Heppenheim. Als Müzeyyen Morgil zu Jahresbeginn die Heppenheimer Hausarztpraxis von Mareile Geiß übernahm, war die allgemeine Erleichterung groß. Tausende Patienten mussten auch schon in der Übergangsphase des Leerstands im letzten Quartal 2023 andernorts unterkommen, obwohl Heppenheims Hausärzte bereits durchweg am Limit arbeiteten. Nach Angaben des örtlichen Hausärztenetzes ließ sich dies kompensieren. Patienten sehen das anders. So versorge Morgil inzwischen das Dreifache ihres offiziellen Solls, was den Zahlen nach immer noch weit unter dem Geiß-Bestand liegt.
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Mindestens ein Ehepaar hat sich offiziell beschwert. Explizit ging der Vorstoß, zusätzlich motiviert durch viele „Gespräche in unserem Umfeld“, die erbrachten, „dass es vielen Menschen in Heppenheim ähnlich geht und gegangen ist, wie uns“, nicht gegen die Ärzteschar, sondern er richtete sich an die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH). Mit der Aufforderung, Antworten dazu zu liefern, „wie zukünftig die hausärztliche Versorgung in Heppenheim sichergestellt wird“.
"Wir haben keinen generellen Aufnahmestopp."
Weit über das gesunde Maß hinaus, hatte sich Geiß aufgeopfert. Bis es nach eigener Erkenntnis so nicht mehr weiterging und sie zum Selbstschutz schweren Herzens aufhörte. Als Morgil durch Zufall von der händeringenden Nachfolge-Suche in Heppenheim erfuhr, fackelte sie nicht lange, zumal die junge Familie sowieso mit Heppenheim als Wohnort plante. Die Ärztin nahm sich vor, eben nicht bis zur totalen Erschöpfung arbeiten zu wollen.
Eine langjährige Geiß-Patientin, die die Morgil-Praxis an einem wie üblich besonders vollen Montag mit fiebriger Erkältung aufsuchte, wäre nirgendwo untergekommen, wenn Morgil nicht wie so oft sozusagen in Dauerbereitschaft gewesen wäre. „Nur unter Verzicht auf ihre Mittagspause fand Frau Dr. Morgil dankenswerterweise eine Möglichkeit, meine Frau zu behandeln“, erläutert ihr Mann in seinem auch an Landrat und Bürgermeister adressierten Schreiben. Morgil selbst erklärt auf Nachfrage: „Wir haben keinen generellen Aufnahmestopp. Das heißt, wir behandeln Patienten weiter und nehmen auch neue Patienten auf, solange es meine Tageskapazität hergibt. Ich kann nicht mehr, als von 7.30 bis 19 Uhr durcharbeiten.“ Dass dies oder gar mehr nicht der Maßstab sein dürfe, betonen auch die Beschwerdeführer: „Wir finden diese Situation unerträglich.“ Die dabei in Schutz genommene Ärztin spricht als Verantwortung auf Patienten-Seite noch etwas an, das auch viele Notaufnahmen, wie die des Kreiskrankenhauses Bergstraße in Heppenheim, vor enorme Probleme stellt: „die Fehlinterpretation von Patienten, was wirklich akut ärztlich gesehen werden muss“.
Weiterbildungsassistenten und zusätzliche Kollegen
Hausarzt Michael Reich liefert auf Nachfrage Beispiele, womit sich Ärzte herumschlagen müssen: „Obwohl wir die KV Hessen bereits vor dem Beginn des Quartals“, des vierten 2023, des auch wegen zu dieser Jahreszeit besonders hoher Krankenstände kritischsten, „kontaktierten, um wenigstens die Zusage zu bekommen, die Mehrarbeit bezahlt zu bekommen und nicht in Regressfallen zu geraten, bekamen wir ganz aktuell vor wenigen Tagen (!) die Antwort, dass unserem Antrag entsprochen wurde.“ Neben der Geiß-Nachfolge habe sich die eine oder andere Praxis „durch Weiterbildungsassistenten oder zusätzliche Kollegen“ verstärken können. „Deshalb steht die hausärztliche Versorgung in Heppenheim nun sogar leicht besser da als letztes Jahr.“
Beispielsweise „die hoch dysfunktionale Telematik“ und allein das im Vergleich zum Papier-Rezept viel länger dauernde Ausstellen eines E-Rezepts fressen Reich zufolge aber unnötig viel Zeit. „Das ist alles so lähmend.“ Hinzu kämen eine regelrechte Flut an Regress-Forderungen und viel Bürokratie. „Deshalb gibt es das Phänomen, dass in Deutschland nach wie vor immer mehr Ärzte tätig sind, aber die Arbeit eben übersignifikant zunimmt und die Zeit für die Patientenversorgung sinkt.“ Heppenheim sei Reich zufolge aktuell „ordentlich versorgt“, jedoch „alles unglaublich auf Kante genäht, und es benötigt nur wenige Veränderungen, dass dieses System in kurzer Zeit wieder kippt. Man muss sich nur die Zahl der Kollegen ansehen, die über 60 Jahre alt sind.“
Kollege Jens Braun sagt: „Die Mitglieder des Hausärztenetzes können aktuell fast alle Patienten, die einen Hausarzt aufsuchen, versorgen.“ Über den städtischen Bestand hinaus kämen etliche Aufgenommene aus Lorsch, Laudenbach und Bensheim hinzu. Während es trotz enormer Tarifsteigerungen kaum noch gelinge, qualifizierte Mitarbeiter für den Assistenz-Bereich zu finden – und zu halten. Auch freie Arztsitze seien bei der KV vorhanden. Es mangele eher an geeigneten Räumen in Heppenheim. So ging das niederlassungswillige Ehepaar Holl, nicht nur um die beiden hatte sich Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) persönlich bemüht, am Ende nach Bürstadt.
Umgekehrt gibt Reich zu bedenken, dass die nach Heppenheim Gelockten nun anderswo fehlen. Er sagt, die KV könne sich auch „nicht mehr Ärzte aus dem Ärmel leiern als vorhanden sind“. Dem lässt er mit Verweis auf die zuständige Politik folgen: „Aber es ist gut, dass sich überhaupt mal jemand beschwert.“ Seine Reaktion lässt der Landrat, der zuvor auf die Zuständigkeit von KVH und Krankenkassen verweist, mit den Worten enden: „Ihr Anliegen findet meine Unterstützung.“ Die KVH verweist auf die Website arztsuchehessen.de. Zuvor erklärt sie erwartbar: „Nach den uns vorliegenden Daten ist der Bedarfsplanungsbereich Bensheim/Heppenheim ausreichend mit Hausärzten versorgt.“ Die Beschwerdeführer haben auch ihre Krankenkasse informiert. „Diese hat versucht, im Umkreis von 15 Kilometern einen Hausarzt“ mit freien Kapazitäten „ausfindig zu machen – ohne Erfolg.“ mbl/ü
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