Vortrag

Die Weschnitz überflutete über Jahrhunderte Felder und Straßen

Klaus Jäger referierte bei den Senioren von Sankt Nazarius über die Geschichte des Flüsschens

Von 
Norbert Weinbach
Lesedauer: 

Lorsch. Über die Geschichte der Weschnitz referierte kürzlich der Lorscher Ehrenbürgermeister Klaus Jäger bei den Senioren von St. Nazarius. In seinem durch zahlreichen Bilder aufgelockerten Vortrag ging Klaus Jäger auch auf die Belange der Natur entlang des Flüsschens ein und wie sich diese verändert hat.

Die Weschnitz entspringt bei Hammelbach im Odenwald und fließt in manchen Abschnitten als eine Art Wildbach über 23 Kilometer und 360 Höhenmeter bis Weinheim. Die Gesamtlänge beträgt 58,9 Kilometer.

Die Weschnitz wird offiziell erstmals im Zusammenhang mit der Lorscher Klostergründung 764 urkundlich erwähnt. Im Lorscher Codex, dem historischen Urkundenbuch der Region, wird sie als „Wisgoz“ bezeichnet. Dieser Begriff wird abgeleitet aus dem keltischen Wort „visa“ (fließen) und dem germanischen Wort „giozo“ (Bach).

Mehr zum Thema

Weschnitz

Bei Lorsch wurde die erste Meldestufe für Hochwasser erreicht

Veröffentlicht
Von
Jörg Keller
Mehr erfahren
Weschnitz

Für die Deichsanierung ist eine Bauphase von vier Jahren geplant

Veröffentlicht
Von
Thomas Tritsch
Mehr erfahren
Lorsch

Vogelschützer laden zur Exkursion an der Weschnitzinsel ein

Veröffentlicht
Von
red
Mehr erfahren

Unterschieden werden die Alte und die Neue Weschnitz. Die Alte Weschnitz ist der ursprüngliche Fluss, der in der Ebene im ehemaligen Bett des Rheinrandflusses und des Neckars mäandrierte. Die Neue Weschnitz wurde auf Veranlassung von Kurfürst Ludwig V. zwischen 1535 und 1545 ab Weinheim parallel zum natürlichen Flussbett gegraben, da das Grundwasser im Ried sehr hoch stand und es bei Starkregen und der Schneeschmelze in der gesamten Weschnitzniederung ständig zu Überschwemmungen kam. In Lorsch war besonders der südliche und östliche Teil der Gemarkung betroffen. In Einhausen standen ganze Straßen unter Wasser. Die Agrarflächen in dieser Region waren aufgrund der Überschwemmungen nur schwer zu bewirtschaften und es gab Ernteausfälle.

Trockenlegung von Äckern

Die Neue Weschnitz ermöglichte ein rascheres Abfließen des Oberflächenwassers und begünstigte die Trockenlegung der Agrarflächen. Zuvor war auch der Landgraben angelegt worden, der den gleichen Zweck erfüllte. Auch diese Maßnahme geht auf die Initiative von Kurfürst Ludwig V. zurück.

Ausgelöst wurden diese Aktionen durch die Bauernaufstände im 16. Jahrhundert. Die damaligen Bauern mussten für die Feudalherrschaft viele Abgaben leisten, hatten aber durch die schlechten Bewirtschaftungsmöglichkeiten und Ernteausfälle sehr ungünstige Lebensbedingungen.

Das Überflutungs- und Vernässungsprobleme in der Oberrheinischen Tiefebene begleitete die Menschheit über viele Jahrhunderte. Auch der Rhein spielte hierbei eine große Rolle. In der Folge wurden dann auch verschiedene Bachordnungen erlassen und Pläne aufgestellt. Zahlreiche der im Laufe der Zeiten ins Auge gefassten Maßnahmen wurden jedoch entweder aus finanziellen Gründen nicht in ‚Angriff genommen oder wurden nicht koordiniert oder nur lückenhaft ausgeführt.

Dieses Schicksal teilte auch die 1922 vom Hessische Landtag erlassene Anordnung zur Durchführung eines Pilotprojektes zur Verbesserung der Wasser- und Bodenverhältnisse im Ried. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm führte 1933 zu Meliorationsmaßnahmen zur Bodenverbesserung im südhessischen Ried.

1947/48 überschwemmte ein gewaltiges Hochwasser wieder weite Gemarkungsteile von Lorsch. Durch den enormen Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr Lorsch wurde 1956 bei Hochwasser ein Dammbruch an der Weschnitz verhindert.

Schließlich hatte sich die Hessische Landesregierung dem Hochwasserproblem angenommen und alle vorliegenden Entwürfe für einen geregelten Hochwasserabfluss zunächst von der Weschnitz und anschließend der Lauter und dem Winkelbach zusammengestellt. Anschließend wurde weitere Aktivitäten entwickelt. Kommunen bildeten 1958 den Weschnitz- und 1966 den Lauter-Winkelbach-Verband. 2001 wurden diese beiden Verbände zum Gewässerverband Bergstraße zusammengefasst.

