Lorsch. Der siebte Lorscher Abt geht an Friedemann Weise. Beim Finale auf der Klosterwiese überzeugte der Liedermacher, Satiriker und Autor aus Köln mit anarchischem Premium-Quatsch und wilden Musikeinlagen. Bei seinem 20-minütigem Auftritt vor über 200 Gästen servierte der 47-jährige Allrounder am Dienstag eine knackige Dramaturgie aus schrägen Songs, kantigen Pointen und absurd-komischen Textkaskaden. Die Jury attestierte Weise einen scharfen, aber stets hintergründigen Humor sowie eine feine Ironie hinter vermeintlichen Blödeleien.
Auch von den Zuschauern wurde der selbsternannte „King of Understatement“ mit stürmischem Applaus gefeiert. Den Publikumspreis sicherte sich aber Jan van Weyde. Der klassische Stand-Up Comedian brillierte auf der Sommerbühne unter anderem mit köstlich überzeichneten Synchronsprecher-Analysen.
Nachdem der Abt im Vorjahr wegen der Pandemie ausfiel, hatte das Theater Sapperlot mit seinen Kooperationspartnern und der Stadt Lorsch erfolgreich an einem neuen Konzept gefeilt. Doch Theaterchef Hans-Peter Frohnmaier präsentierte auch vier hochklassige Kandidaten mit spannenden künstlerischen Kontrasten, die der Jury die Entscheidung bleischwer machten. Nach vitaler Diskussion kristallisierte sich Friedemann Weise als preiswürdigster Teilnehmer der fünfköpfigen Jury heraus.
In der Begründung heißt es: „Seine trockene Art, der sehr spezielle Blick auf den Alltag und seine kurios-komischen Lieder sind sein Markenzeichen. Viel Gehirnschmalz, das einem aufs Brot geschmiert wird.“ Mit ausschlaggebend waren auch Weises unkonventionelle Bühnenpräsenz und seine gesellschaftskritischen Qualitäten, die – bisweilen subtil, manchmal offensiv – hinter einer clownesken Fassade lauern. Seine schnell getaktete Show pulsierte abseits konventioneller Comedy-Strukturen im eigenen Rhythmus ohne absehbar lineare Pointen.
„Mit einem Lächeln im Gesicht geht der Tag auch nicht schneller vorbei“, so der Satiriker bei seinem siegreichen Amoklauf in Lorsch, bei dem Amazon-Chef Jeff Bezos („keine Löhne, keine Steuern“) ebenso auf der Schlachtplatte landete wie notorische Smartphone-Junkies und widerstandsfähige Reisende, die trotz globaler Krise ihren Urlaub genießen wollen und dabei keine Testpflicht auslassen („Durchgeimpft auf Norderney“). Der menschliche Wahnsinn in all seinen Facetten ist das Futter, aus dem der Komiker seine aromatischen Menüs zaubert. Unbeantwortet blieben nur die von der Bühne geschlenzten Fragen, ob lispelnde Magersüchtige über gleich zwei S-Störungen verfügen und ob selbstfahrende Autos wissen, wo sie hin müssen.
„Ich mache hier nur das Warm-up“ hatte Nils Heinrich zuvor mehr als tief gestapelt. Der Kabarettist und Autor wurde als Opener des Abends ausgelost und bewies sogleich, wie gekonnt er aus scheinbar harmlosen Zutaten explosive Sprengsätze zusammenbauen kann. Klug, zynisch und geistreich präsentierte er eine famose Abhandlung über die gegenwärtigen politischen Farbenspiele im Land und ihre mehr oder weniger fähigen Akteure. Der mehrfach ausgezeichnete Berliner inszenierte brillante Sprachbilder und launige Kommentare auf die phrasengeschwängerte Polit-Szene.
