Heppenheim. Ein kleines Lineal genügt, um die Größe zu bestimmen: Gerade mal 8,7 Zentimeter misst demnach die Tonfigur, die Arbeitern am 7. Dezember des vergangenen Jahres bei den Umgestaltungsarbeiten im Park am Landratsamt (heute: Marianne-Cope-Garten) in die Hände fiel.
„Wir haben den Fund umgehend der Denkmalbehörde des Kreises gemeldet“, berichtete eine sichtlich aufgeregte Erste Stadträtin Christine Bender (SPD) seinerzeit im Gespräch mit dieser Zeitung. Über die Kreisbehörde wurde der Fund schließlich bei der Abteilung „hessenArchäologie“ beim Landesamt für Denkmalpflege bekannt, wie Peter Steffens vom Landesamt in einem Gastbeitrag für die neue Ausgabe des Magazins „Respectamus“ von Stadtmuseum und Stadtarchiv berichtet.
Uraltes Kinderspielzeug?
500 Exemplare der aktuellen Aus gabe von "Respectamus" sind kos ...
Eine erste „phänotypische Einschätzung anhand von Fotos, die auch Eingang in die Presseberichterstattung gefunden hat“, habe dann recht schnell darauf hingedeutet, dass es sich um ein Fragment eines sogenannten „Kruseler Püppchens“ handeln könnte, so Steffens weiter.
Solche Figuren seien im 14. und 15. Jahrhundert als Kinderspielzeug besonders im Süden der heutigen Bundesrepublik verbreitet gewesen, hatte Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) wenige Tage nach dem Fund vom Ergebnis seiner eigenen Recherchen kundgetan. Als Quelle nutzte der Rathauschef damals in erster Linie die Internetseite der archäologischen Abteilung des Landschaftsmuseums Obermain (www.landschaftsmuseum.de).
Und auch dort heißt es: „Im 14. und 15. Jahrhundert waren die aus hellem Ton gefertigten ,Kruselerpuppen‘ in Süddeutschland sehr beliebt.“ Unter anderem die Heilige Elisabeth habe Findelkinder in einem von ihr gegründeten Hospital mit solchen Püppchen beschenkt, ist dort weiter zu erfahren.
Voluminöse Kopfbedeckung
Benannt wurden die Kruseler Püppchen nach ihrer Kopfbedeckung – „einer voluminösen, mit Rüschen besetzten Haube mit Schleier, welche zwischen 1350 und 1425 von adeligen und bürgerlichen Damen getragen wurde“. Die Materialien des Kleidungsstücks waren laut Website Seide, Leinen oder Baumwolle, die mit Stärke, Brennschere oder durch Pressen in die gewünschte Form gebracht wurden.
Ob es sich bei dem Fundstück aus dem Park am Landratsamt aber tatsächlich um ein historisches Spielzeug handelte, war bis zuletzt Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeit im Landesamt. Denn besonders die „Reste einer ehemaligen grünen Glasur“ gaben den Archäologen offenbar Rätsel auf, wie Steffens‘ Ausführungen in „Respectamus“ zu entnehmen ist.
Zu viel spricht gegen erste Annahme
Wörtlich schreibt er: „Man geht bei den ‚Kruseler Figuren‘ von einer ursprünglichen Bemalung oder einem Überzug aus, jedoch kann in den wenigsten Fällen noch eine Erhaltung nachvollzogen werden. Glasuren scheinen hingegen selten und eher zufällig entstanden zu sein. Auch wenn die Glasur mittlerweile stark verblichen ist, kann der noch erhaltene Bleiglanz des Heppenheimer Exemplars nicht als zufällig eingestuft werden.“ Auch sei „die dreieckige Vertiefung im abgebrochenen Brustbereich“, die das vermeintliche Püppchen aus dem Heppenheimer Park aufweise, „bei den plastischen Figuren kaum bis gar nicht zu finden“. Zudem widerspreche die noch vorhandene Größe des weiblichen Kopfes von rund 8 Zentimetern der Interpretation einer klassischen zehn bis 17 Zentimeter messenden „Kruseler Puppe“.
Nehme man letztlich alle Faktoren zusammen, so könne es sich bei dem Fundstück aus der Kreisstadt doch nicht um ein solches Püppchen handeln, folgert Steffens. Seiner Meinung nach kann es sich vielmehr „nur um ein Fragment einer Ofenkachel, einer sogenannten ‚Ofen-Kranz-Kachel‘, also der Bekrönung eines Kachelofens“ gehandelt haben. „Hierzu finden sich zahlreiche Vergleichsbeispiele“ – unter anderem aus Dieburg.
Von einem Kachelofen
Frühe Kachelöfen seien ab dem 9./10. Jahrhundert sowohl im städtischen wie ländlichen und ebenso im sakralen wie profanen Umfeld aufgetreten. „Vermutlich entstanden sie im alpinen Raum und dem nördlichen Alpenvorland“, so Steffens weiter. „Der primäre Zweck diente dabei den Annehmlichkeiten eines rauchfreien und Strahlungswärme liefernden Heizsystems, welches langanhaltend für konstante Wärme sorgte und gleichermaßen der Repräsentation diente“, schreibt der Mitarbeiter des Landesamts für Denkmalpflege.
Die genaue Ausgestaltung der Kachel, die einst von dem „Heppenheimer Exemplar“ gekrönt wurde, bleibe trotz aller Recherchen unbekannt und lasse nur Spekulationen zu, so Steffens abschließend – auch weil das „Bruchstück auf das weibliche Haupt reduziert“ sei.
Gleichwohl lege der Fundort nahe, „dass es sich um die Bekrönung eines Ofens in der nördlich oder östlich anschließenden Bebauung des spätmittelalterlich-neuzeitlichen Stadtgebiets handelte“. Diese sei letzten Endes wahrscheinlich als Abbruchschutt in die Verfüllung des Stadtgrabens um die mittelalterliche Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert gelangt, der wiederum einst unter dem heutigen Stadtpark verlief.
Von besonders großem archäologischem Wert scheint die kleine Tonfigur demnach nicht zu sein. „Dennoch können wir den Fund nun zeitlich einordnen“, befindet Bürgermeister Rainer Burelbach auf Nachfrage dieser Zeitung. Weiter sagt er: „Zudem konnten wir neue Erkenntnisse über das Leben im Mittelalter gewinnen.“ Von Frust oder Enttäuschung könne deshalb mitnichten die Rede sein.
Vielmehr sind Burelbach und die Leiterin des Stadtmuseums, Luisa Wipplinger, froh darüber, dass die kleine Tonfigur schon wieder in ihren Heimatort zurückgekehrt ist. Seit Ende der vergangenen Woche zählt das Fundstück nämlich zu den Ausstellungsstücken des Museums im Amtshof. fran/ü
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