Heppenheim. „Die Möglichkeit von Glück“ wird in ihrem gleichnamigen Roman aufgezeigt: Am Abend herrschte volles Haus im ehemaligen Sparkassen-Gebäude, hatte Forum Kultur doch Autorin Anne Rabe für die zweite Lesung der Saison gewinnen können. In der DDR geboren, im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen, verarbeitet Rabe in ihrem Roman autobiografisch, was sie erlebt hat.
In der Hauptrolle ist allerdings nicht Anne, sondern Stine. Als die Mauer fällt, ist sie gerade einmal drei Jahre alt. Doch die Familie ist tief ins System verstrickt – will das alte Leben, das als richtig und gut empfunden wurde, nicht lassen. In ihrem Werk vertritt Anne Rabe die These, dass erzieherische Gewalt und emotionale Kälte in den unter der Knute der sozialistischen Diktatur stehenden Familien in letzter Konsequenz zu den bekannten Gewaltexzessen und zum Erstarken der Rechtsextremen geführt habe. Den Kindern gehöre die ganze Liebe des Volkes und die Fürsorge des Staates – hieß es.
Doch das sei nicht zu des Kinders Vorteil gewesen. Anne Rabe polarisiert mit ihren Ansichten. Stieß dabei auch immer wieder auf Widerspruch und Widerstand. Dass der Teil der Gesellschaft, der lange in der DDR gelebt habe, mit der Demokratie überfordert sei, liege auf der Hand. Ein politisches Phänomen, das in vielen ehemals von Diktatur geprägten Nationen zu finden sei. Der Wunsch nach Führung mache die Menschen unglücklich – teilweise lasse er sie sogar verzweifeln. Gerne unterbrach Anne Rabe am Montagabend ihre Lesung, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Fragen stellen dürfen und den Austausch vorantreiben, das sei gerade bei Themen wie der eigenen Identität wichtig.
Zahlreiche Preise und ein viel diskutiertes Prosa-Debüt
Rabe selbst ist 1986 in Wismar geboren. Sie wurde bereits mehrfach als Dramatikerin, Drehbuchautorin und Essayistin ausgezeichnet. Sie arbeitete an der Geschichte der Kultserie „Warten auf’n Bus“ mit und wirkt seit einigen Jahren als Vortragende zur Vergangenheitsbewältigung in Ostdeutschland. Heute lebt die Autorin in Berlin und feierte mit „Möglichkeit von Glück“ ihr viel diskutiertes Prosa-Debüt.
Erzählt wird von Stine, die an der ostdeutschen Ostsee lebt. Um den Systemwechsel zu begreifen, ist sie beim Fall der Mauer zu jung. Doch die ideologischen Prägungen ihrer Familie schreiben sich in der heranwachsenden Generation fort.
Während Stines Verwandte die untergegangene Welt in einem Schweigen verstecken, kommen bei der Protagonistin Fragen auf, die sich nicht länger verdrängen lassen. Formal changiert diese DDR-Geschichte zwischen Erzählung und akribisch recherchierter Dokumentation, wobei viele Details zum Vorschein kommen und demonstrieren, welche deutlichen Spuren die politischen Umbrüche in der Familien-Historie hinterlassen haben.
Dabei versteht es Rabe, die Triggerpunkte zu treffen. Sie wühlt auf, verschafft aber auch Klarheit und Durchsicht. So geht die Autorin in ihrem Werk der Verwunderung einer Generation nach, die zwischen Diktatur und Demokratie aufgewachsen ist. Dabei fragt sie auch nach den Ursprüngen von Rassismus und Gewalt. Die dominante Rolle in der Kindererziehung hat im Buch wie auch in vielen Familien Stines Mutter, der Vater hält sich weitgehend heraus. Er ist ein liebevoller Vater, die Mutter ist kalt, erzieht mit grausamen Strafen und will Stine später sogar die eigenen Kinder aufgrund ihres unkonventionellen Lebenswandels entziehen lassen. pam/ü
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