Bensheim. Nur etwa die Hälfte der Plätze im Parkett war besetzt, als am Samstagabend die vorletzte Vorstellung der diesjährigen „Woche junger Schauspieler und Schauspielerinnen“ im Parktheater über die Bühne ging. Schade, denn die Performance des internationalen Kollektivs BOYS* IN SYNC bot eine Reihe starker Momente. Gleichzeitig verlangte sie vom Publikum eine andere Art der Rezeption als ein klassisches Theaterstück mit linearem Handlungsverlauf.
„Once we were enemies. And now we are friends“ – mit dreifach variierten Zitaten aus der Rede von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor dem Nordischen Rat im Oktober 2023 setzte der Prolog den großen gesellschaftspolitischen Rahmen. Mal aggressiv, mal flehend vorgetragen, offenbarten die Performer die propagandistische Dimension emotionaler Reden. Was folgte, war eine ebenso komische wie entlarvende Demaskierung medialer Vermittlung am Beispiel der Kommentierung des Großen Zapfenstreichs zur Verabschiedung von Angela Merkel im Dezember 2021. Gleichzeitig verdeutlichte die Performance die leeren Rituale und die Uniformität des Militärs, in dem das Individuum in der Gleichmacherei verschwindet. Insbesondere der erste Teil war oft sehr lustig. Gnadenlos sezierte das Kollektiv die mechanischen Abläufe des Militärs. Die gebrüllten Kommandos wirkten durch die Akzente der nicht deutschsprachigen Darsteller noch grotesker.
Performance lebte von Bildern, die im Kopf des Publikums bereit vorhanden waren
Ein eindrucksvolles Bild bot auch die Parodie des Dirigenten des Stabsmusikkorps der Bundeswehr Reinhard Kiauka, der mit zackigen, fast automatisierten Bewegungen die drei von der scheidenden Bundeskanzlerin gewünschten Musikstücke dirigierte. Zu hören waren die Musikstücke dabei zunächst nicht, später gab es aber doch noch großartige Versionen von „Großer Gott, wir loben dich“ über „Für mich soll‘s rote Rosen regnen“. Musik, die eigentlich dem Leben dienen sollte, wurde hier zum Teil einer Maschinerie, die potenziell zum Tod führt. Bildhaft wurde dies in der Performance auch durch mehrere Pantomimen mit dem Dirigentenstab dargestellt – mal als Golfschläger, mal als Schreibgerät, mal als tödliches Accessoire, das an popkulturelle Fiktionen erinnert.
Zu den eindringlichen ernsteren Passagen zählte die eingeschobene Beschreibung einer Szene aus der oscarnominierten Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“, rein verbal, mit minimaler gestischer Unterstützung erzeugte der Darsteller Gefühle, die unter die Haut gingen.
Die Performance lebte von Bildern, die im Kopf des Publikums bereits vorhanden sind und von den Spielern gezielt abgerufen wurden. Ursprünglich für fünf Schauspieler konzipiert, musste die internationale Gruppe in Bensheim mit den drei Darstellern Gregers Hansen, Jakob Schnack Krog und Simon David Zeller auskommen, weil die beiden andern aus Termingründen nicht nach Bensheim kommen konnten. So wurde die Vorstellung zu einer Art Premiere, die für die Spieler mit einigen Unwägbarkeiten verbunden war. Dass das Wagnis gelungen war, zeigte der anhaltende Applaus und das rege Interesse am Nachgespräch.
Inszenierung griff immer wieder den historischen Kontext auf
Die Idee zu diesem Stück entstand bereits vor zwei Jahren. Seit seiner Premiere in Kopenhagen gewann es an Brisanz: Während Deutschland über Jahrzehnte als nicht-militärische Kraft wahrgenommen wurde, fordert die internationale Gemeinschaft hier inzwischen ein stärkeres Engagement – insbesondere in Bezug auf den Ukraine-Krieg. Doch die Vergangenheit bleibt präsent: Der Große Zapfenstreich, eine vermeintlich unbeschwerte Zeremonie, wurde im Bendlerblock in Berlin abgehalten – einem Ort, der sowohl an die Hinrichtung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 erinnert als auch an seine Geschichte als Standort der Heeresleitung des NS-Staats – Umstände, die von den immer wieder ins Spiel kommenden TV-Kommentatoren diskret als „historical reasons“ zusammengefasst wurden.
Die Inszenierung griff diesen historischen Kontext immer wieder auf – unter anderem durch die Verwendung eines Transkripts der Originalmoderation der Deutschen Welle zum Großen Zapfenstreich. Ein kluger dramaturgischer Griff, der die Grenzen zwischen Dokumentation und Interpretation verschwimmen ließ. Wie bereits in den vorangegangenen Stücken des Festivals wurde hier ein gesellschaftlich hochaktuelles Thema verhandelt – mit einer Mischung aus Satire, Ernst und visueller Eindringlichkeit.
Das Nachgespräch moderierte Jurorin Johanna Wehner, die auch die Einführung gestaltet hatte. Zur Sprache kam die Entstehungsgeschichte des Stücks von der ersten Idee vor zwei Jahren bis zur Premiere in Kopenhagen und den Aufführungen unter anderem im Berliner Ballhaus Ost und den Modifikationen, die für die Bensheimer Aufführung nötig waren.
Inhaltlich wie ästhetisch wurde die Performance von allen Ensemblemitgliedern gemeinsam erarbeitet, wobei besonderer Wert auf das choreografische Element gelegt wurde. Die Frage, wie sich aus den steifen Bewegungsmustern des Militärs tänzerische Ausdrucksformen ableiten lassen, wurde mit großer Präzision untersucht. Seit der ersten Idee habe das Thema an Dringlichkeit gewonnen, sagten die Schauspieler, weil man der Frage der Aufrüstung nicht mehr ausweichen könne. So trage er deren Notwendigkeit durchaus mit, sagte etwa Simon David Zeller, „aber mit Schmerz“.
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