Einhausen. „Die Corona-Pandemie hat uns niedergemacht“, beschreibt Ingrid Haeberle mit drastischen Worten die Entwicklung des Netzwerks Flüchtlingshilfe in Einhausen. Seit den Anfängen im Jahr 2014 engagiert sich die Einhäuserin in der bewusst nicht als Verein eingetragenen Organisation, die ursprünglich aus der evangelischen Kirchengemeinde hervorgegangen war. Sie hat miterlebt wie sich ab 2015 teilweise an die engagierte 30 Bürgerinnen und Bürger in den verschiedensten Bereichen um die in der Weschnitzgemeinde ankommenden Flüchtlinge kümmerten. Heute sind es gerade noch fünf Personen, die sich dauerhaft einbringen.
Drei davon, Ingrid Haeberle, Christoph Roth und Ingrid Gärtner, hatten jetzt zu einem Pressegespräch in den Garten eines von der Gemeinde als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung gestellten Wohnhauses eingeladen.
Dort wohnt aktuell die neunköpfige Familie Safi, die im April aus Afghanistan nach Deutschland geflohen war. Die Betreuung des Ehepaars mit ihren sieben Kindern war in den vergangenen Monaten eine der Hauptaufgaben, denen sich die Netzwerk-Helfer widmeten. „Die Familie kam mit nichts hier an, sprach kein Deutsch“, berichtet Ingrid Haeberle. Und nichts, heißt nichts, also auch kein Geld, führt Christoph Roth aus. Zur Versorgung habe es zu Beginn Gutscheine vom Jobcenter gegeben. Bis erste Zahlungen als Unterstützungsleistungen eingingen, habe es eineinhalb Monate gedauert. „Wir haben privat Geld vorgelegt, um Lebensmittel kaufen zu können“, sagt Roth. Ausgaben, die später über das Budget des Netzwerkes erstattet wurden.
Hoffnung auf Zukunft als Fahrer
„Ich danke den deutschen Behörden und natürlich den Menschen vom Netzwerk, die viele Probleme gelöst haben“, sagt Achmed Farid Safi auf Englisch im Gespräch mit unserer Zeitung. Der 42-jährige Afghane, der zusammen mit seiner Frau und sieben Kindern nach Deutschland geflohen ist, war in seiner Heimat als Kraftfahrer tätig.
In diesem Bereich sieht er auch seine berufliche Zukunft in Deutschland. Bevor er jedoch den hierfür benötigten deutschen Führerschein machen kann, müsse er erst einmal noch besser Deutsch lernen, sagt er. Einhausen gefalle ihm und seiner Familie. „Die Menschen sind sehr gut“, sagt er.
Die Familie Safi hat mittlerweile einen Anerkennungsstatus als Flüchtlinge. Das ist für sie einerseits eine gute Entwicklung, andererseits bedeute der damit verbundene Aufenthaltstitel auch, dass sie eigentlich aus der vom Kreis zugewiesenen Flüchtlingsunterkunft ausziehen müssen, erklärt Christoph Roth. Privat eine Wohnung zu finden für die große Familie sei jedoch kaum möglich. kel
Die Ehrenamtlichen halfen bei Behördengängen und notwendigen Arztbesuchen. Ein durchaus kniffliges Unterfangen. Denn bis der Familie eine Krankenkassenkarte ausgestellt wurde, habe es ganze zwei Monate gedauert. „Da muss man bei einem Unfall erst einmal einen Arzt finden, der ohne Vorlage einer Versicherungskarte behandelt“, sagt Ingrid Haeberle.
Ingrid Gärtner kümmerte sich unterdessen darum, die Unterkunft mit dringend notwendigen Möbeln und Haushaltsartikeln auszustatten. „Nach einem Aufruf haben wir viele Spenden aus Einhausen erhalten“, berichtet sie. Von Bettwäsche über Handtücher und Geschirr bis hin zu dem Set gebrauchter Gartenmöbel, an dem das Pressegespräch stattfindet. Das alles ist jedoch nur mit erheblichen Zeitaufwand möglich.
„Sollte eine weitere geflüchtete Familie dieser Größe nach Einhausen kommen, schaffen wir das aktuell nicht mehr“, sagt Christoph Roth mit Blick auf die zusammengeschrumpfte Zahl an Helfern im Netzwerk.
Wichtige Hausaufgabenhilfe
Denn neben der individuellen Unterstützung von Geflüchteten bei der Eingliederung in Einhausen hat das Netzwerk noch zahlreiche weitere Aufgaben übernommen. Ingrid Haeberle kümmert sich beispielsweise um die Hausaufgabenbetreuung von Kindern aus Flüchtlingsfamilien an der Grundschule. Vor Corona habe man einen Pool von rund 25 Helfern gehabt, die sich in diesem Bereich engagierten. An drei Tagen in der Woche war man an der Schule, um den Mädchen und Jungen, die zum Teil ohne Deutschkenntnisse den Unterricht besuchten, bei der Bewältigung des Schulstoffes zu helfen. Gleichzeitig verbesserte sich dabei auch das Sprachverständnis. „Zu sehen, wie schnell Kinder eine Sprache lernen. Das ist beglückend“, sagt Ingrid Haeberle.
