten bereits sehr zerstört. Darmstadt im September 1944 ausgebrannt. In Orten unserer Umgebung wurden die „Ausgebombten“ untergebracht, teils bei Verwandten oder Fremden. Bis in die Tage des März 1945 flüchteten Menschen auf der Straße vor dem Beschuss durch amerikanische Tiefflieger, die es auch auf Menschen bei der Feldarbeit abgesehen hatten.

Amerikanische Armeen hatten am 25. und 26. März den Rhein überquert und näherten sich unserer Gegend. Wo sich deutscher Widerstand zeigte, kam es zu Kämpfen. Ein Tag vor dem Einmarsch der Amerikaner wurde Bensheims Altstadt in Brand gesetzt, weil von dort eine Flakstation Tiefflieger beschossen hatte. Als am 26. März der Vormarsch der 7. Amerikanischen Armee in Orten um Großhausen durch Reste der Wehrmacht aufgehalten wurde, bombardierten amerikanische Jagdflieger daraufhin die beiden Orte Hausen. Es gab Brände, Soldaten und acht Zivilisten verloren ihr Leben. Die Amerikaner waren unsere Feinde. Erstaunlich, wie schnell sich das ändern sollte.

Angst hatten auch junge deutschen Soldaten, die sehr wohl ahnten, wie es um ihre geringen Überlebenschancen in Kämpfen mit der feindlichen Übermacht stand. Wer desertierte und erwischt wurde, überlebte nicht. Auch in Bensheim und in Leeheim wurden noch kurz vorher junge Soldaten und Zivilisten erschossen. Französische Kriegsgefangene, die bei Landwirten oder Gewerbetreibenden in Auerbach Zwangsarbeit leisten mussten, hatten Angst, das Kriegsende nicht zu überleben. Wohl hatten auch sie gehört, dass die Amerikaner über den Rhein gekommen sein sollten.

Einerseits Freude über diese Gerüchte, aber was hatte die mörderische SS noch mit ihnen vor? Angst hatten auch die verschleppten jungen Griechen, die, von SS-Wachen gefangen gehalten, im Hochstädter Bergwerk für einen Rüstungsbetrieb aus Darmstadt schuften mussten. Sie wurden ab 23. März auf einen Todesmarsch geschickt. Nur zwei Griechen entkamen zuvor noch in Auerbach. Selbst die braunen Funktionsträger und „Schergen des Dritten Reichs“ dürften Angst vor der Rache heranrückender feindlichen Armeen gehabt haben. Alle Bevölkerung hatte Angst vor dem Einmarsch. Sollte der deutsche Widerstand fortdauern; könnte es auch Auerbach so ergehen wie Bensheim und den Orten im Ried. Wie konnte man sich schützen?

"Sichtbarer Zusammenbruch des Dritten Reiches"

Am 27. März hielt sich meine Mutter Käte Ziegler mit mir im Haus des Großvaters auf. Dieses Haus im Mühltal in Auerbach hatte aber keinen Keller. Weil amerikanische Artillerie das Ried beschoss, hatte sich meine Mutter mit mir in der folgenden Nacht im Burgwald versteckt, um uns vor Granaten zu schützen. Wir verbrachten diese Nacht auf dem Waldboden. Nach ungewissen Stunden wurde es ruhig. Wir machten uns im Morgengrauen des 28. März auf den Weg nach Hause. Wir kamen aber nur bis zur Wiemers Mühle im Hochstädter Tal, damals ein beliebtes Ausflugslokal mit einem Felsenkeller. Dort hatten sich auch andere Menschen versteckt. Noch kurz zuvor, etwa gegen 7 Uhr, wurden wir von einem einsamen Kettenfahrzeug der Wehrmacht aufgehalten. Auf Befehl erklärten wir ahnungslos den Weg durch den Burgwald zum Melibokus. Es war das Sprengkommando, das den stolzen Turm auf dem Berg zerstörte. Aber das konnten wir erst später erfahren. Dann kamen uns erste Jeeps amerikanischer Truppen der 7. Armee entgegen.

Mit erhobenen Händen mussten wir uns bei der Mühle an die Wand stellen. Ein bewaffneter Amerikaner hielt uns mit einer Waffe in Schach, bis die Gebäude nach Soldaten durchsucht worden waren. Wir konnten es nicht glauben, so glimpflich davon gekommen zu sein. Erleichtert und mutig machte sich Mutter mit mir weiter auf den Heimweg, während uns schier endlos amerikanische Soldaten in Schützenreihen oder in Jeeps entgegenkamen. Vielleicht aus Angst oder aus Verlegenheit sprach meine Mutter einen Sanitäter an, der seine Truppen begleitete. Als er direkt auf uns zukam, fragte sie: „War will be over now?“ „No, it will beginn!“ war seine knappe Antwort. Klar, nur für uns war der Krieg hier vielleicht zu Ende, nicht aber für diese jungen Amerikaner. Bis zur Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 mussten noch viele Menschen ihr Leben verlieren.

Ich behalte diesen Tag als sichtbaren Zusammenbruchs des Dritten Reiches im Gedächtnis. Mit Durchhalte-Parolen an Mauern und Hauswände gepinselt, war Widerstand und Durchhalten bis zur letzten Minute gefordert. Doch die Parolen des Wahnsinns wie „Volk ans Gewehr“! „Lieber tot als Sklave“ blieben ohne Wirkung.

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Wir waren einfach nur froh, überlebt zu haben. Ob unser Papa Otto Ziegler auch dieses Glück hatte, wussten wir noch nicht. Über seinen Verbleib als Frontsoldat gab es keine Nachricht. Zwar wurden braune Funktionsträger von ihren Posten entfernt, aber sonst geschah fast nichts. Für wenige Wochen verloren einige Bürger in Auerbach zunächst ihre Häuser an die Besatzungsmacht. Erst in späteren Verfahren vor Spruchkammern gab es Urteile gegen Aktive des Regimes, die Mehrzahl wurde als Mitläufern entlastet.

Bereits im September 1945 verkündete der US-Oberkommandierende Dwight D. Eisenhower in Proklamationen die Existenz seiner Militärregierung. Keiner hatte mit so viel Nachsicht und Vorsorge nach all dem schlimmen Kriegsgeschehen rechnen können. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Kohle für die Bevölkerung in der amerikanischen Besatzungszone wurde somit sichergestellt. Kommunale Verwaltung wurde aufgebaut und zivile Ordnung geschaffen. In Schulen und im Allgemeinen folgte ein Um-Erziehungsprogramm (reeducation). 1948 wurde ein Wirtschafts- und Kreditplan entwickelt, der wesentlich zum Motor des Wiederaufbaus wurde.

Lebensmittel waren knapp und rationiert, die gab es auf Lebensmittelkarten. Der Unterernährung der Kinder und Jugendlichen beugte man durch eine tägliche warme Mahlzeit in Schulen vor. Von dieser „Schulspeisung“ habe ich selbst profitiert und bin den Spendern in den USA dafür dankbar. Alles trug rasch dazu bei, das Vertrauen zwischen Bevölkerung und Besatzungsmacht zu normalisieren. Unglaublich schnell wurden so aus Feinden nun Freunde. Das zeigte sich 1948 bei der Luftbrücke in die durch Russland blockierte Stadt Berlin. Es war wohl die Basis der später gewachsenen transatlantischen Freundschaft, die heute infrage gestellt ist.

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