Lorsch. Der Kultursalon hat wieder ein Dach über dem Kopf. Nach dem Freigang Ende August im Rahmen der Sommerbühne auf der Lorscher Klosterwiese ist der kunterbunte Kleinkunstmix von Daniel Helfrich nun wieder ins Theater Sapperlot nach Hause zurückgekehrt, wo er im Februar 2020 letztmals stattgefunden hatte. Im Herbst ging es dann zunächst in der Einhäuser Mehrzweckhalle weiter.
Es gab Tränen im Foyer
Das Comeback nach der Wanderschaft war am Dienstag von vielen Fans lange und heiß ersehnt worden. Die intime Atmosphäre in der ehemaligen Tabakscheune ist perfekt für ein Format, das Unmittelbarkeit und kurze Distanzen benötigt. Weil sich das nach pandemischen Vorgaben aber nicht groß verhandeln lässt, haben die Gastgeber konsequent auf die 2G-Regel gesetzt: also Einlass nur für jene, die genesen oder vollständig geimpft sind. Somit kann der Restart im Sapperlot ohne Masken und Abstandsregeln über die Bühne gehen. Für das Publikum bedeutete das ein Gefühl wie vor Corona. Ein wenig unwirklich zunächst, aber in seiner retrospektiven Qualität durchaus emotional. Es gab sogar Tränen im Foyer. Nach eineinhalbjähriger Abstinenz konnten es einige nicht mehr abwarten. Doch die Anzahl derer, die sich gegenüber dem wiederanlaufenden Kulturbetrieb bislang reserviert zeigen, ist nicht zu verleugnen. Laut der Theatermacher sind einige noch vorsichtig – aus verschiedenen Gründen.
Auf der Bühne war die Spielfreude nach vielen Monaten Zwangspause nicht zu übersehen. So auch bei Matz Scheid. Der vielseitige Autodidakt zählt zu den festen Größen der Musikszene rund um Odenwald, Pfalz und Hessen. Man kennt ihn aus dem 1989 von ihm gegründeten Odenwälder Shanty Chor und als Duopartner von Adax Dörsam bei den irisch oder schottisch angehauchten Traditionals, die er lyrisch wie gesanglich meisterhaft ins Deutsche überträgt. Typisch ist die „harte“, nasale Stimmlage über einem variierenden Rhythmus- und Tempogefüge, das von melodischer Ornamentik ausgarniert wird. Matz Scheid schenkt der authentischen Musik der Insel ein sanftes Odenwälder Aroma, das beiden weltmusikalisch prägnanten Regionen gut bekommt.
Im Sapperlot eroberte der wunderbare Geschichtenerzähler schnell das Publikum mit schnoddrigen Songs über die alltägliche Vergesslichkeit („Alleweil häb ich´s noch gewisst“) und die Schrecken vor Flecken durch „Tomatesoß“, die sich auf weißen Unterhemden auf ewig in die textile Biografie des Kochs einbrennen. Mit „The Star of the County Down“ hatte er eine irische Ballade von Cathal Mac Garvey im Gepäck, in der ein junger Mann eine Frau trifft, die als veritabler Kracher ihrer Heimatumgebung gilt, der nordirischen Grafschaft County Down.
Explosive Pointen der leisen Art sind ein Markenzeichen von Thomas Fröschle, der 2018 unter den vier Finalisten zum Kleinkunstpreis „Lorscher Abt“ war. Im Jahr zuvor hatte der Zauberer, der irgendwann zur Stand-up-Comedy gewechselt war, einen starken Auftritt präsentiert. Auch diesmal sorgte der „Geräuschesammler“, der virtuos mit Klängen spielt, für enorm kurzweilige Unterhaltung. Wie er bei einem pantomimischen „Soundcheck“ mit Klängen aus der Konserve eine ganze Band erscheinen lässt und eine köstliche akustische Illusion einer Drive-in-Situation am Fast-Food-Schalter ins Theater zaubert, ist zeitlos gut und immer wieder einen Applaus wert. Am Ende des 20-minütigen Solos präsentierte er noch sämtliche Hits von Roland Kaiser in optischer Übersetzung.
Eröffnet wurde der Kultursalon von Dino Lampa mit kulinarisch inspirierter Akrobatik italienischer Art. Sein Jonglage-Menü reichte vom Hochrad bis in den Kochtopf. Die Utensilien: Pastapackungen, Gumminudeln und künstliche Melonen. Mit Tim Poschmann ging es dann von Italien direkt in die tiefste Pfalz. Als waschechter „Winzerbu“ leidet er am schnöseligen Verkostungsgehabe von Ausländern (also sämtlichen Nicht-Pfälzern, bevorzugt Heidelbergern) und anderen Kulturschocks, die er im Boulevardstil auf die Bühne bringt. Für den Mann aus der Weinstadt Ruppertsberg war die Kunstfigur eine aus der Not geborene Alternative zum Schauspielerberuf, der mit der Pandemie zum Erliegen gekommen war.
„Weil Geld den Charakter verdirbt“
Auch Moderator Daniel Helfrich verwies zum Finale auf ausbleibende Engagements aufgrund geschlossener Konzertsäle und Kleinkunstbühnen. Da der Kultursalon grundsätzlich keinen Eintritt kostet und auf die Großzügigkeit der Zuschauer zählt, war Helfrichs letzter Song des Abends diesmal eine besondere musikalische Aufforderung, bevor der Hut herumging. Und wie hieß es in dem Lied ganz nebenbei? „Geld verdirbt den Charakter!“ Also bloß schnell weg damit.
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