Mängel kurzfristig behoben
Kritik äußerten die Mitglieder des Netzwerks Flüchtlingshilfe an dem Zustand der Unterkunft. Das Haus gehört der Gemeinde und wird dem Kreis zur Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt.
Beim Pressegespräch mit unserer Zeitung bemängelten die Netzwerk-Helfer fehlende Brandmelder, offene Steckdosen und eine zerbrochene Arbeitsplatte in der Küche. „Da hängt die Spüle halb herunter“, sagt Christoph Roth.
„Die meisten der Probleme habe man kurzfristig beheben können“, sagt Bürgermeister Helmut Glanzner jetzt auf Nachfrage unserer Zeitung. Die defekten Steckdosen seien ausgetauscht worden, die Brandmelder vollzählig. Die Warngeräte seien bei den vorherigen Nutzern, also nicht bei der Familie Safi, abhanden gekommen. Mit der Reparatur der Spüle habe die Gemeinde einen Schreiner beauftragt, der aber bislang dafür noch keine Zeit gefunden habe. kel
Während der Pandemiebeschränkungen sei dann kaum noch eine Schulkindbetreuung möglich gewesen. Ein Treffen in der Schule war aus Infektionsschutzgründen nicht möglich. „Wir durften dann ja nicht einmal mehr die Häuser der Unterkünfte betreten“, sagt Ingrid Haeberle. Mittlerweile seien nur noch zwei Ehrenamtliche im Netzwerk übrig geblieben , die sich bei der Hausaufgabenhilfe einbringen. Einmal in der Woche, jeweils donnerstags, kann die Unterstützung für die Grundschüler angeboten werden. Deren Anzahl hat jedoch auch abgenommen. Bis zu 13 Mädchen und Jungen aus geflüchteten Familien nutzten vor einigen Jahren gleichzeitig das Angebot. Aktuell seien es noch fünf, so Ingrid Haeberle. Die Zahl kann sich aber schnell wieder vergrößern, sollten wieder mehr Flüchtlinge nach Einhausen kommen.
Aktuell seien es viele ehemalige Hilfskräfte der Bundeswehr, die nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan in Deutschland Schutz suchen.
Ähnlich wie mit der Hausaufgabenhilfe für Kinder verlief die Entwicklung bei den Deutsch-Nachhilfe-Kursen für Erwachsene. Vor den Pandemiebeschränkungen konnte Christoph Roth auf ein Team an Helfern zurückgreifen, die ihn bei der Aufgabe unterstützten. In der Flüchtlingsunterkunft in der Friedhofstraße hatte man seinerzeit mehrere Gruppen unterrichtet. Mittlerweile sei er der Einzige, der sich noch um diese Aufgabe kümmert.
Das Einhäuser Netzwerk Flücht lingshilfe sucht noch dringend ...
„Wir suchen daher dringend weitere Mitstreiter“, sagen Ingrid Haeberle, Ingrid, Gärtner und Christoph Roth beim Pressegespräch unisono. Neben ihnen engagieren sich aktuell für die Flüchtlingshilfe noch Gisela Storck, die beispielsweise Vorhänge für die Unterkunft genäht hat, und Uli Rother, der gespendete gebrauchte Fahrräder repariert und den Einhäuser Flüchtlingen zur Verfügung stellt.
Auf die Frage, warum sie sich engagiert, sagt Ingrid Haeberle: „Das ist eine schöne und wichtige Aufgabe, die Spaß macht.“ „Man lernt Menschen aus anderen Kulturen kennen und spürt die Dankbarkeit der Leute“, ergänzt Christoph Roth. Niemand müsse Angst haben, für die Aufgabe nicht qualifiziert zu sein. „Weder beim Unterricht für Erwachsene noch bei der Hausaufgabenhilfe benötigen wir ausgebildete Deutschlehrer.“
Und letztlich könne jeder auch selbst entscheiden, wie und wo er sich einbringen möchte. Nicht jedem sei es etwa gegeben, sich mit Behörden oder Versicherungen auseinanderzusetzen.
Feste und Ausflüge nicht möglich
Beispielsweise im Freizeitbereich: Leider könne aufgrund der stark verkleinerten Helferschar Vieles nicht mehr angeboten werden, was Freude bereitet. Vor der Pandemie hatte man beispielsweise regelmäßig Ausflüge organisiert, Feste veranstaltet und einen Frauenstammtisch abgehalten . „Wir sind dafür derzeit aber einfach zu wenige Leute“, sagt Ingrid Haeberle.
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