Fastnacht

Die Veggelsbecher aus Hambach gibt es seit 75 Jahren

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jr/ü
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Die Veggelsbecher beim Kreisnarrenempfang. Nur Miss Veggelsbach, Andrea Ochs-Kleber, gibt sich zu erkennen. © Dagmar Jährling

Heppenheim. Sie sind die Heppenheimer Weiberfastnacht schlechthin: die Veggelsbecher aus Hambach. In dieser Kampagne feiern sie ihr 75-jähriges Bestehen.

Jedes Jahr von Neuem wird bei verschiedenen Fastnachtssitzungen in der Kreisstadt und deren Ortsteilen oder beim Sturm des Rathauses und Landratsamtes sowie verschiedener Geschäfte in Heppenheim gerätselt, wer hinter den „alten Frauen“ steckt und zur Schere greift, um die Schlipse der Herren abzuschneiden.

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Sie tragen die Kleidung ihrer Urgroßmütter. Unter den schwarzen Kleidern und Röcken tragen sie zumeist antike weiße Leibwäsche mit Spitzenapplikationen am Saum. Bis auf Miss Veggelsbach alias Andrea Ochs-Kleber bleiben sie unter Masken alter Frauen inkognito.

Verleihung der Kreisnarrenkette

Ihre ersten Auftritte hatten sie in dieser Kampagne, abgesehen von der Fastnachtseröffnung und der Fahnenhissung, bei der Fastnachtssitzung der Hambacher Fastnacht Habafa und bei der Verleihung der Kreisnarrenkette durch Landrat Christian Engelhardt in Mörlenbach. Doch ihr angestammtes Datum ist der Donnerstag an Weiberfastnacht. Dann wird das Heppenheimer Rathaus gestürmt und das Landratsamt geentert. Ziel und Zweck der Narretei ist es, den Männern den Schlips mit einer Schere abzuschneiden, sofern sie heutzutage noch einen tragen.

Selbstverständlich sind die Verwaltungsspitzen für diesen Fall gerüstet. Dort sind die Veggelsbecherinnen gern gesehene Gäste. Deshalb werden sicherlich zumindest Bürgermeister Rainer Burelbach und Landrat Christian Engelhardt jeweils eine Krawatte tragen, die auch bei ihnen längst nicht mehr zum alltäglichen Kleidungsstück gehört. Oftmals werden sie nur noch bei offiziellen Anlässen um den Hals gebunden.

Doch den Spaß will man den Veggelsbechern sicherlich nicht nehmen. Ansprechpartnerin ist in allen Situationen die oberste Hüterin der Tradition, Andrea Ochs-Kleber. Sie ist die einzige Frau, die nicht nur keine Maske trägt und somit erkennbar ist, sondern auch sprechen darf. Auf keinen Fall sollen die kostümierten Damen unter ihren Kostümen, unter denen sie längst nicht so alt sind wie Verkleidung und Gesichtsmasken vermitteln mögen, erkannt werden.

„Wenn die Frauen zu uns kommen, sind sie meistens Mitte 40“, erklärt Ochs-Kleber. Trotz aller Geheimhaltung würden sie manchmal am Gang oder der Gestik erkannt. Es kann aber auch schiefgehen: Miss Veggelsbach erinnert sich an eine Episode im Gasthaus „Zum Rebstock“ in Hambach, das es längst nicht mehr gibt. Eine Veggelsbecherin hatte sich beim Lumpenball bei einem jungen Mann auf den Schoß gesetzt. Dieser war sich sicher, eine Klassenkameradin vor sich zu haben. Dabei war die Frau 40 Jahre älter, sagte Ochs-Kleber.

Der Lumpenball im Rebstock ist der Ursprung der „Frauen mit Omagesicht“. Als am 8. Februar 1948 im Saal gefeiert wurde, herrschte noch Mangel an allem. Die Hambacherinnen Anna Helfert und Sophie Schuster kostümierten sich einfach mit den schwarzen Kleidern und Kapotthüten ihrer Großmütter. In den nächsten Jahren gesellten sich weitere Frauen hinzu. Oftmals seien es bis zu 20 Frauen, die sich gemeinsam treffen, um bei Sitzungen und Umzügen Spaß zu haben, sagt Ochs-Kleber. Zum 70-Jahre-Jubiläum liefen etwa 60 Frauen beim Fastnachtsumzug mit. Längst seien diese nicht nur aus Hambach. Die Veggelsbecher sind zwar kein eingetragener Verein, bekennen sich aber klar zur Habafa gehörig.

Krawatte in Schublade gesperrt

In Erinnerung ist auch die Altweiberfastnacht 1987. Die Krawatte eines Toom-Markt-Kunden wurde damals zum Versicherungsfall für den Einkaufsmarkt. Bei Anton Röckl musste der Armani-Schlips dran glauben, bekam dieser doch tatsächlich an Altweiberfastnacht im Rathaus das Bundesverdienstkreuz überreicht. Auch Gerhard Kasper entging 1988 nicht der Schere.

Als die Veggelsbecher das Pass-Amt im Rathaus stürmten, schloss Kasper seinen Schlips in der Schublade ein. Er müsse noch zu einer Kreistagssitzung.

Andrea Ochs-Kleber erwischte ihn aber beim Gang zum Auto – schnippschnapp war der Schlips ab. Im Jahr 2003 waren die Veggelsbecher Schirmherr beim Fastnachtsumzug. Inzwischen wurden sie mit einem Scherenschnitt auf einer Altstadtlaterne in der Schunkengasse verewigt.

Ochs-Kleber steht den Frauen seit der Kampagne 1986/87 vor. Schon im Alter von 14 Jahren lief sie mit Mutter Katharina Ochs mit. Ihr Vater Gustav war viele Jahre Veggelsbecher Bojemoaschder. Ochs-Kleber ist Trägerin der Kreisnarrenkette. Ihre Vorgängerinnen waren Fanny Brückner und Margot Beeh. jr/ü

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