Gadernheim. Zu einem zentralen Gottesdienst mit anschließendem Gedenken an alle Opfer von Krieg und Gewalt und ihre Angehörigen waren die Lautertaler gestern nach Gadernheim eingeladen. Pfarrerin Marion Mühlmeier hielt die Predigt. Ihre Friedensgebete boten Hoffnung für die Zukunft. Ihre Gedanken waren auch bei den ehrenamtlich tätigen Feuerwehreinsatzkräften, die in der Nacht zu dem Großeinsatz in Lautern ausrücken mussten. „Was wären wir in unserer Gesellschaft ohne das Ehrenamt?“
In ihrer Predigt erinnerte Mühlmeier an die Attentatsserie vor sieben Jahren in Paris. Zeitgleich waren an fünf verschiedenen Orten Sprengsätze ausgelöst worden, die fröhlich feiernde Menschen töten und verletzten. Eine junge Mutter besuchte ein Rockkonzert im Club Bataclan, nahm sich mit Freunden einen freien Abend. Marion Mühlmeier erzählte in bildlichen Darstellungen die Geschichte der jungen Familie, die innige Verabschiedung der Mutter zum Konzert. Es sollte die letzte Umarmung werden, denn in der Nacht wartete der Familienvater vergeblich auf seine Frau.
Später postete ihr Mann, ein Journalist: „Meinen Hass bekommt ihr nicht.“ Diese Botschaft sei um die Welt gegangen. „Wenn Hass unser Herz ergreift, zerstört das unsere Menschlichkeit“, ergänzte Pfarrerin Mühleier. Also müsse die Botschaft lauten: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, überwinde das Böse mit dem Guten.“
Im Anschluss an den Gottesdienst hielt Bürgermeister Andreas Heun die Rede zur zentralen Gedenkstunde der Gemeinde Lautertal. Seit 1952 werde zwei Wochen vor dem ersten Advent der Volkstrauertag als gesetzlicher Gedenktag begangen. „Er ist unverzichtbar“, unterstrich Heun. Der Tag diene dem Erinnern an alle Toten durch kriegerische Handlungen und Gewaltherrschaft. In diesem Jahr sei es die traurige Pflicht der Redner, auch an die Verstorbenen im jüngsten Krieg auf europäischem Boden zu gedenken. Andreas Heun erklärte, es müsse dabei auch an die verstorbenen russischen Soldaten gedacht werden, die ihrer Pflicht und einer falschen Wahrheit gefolgt seien.
Der Krieg ist zurückgekehrt
Viele Jahre lang seien die Sowjetunion und Russland nach dem Zweiten Weltkrieg Partner in einem Aussöhnungsprozess gewesen. Unvorstellbar sei daher die Entwicklung hin zu einem neuen Krieg. Die Verantwortung dafür trügen allerdings nur Einzelne und ihre Mitläufer. „Kein Volk darf pauschal verdammt werden, auch die Russen nicht“, betonte Heun. Im Zweiten Weltkrieg habe Deutschland gegen die Sowjetunion gekämpft, auch auf ukrainischem Boden. „In den Städten und Orten, wo damals gekämpft wurde, ist heute wieder Krieg.“
In seiner Rede erinnerte der Bürgermeister an das Jahr 1922, als erstmals nach dem Ersten Weltkrieg der Volkstrauertag – noch unter dem Titel Heldengedenktag gefeiert wurde. Reichstagspräsident Paul Löbe habe damals gefordert, dass Gesetze geschaffen werden müssten, in denen festgelegt werde, dass kriegstreibende Diplomaten und Journalisten als erstes in die Schützengräben geschickt werden sollten.
Selbst 100 Jahre später sei aber festzustellen, dass die Verantwortlichen für Kriege nur selten zur Verantwortung gezogen werden. Politik und die Medien sollten klarstellen, wer den Krieg führt und mit welchem Interesse.
„Innehalten ist derzeit wichtiger denn jemals zuvor. Jede Kriegsgewalt gehört geächtet.“ Jeder, der die Macht dazu habe, müsse dafür sorgen, dass dieser aktuelle Krieg nicht weiter eskaliert und dass die Menschenrechte eingehalten würden. Es müsse besonnen reagiert werden, um Frieden in Europa wieder herzustellen.
Bürgermeister Heun legte mit dem Vorsitzenden des VdK-Ortsverbandes Gadernheim Reinhard Schmidtke einen Kranz am Ehrenmal nieder. Der Posaunenchor, der mit Organist Heinz Jürgen Winkler den Gottesdienst musikalisch begleitet hatte, spielte bei der Kranzniederlegung das Stück „Ich hatt einen Kameraden“. jhs
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