Lautertal. Dass ein Wald mehr ist „als die Summe seiner Bäume“, soll künftig bei der Wirtschaftsplanung in Lautertal eine größere Rolle spielen. Die Fraktionen der Gemeindevertretung verständigten sich im Umweltausschuss darauf, die Hinweise mitzunehmen und eingehend zu beraten, die ihnen Christian Storm, promovierter Vegetationsökologe von der TU Darmstadt, mitgegeben hatte.
Storm stellte die „sehr komplexe Angelegenheit“ Wald anschaulich dar. Eingeladen worden war der Fachmann auf Antrag der Grünen. Bevor in diesem Jahr die sogenannte Forsteinrichtung für den Gemeindewald auf den neuesten Stand gebracht wird, wollte die Fraktion sich umfassend informieren lassen. Storm berät auch die in forstwirtschaftlichen Angelegenheiten sehr geplagte Stadt Darmstadt, deren von Nadelholz geprägter Westwald nur noch ein Schatten seiner selbst ist.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Für die Forsteinrichtung – ein Zehn-Jahres-Plan für den Wald – empfahl Storm, sich die Stabilisierung der Bestände und die Sicherung ihrer Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel zum Ziel zu setzen. Die Schutzfunktion für die Natur, aber auch die Bedeutung für die Erholung des Menschen müssten berücksichtigt werden. Und bei allem gehe es natürlich auch um die Holzproduktion, wobei Storm sagte, hier müsse ein Schwerpunkt auf langlebigen Produkten liegen.
Dabei sei es nicht mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden, einen naturnahen Wald heranzuziehen, in dem hauptsächlich heimische Baumsorten wachsen und die biologische Vielfalt gewährleistet ist. Die Gemeinde solle dazu „auf natürliche Prozesse“ setzen. Das bedeute, bei Aufforstungen die natürliche Verjüngung der Bestände zu nutzen.
Vom Begriff der Nachhaltigkeit ging Storm nicht ab, allerdings sei es sinnvoll, die Holzernte soweit zu begrenzen, dass neue Reserven gebildet würden. Das sei eine „Versicherung für künftige Probleme.“ Christian Storm weitete den Blick der Zuhörer von einer Sammlung von Bäumen hin auf ein Ökosystem. So seien Bäume zwar das prägende Element, aber nicht der einzige Bestandteil des Waldes. Zudem stünden die Bäume nicht isoliert.
Bedeutsames Pilzsystem im Boden
Die Forschung habe schon vor langem herausgefunden, dass die Bäume mit einem Geflecht von Pilzen im Waldboden eine Lebensgemeinschaft bildeten. Relativ neu sei aber die Erkenntnis, dass es dabei nicht nur um eine Wechselwirkung zwischen Baum und Pilz gehe. Vielmehr kommunizierten die Bäume gewissermaßen über das Pilzgeflecht miteinander und unterstützten sich auch. So könnten alte Bäume mit tiefen Wurzeln über das System Wasser für Jungpflanzen bereitstellen, die noch kein ausgedehntes Wurzelwerk haben.
Wie komplex das Ganze ist, zeigt das Problem von Waldschäden durch Trockenheit. Forstamtsleiter Ralf Schepp hatte berichtet, dass es für große Buchen in trockenen Jahren schwierig sei, ausreichend Wasser bis in die Kronen zu pumpen.
Dadurch würde diese anfällig für Krankheiten, weil normalerweise der Wasserdruck im Baum Schädlinge in Schach halte. Christian Storm stellte dem entgegen, dass ein Wirtschaftswald gerade auf solche großen Bäume setze. Daher werde der Bestand auf der Fläche reduziert, um die Pflanzen größer werden zu lassen. In einem naturbelassenen Wald sei das nicht der Fall. Zudem sei dort das Kronendach dichter, was einer Austrocknung des Bodens vorbeuge.
Der Wald als wichtiger Wirtschaftsfaktor
Der Wald sei über die Holzernte hinaus für den Menschen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Er diene der Grundwasserbildung, als Kohlendioxid-Speicher, für den Lärmschutz und liefere Wildtiere als Nahrung, sagte Storm. Die Wirtschaftsleistung liege bei rund 10 000 Euro pro Quadratmeter, wenn man alles zusammennehme, und damit 38 Mal höher als der reine Erlös aus dem Holzverkauf.
Der Wald leide nicht nur an der Klimakrise, sondern auch an einem Verlust der biologischen Vielfalt, also dem Artenreichtum. Doch nicht nur die klimatischen Veränderungen wirken auf den Wald, so Storm. Aus dem Blick geraten, aber noch nicht beseitigt seien etwa die Luftschadstoffe, die in den 80er Jahren wegen des sauren Regens Schlagzeilen gemacht hatten.
Storm geht davon aus, dass die Situation sich noch verschlimmern werde. Umso wichtiger werde das Waldmanagement. Hier setzt Storm vorrangig auf eine natürliche Verjüngung der Flächen. Denn das Nachpflanzen von Bäumen sei nicht ohne Risiko. Die neuen Pflanzen kämen ohne ein natürliches Wurzelsystem. Und sie seien nicht an das lokale Pilzsystem im Boden angepasst. Aufgeforstete Flächen bestünden aus gleich alten Bäumen und hätten keine Struktur.
Werde eine Fläche vor der Bepflanzung abgeräumt, dann würden Nährstoffe aus dem Altholz entzogen. Die Temperaturen am Boden seien höher, die Pilzstrukturen im Boden verschwänden. Wasser könne schlechter gespeichert werden und der Humus im Boden zersetze sich, berichtete Storm. Durch die Waldbewirtschaftung entstünden zwar größere Bäume, diese hätten aber flachere Wurzeln und seien daher stärker von Trockenheit bedroht. Durch das lichtere Kronendach steige die Verdunstung, was wiederum das Pilzsystem im Boden störe.
Der Wirtschaftswald benötige außerdem ein Wegesystem, das das Kronendach weiter auflockere. Wege seien aber Einfallstore für heiße Luft und für ortsfremde Pflanzen. In den sogenannten Rückegassen – also den Wegen, über die gefällte Bäume abtransportiert werden – werde der Boden durch die Fahrzeuge verdichtet, die Pilze im Boden stürben ab beziehungsweise ändere sich ihre Zusammensetzung.
Inwieweit Storms Ausführungen in die Forsteinrichtung einfließen werden, muss sich jetzt zeigen. Forstamtsleiter Schepp sagte, die Gemeinde dürfe die Ziele für die kommenden zehn Jahre selbst formulieren. Es werde aber auch einen Vorschlag aus dem Forstamt geben.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lautertal_artikel,-lautertal-einblicke-in-das-komplexe-system-wald-in-lautertal-_arid,2042873.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lautertal.html