Bensheim. Das Theaterstück „Das schweigende Mädchen“ von Elfriede Jelineks ist eine herausfordernde Inszenierung, die sich mit den Themen Rassismus, Rechtsextremismus und gesellschaftliches Schweigen in Deutschland auseinandersetzt. Ein Theaterstück von 224 Seiten Umfang, das normalerweise acht bis neun Stunden dauern würde – und doch wurde „Das schweigende Mädchen“ in ca. 70 Minuten auf die Bühne gebracht.
Das Bühnenbild ist minimalistisch, aber symbolträchtig gestaltet: weiße Wände mit weißen Pyramidenplatten aus Schaumstoff, ein Kronleuchter und in der Mitte eine große Blutlache. Diese wird zunächst von den Schauspielern gemieden, später jedoch genutzt, um sich mit dem Blut einzureiben oder es an die Wände zu schmieren – ein kraftvolles Bild für die Konfrontation mit Schuld und Gewalt. Ergänzt wird das Setting durch neun Stühle, passend zur Anzahl der Darsteller.
Im Verlauf der Inszenierung wird das Bild immer chaotischer: Erde wird aufgetragen, an Wände geschmiert, Absperrbänder installiert – eine visuelle Metapher für die Verwüstung, die der NSU-Komplex und rechtsextreme Gewalt in Deutschland hinterlassen haben. Besonders eindrucksvoll ist der Moment, als eine der Wände aufbricht und eine Gottfigur auftritt. Seine Worte – eine Anklage an die Menschheit, er habe uns nicht so erschaffen, wie wir heute sind – wirken wie ein moralisches Urteil über unsere Gesellschaft.
Die schauspielerische Leistung war herausragend. Die Darsteller zeigten eine beeindruckende körperliche Präsenz und ihre Bewegungen waren kraftvoll. Der Ausdruck reichte von völliger Erstarrung bis hin zu lautstarken Ausbrüchen. Besonders auffällig war, dass oft eine Person sprach, während die anderen still blieben, sich mit scheinbar nebensächlichen Handlungen beschäftigten – etwa den Boden putzten oder an die Wand starrten. Diese Darstellung unterstreicht die zentrale Botschaft des Stücks: Das Schweigen der Gesellschaft gegenüber Unrecht und Gewalt.
Interessant war die direkte Einbindung des Publikums. Die Inszenierung durchbrach die Trennung zwischen Bühne und Publikum, wodurch das Publikum nicht nur Beobachter blieb, sondern selbst Teil der Inszenierung wurde – so wurde etwa ein Zuschauer direkt in das Stück eingebunden, als ein Schauspieler ihm ein Blatt reichte, das er laut vorlesen musste. Diese Einbindung sorgte für eine unmittelbare Konfrontation mit dem Thema des Stücks und verstärkte nochmal das Gefühl der Verantwortung, das es vermitteln wollte. Trotz des schweren und bedrückenden Themas gab esimmer wieder Lacher unter den Zuschauern. Die Publikum bestand größtenteils aus älteren Zuschauern und nur einzelnen Jugendlichen.
Die Musik und Soundeffekte spielten eine zentrale Rolle, indem sie die Dramatik verstärkten. In besonders intensiven Momenten wurde das Licht von hell auf blau umgestellt oder das Licht wurde nur auf die sprechenden Personen gezielt, was die Spannung steigerte.
Jelinek schafft mit „Das schweigende Mädchen“ ein verstörendes, aber wichtiges Theatererlebnis, das das Publikum zwingt, sich mit den Schattenseiten der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Eine Inszenierung, die lange nachhallt!
Der Autor ist Schüler am AKG Bensheim und nimmt am Projekt „Theaterkritik“ der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste teil.
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