Eine wohlige Ausnahme im Einheitsbrei des Genres. Und ein Fatalist, der sich den Fügungen des Schicksals stellt und sich nicht als kleinkünstlerischer Messias aufspielt, sondern messerscharfe Texte von entwaffnender Direktheit schreibt. Mit seinem Song „Du bist der Geilste, Andi Scheuer!“ über den Verkehrsminister hatte er das Lorscher Publikum regelrecht zerfetzt: „Dein Verhältnis zu Geld ist scheißegal, da bist du konsequent Punk. Du bist die Delta-Variante von Ramsauer, Dobrindt und Strauß.“
Mit Auszügen aus seinem Programm „Invitation To The Blues“ schaffte es auch Mr. Leu alias Rainer Leupold ins Finale. Wie kaum ein anderer versteht es der Musiker, die pathetische Schönheit und epische Dichte von Tom Waits` Songs auf den Punkt zu bringen. Statt an waghalsigen Imitationsversuchen an einer Kunstfigur zu scheitern, die an Originalität nicht zu überbieten ist, konzentriert sich der versierte Tastenmann aus den Shows des Duos Evi & das Tier auf eigene Interpretation des singenden Beat-Poeten und romantischen Heulers.
Die Sommerbühne lauschte ergriffen den ergreifenden Milieustudien von ewigen Losern, verträumten Spinnern und skurrilen Sonderlingen. Die Lieder sind, obwohl immer ganz Waits, auch immer einhundert Prozent Mr. Leu. Und es ist nicht weniger als grandios, wie er den bildstarken Originaltexten eine stimmige deutsche Entsprechung herauskitzelt. Höhepunkt ist ein Stück über eine seltsame Flucht in ein Kaff namens „Burma Shave“, bei dem einer durch ein Werbeschild für einen Rasierschaum in eine Allegorie für einen nicht existenten Sehnsuchtsort getrieben wird. Und die deutsche Variante von „Time“ hat die blaue Stunde auf der Klosterwiese atmosphärisch perfekt vollendet.
Geräusche-Profi zum Finale
Als letzter Kandidat hatte es Jan van Weyde in diesem starken Feld alles andere als leicht. Doch der 41-jährige Schauspieler und Synchronsprecher konnte sich in dem verfügbaren Zeitfenster enorm steigern und das Publikum mit einer kurzweiligen Minishow erobern. Wunderbar seine perfekten Parodien der absurd-künstlichen deutschen Synchronisierung von Filmen und Serien, deren lächerliche Betonungsbrutalität der Comedian exzellent nachzuahmen weiß – schließlich kommt er ja selbst aus diesem Fach. Doch auch körperlich hat der Geräuscheprofi einiges auf dem Kasten: seine exakte physische Imitation von Marionetten aus der Augsburger Puppenkiste war der Topf auf dem Deckel des siebten Lorscher Abts.
Verliehen wurde die Trophäe von Bürgermeister Christian Schönung. Schirmherr war erneut Landrat Christian Engelhardt. Beide betonten die schwierige Situation der Kulturszene und lobten das Engagement der Sapperlot-Familie, die trotz Pandemie stets mit flexiblen Konzepten präsent gewesen war und an einen Restart des Theaterbetriebs geglaubt hatte.
Recht auf Kultur
Hans-Peter Frohnmaier dankte allen Sponsoren und Unterstützern für die Hilfe in problematischen Zeiten. „Kultur ist ein Menschenrecht“ sagte Engelhardt.
Geld und weitere Auftritte
Bisherige „Abt“-Preisträger sind Martin Zingsheim, Alix Dudel, Armin Fischer, Norbert Bürger alias „Bürger from the Hell“, Thomas Schreckenberger und Kay Ray.
Die Finalisten werden aus Teilnehmern der Reihe Kultursalon gewählt.
Die Skulptur für den Sieger gestaltet Metallbildhauer Jürgen Heinz. Der Sieg ist mit einem Preisgeld von 1000 Euro und Auftritten unter anderem im Sapperlot verbunden. Der Publikumspreis ist mit 500 Euro dotiert.
Jurymitglieder waren Christian Maatje (HR)), Lorschs Kulturamtsleiterin Gabi Dewald, Kabarettist Frederic Hormuth, Kulturmacher Jürgen Kirchner und Journalist Thomas Tritsch. Für Musik sorgte das Huub Dutch Trio. t r
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