120 Kilometer Dämme erhöht

Bis 1970 wurden auf 120 Kilometern Dämme an Weschnitz, Winkelbach und Nebengewässern erhöht und die Gewässersohlen tiefer gelegt. Außerdem sind vom Oberlauf der Weschnitz und in der Riedebene sechs große Hochwasserrückhaltebecken geschaffen worden, die in der Lage sind, ein großes Hochwasser aufzunehmen, das dann kontrolliert weitergeleitet werden kann. Das größte Rückhaltebecken ist der zwei Quadratkilometer große Polder in Lorsch, der von 18 Kilometer langen Deichen umschlossen wird.

Nachdem es 1995 nochmals ein Hochwasser gab, wurden 2010 zwischen Fürth und Steinbach und 2015 zwischen Rimbach und Lörzenbach zwei weitere Rückhaltebecken gebaut. Die Finanzierung dieser umfangreichen Baumaßnahmen erfolgte zu 95 Prozent durch Bundes- und Landesmittel, den Rest bezahlten die Anliegerkommunen.

Riesige Eislauffläche

In Lorsch überflutete das Hochwasser meistens in der kälteren Jahreszeit mehrmals die Fläche vom Sägewerk Koch Richtung Süden bis zur Hemsbacher Gemarkung. Bei Frost entstand dann mitunter eine große Eisfläche, die geeignet war zum Schlittschuhlaufen. Bei ganz extremen Minusgraden war sogar auf der Alten Weschnitz selbst oder auf dem Landgraben Eislaufen möglich.

In Höhe des Betriebshofes des Gewässerverbandes sind die beiden Weschnitz-Arme wieder vereint. Von dort fließt die Weschnitz bis zur Mündung bei der ehemaligen Burg Stein im Steiner Wald – einer römischen Schifflände und einem früheren Rheinhafen des Klosters Lorsch – in den Rhein. Den Verlauf der Weschnitz hatten die Römer 290 n. Chr. an der Wattenheimer Brücke künstlich abgeleitet. Sie nutzten die Weschnitz unter anderem für den Transport gewaltiger Steinsäulen aus dem Granit des Felsberges bei Reichenbach. Diese Steinsäulen wurden etwa für die Palastbauten in Trier benötigt.

Klaus Jäger wies auch darauf hin, dass bis zur Eröffnung des Lorscher Waldschwimmbades die Alte Weschnitz in dem Abschnitt zwischen der Herrenbrücke und der sogenannten Damenbrücke eine beliebte Badeanstalt war. Etliche Lorscher hätten hier schwimmen gelernt. Dies treffe auch auf ihn zu.

Durch umfangreiche Wasserbaumaßnahmen wurde die Hochwassergefahr weitgehend gebannt, berichtete Jäger. Der Grundwasserstand sei jedoch in der Folge erheblich zurückgegangen. Dies habe unter anderem negative Auswirkungen auf die Natur im Umfeld des südlichen Lorscher Weschnitzgebietes gehabt. Festzustellen gewesen sei das beispielsweise an der Vogelwelt. Auf Vorschlag des Lorscher Vogelvereins wurden verschiedene Maßnahmen in Angriff genommen. Zu nennen sind die Ausweisung des Naturschutzgebiets, die temporäre Flutung des Mäanders der Alten Weschnitz im Naturschutzgebiet sowie verschiedene Renaturierungsmaßnahmen an der Weschnitz als Ausgleichsmaßnahmen für die Ausweisung von Baugebieten in Lorsch. Vögel und Fische profitieren von diesen Maßnahmen sehr.

Bei den Renaturierungsmaßnahmen dürfe der Hochwasserschutz nicht vernachlässigt werden. Gleichzeitig wolle man der Weschnitz ein gewisses Maß an Natürlichkeit zurückzugeben. Die ab Weinheim getrennten und über die Jahrhunderte immer stärker begradigten und eingedeichten Weschnitzarme wurden 2017 in den Gemarkungen Lorsch und Heppenheim wiedervereinigt. Auf rund drei Kilometern Länge fließen sie sie gemeinsam in einem neuen, gewundenen Flussbett durch die Weschnitzinsel. 3,2 Millionen Euro wurden insgesamt für die vom Land finanzierte großangelegte Renaturierungsmaßnahme ausgegeben. Abschließend betonte Klaus Jäger, dass die skizzierten Beispiele den Schluss zulassen, dass der Mensch nicht nur negativ in die Natur eingreifen kann, sondern, dass er ebenso in der Lage ist, mit Projekten die Natur zu unterstützen und ihr etwas zurückzugeben. Letztendlich profitiere der Mensch von einer intakten Natur und Umwelt.

Freier Autor Seit mehr als 40 Jahren als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen aktiv, Fotograf und Berichterstatter, im Regelfall waren/sind es Zeitungen die dem BA oder ganz früher, mit dem Echo verbunden waren. Berichterstattung meistens über Lorscher Vereine und Organisationen, früher auch Sport.

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger