Heppenheim. Wer kein Erziehungswissenschaftler ist und nicht wusste, dass Janusz Korczak 1972 in der Frankfurter Paulskirche posthum mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wurde, der hat am Sonntag im Marstall in Heppenheim erfahren, warum dieser Arzt und Pädagoge ein Vorbild für Kinder und Erwachsene sein kann.
Joachim Dietermann, Pfarrer im Ruhestand, rief am Jahrestag der Pogromnacht in Erinnerung, welches Vermächtnis Korczak hinterlassen hat, als er 1942 Kinder aus dem Warschauer Getto in das Konzentrationslager Treblinka und in den Tod begleitete. Der Verein Stolpersteine Heppenheim hatte zu der Gedenkveranstaltung eingeladen, die im Schweigekreis am Nathan-Friedmann-Platz endete. Am Fuß des Schlossbergs wurde in der Nacht zum 9. November 1938 die Synagoge von Nationalsozialisten zerstört. Am Tag darauf wurden die jüdischen Bürger weiter gedemütigt. Sie mussten die Mauerreste ihres Gotteshauses niederreißen und die Trümmer beseitigen.
Einsatz für die Rechte von Kindern
Janusz Korczak wurde 1878 in Warschau als Henryk Goldszmit geboren. Den polnisch klingenden Namen wählte er 1899 als Pseudonym, als seine Karriere als Schriftsteller begann. Als Erzieher jüdischer Herkunft setzte er sich ab 1912 dafür ein, Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen. Das setzte voraus, sie mit Achtung und Respekt durch die Kindheit zu begleiten.
Korczak war der erste Träger des Friedenspreises, der posthum geehrt wurde. Die Jury begründete ihre Entscheidung damals so: Er habe der alten Sehnsucht nach einer neuen Ordnung zwischen den Generationen und nach Frieden unter den Menschen jeglicher Art und Herkunft Kraft (...) gegeben. Den ihm anvertrauten Kindern habe er auch angesichts des Todes die Treue gehalten.
Zu Korczaks Vermächtnis gehören mehrere Kinderbücher, aus denen Dietermann zitierte. Seinen Vortrag gestaltete er interaktiv: Im Publikum hatte er Kärtchen mit Zitaten verteilt, die die Zuhörer nach und nach vorlasen. Die Lesung wurde mit Klezmer-Musik umrahmt. Die Diplommusikerin Hildrun Wunsch spielte unterschiedliche Blockflöten. Am E-Piano wurde sie von Monika Hölzle-Wiesen begleitet.
So wurde die Gedenkveranstaltung nicht von der Trauer bestimmt, die mit dem 9. November verbunden ist. Dietermann machte deutlich, dass Korczak ein fröhlicher Mensch gewesen sein muss, der mit Humor durchs Leben ging. Misserfolgen eines Kindes begegnete er mit Ermutigung, Tränen trocknete er mit Trost und Liebe.
Größe und Stärke waren für ihn keine Idealbilder. Er warnte schon damals die Eltern davor, Leistungsdruck auszuüben und vor Überbehütung. Das Wort „Helikopter Eltern“ kannte Korczak noch nicht. Doch er hätte sofort verstanden, was damit gemeint ist. Er ließ den Kindern die Freiheit, den eigenen Weg ins Erwachsenenalter zu finden.
Stolpersteine sollen im April verlegt werden
Schon 1918 forderte er ein „Grundgesetz für das Kind“, das nur aus drei Artikeln bestand. Paragraf 3: „Das Recht des Kindes zu sein, was es ist.“ „Janusz Korczak gehört zu den wenigen Lehrern der Menschheit, die ihre humanistisch-pädagogische Botschaft nicht nur verkündeten, sondern auch mit ihrem gelebten Leben bestätigten“, heißt es in der Beschreibung, mit der der Stolperstein-Verein zu dem Vortrag eingeladen hatte.
Sabine Fraune, die Vorsitzende, kündigte an, dass am 27. April 2026 weitere Stolpersteine in Heppenheim verlegt werden sollen.
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