Interview

„Die Stadtpolitik in Bensheim braucht den Druck von außen“

Vorstandsmitglieder der Wirtschaftsvereinigung im Interview: Jan Siefert und David Reckeweg-Lecompte machen Vorschläge zur grundlegenden Reformierung der Verwaltung.

Von 
Anna Meister
Lesedauer: 
Blick auf das Gewerbegebiet Stubenwald. Nun hat sich in der Debatte um die Sanierung des Bensheimer Haushaltes auch die Wirtschaftsvereinigung Bensheim zu Wort gemeldet. © Thomas Neu

Bensheim. Damit die Stadt Bensheim es schaffen kann, ihren Haushalt innerhalb der kommenden fünf Jahre zu sanieren, braucht es einen strikten Sparkurs. Diesen kann die Verwaltung allerdings nur dann fahren, wenn die Stadtpolitik mit ihren Entscheidungen einen klaren Weg vorgibt und es schafft, Einzelinteressen hinter das Wohl der Allgemeinheit zu stellen, betonen die Vorstandsmitglieder der Wirtschaftsvereinigung Bensheim (WVB), Jan Siefert und David Reckeweg-Lecompte, im Interview mit der BA-Redaktion.

Dabei werden nicht nur harte Einschnitte bei den freiwilligen Leistungen der Stadt nötig sein: Die Verwaltung muss sich grundlegend reformieren, fordern die beiden. Und bieten Hilfe der Wirtschaft an.

Wie bewerten Sie als Vertreter der Bensheimer Unternehmen die finanzielle Lage der Stadt Bensheim und die bisherigen Bemühungen von Verwaltung und Politik, Gelder einzusparen und zu generieren?

Jan Siefert: Als Vorstand der Wirtschaftsvereinigung, die einen großen Teil der in Bensheim ansässigen Unternehmen repräsentiert, sind wir der Auffassung, dass die Stadt der desaströsen Haushaltslage nicht nur mit Einnahmenerhöhungen begegnen darf – etwa mit der Erhöhung der Grundsteuer B. Sie trifft nicht nur jeden einzelnen Bürger, sondern ebenso die Unternehmen, und zwar nicht unerheblich. Vielmehr muss jetzt die Ausgabenseite auf den Prüfstand kommen. Dazu zählt neben dem Bereich der freiwilligen Leistungen der Stadt, wie etwa Unterstützungsleistungen für Vereine oder der vielzitierte Windelcontainer, auch die Effizienz und die zukunftsgerichtete Aufstellung der Stadtverwaltung.

Was war Ausschlaggeber dafür, dass sich die WVB in diese Angelegenheit „einmischt“?

David Reckeweg-Lecompte: Es wäre natürlich leichter gewesen, wie viele andere einfach nur lautstark zu kritisieren und die Stadtverwaltung bei der Bewältigung dieser Aufgabe ihrem Schicksal zu überlassen. Wir vermissen bisher allerdings in der Politik das notwendige Bewusstsein für die Dringlichkeit der Angelegenheit, insbesondere was die nachhaltige Veränderung der Kostenstrukturen der Stadt angeht. Unsere Ursprungsidee war es, dem Magistrat und den Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung aktiv beim Start des Transformationsprozesses der Verwaltung unter die Arme zu greifen. Wir wollten nicht an der Seitenlinie stehen und kritisieren, sondern uns aktiv einbringen.

Also finanziell?

Siefert: Unter dem Gesichtspunkt, dass die Stadtverordnetenversammlung klar beschließt, die für die Reformation der Verwaltung nötigen Mittel in den kommenden Haushalt einzustellen und damit den Stein ins Rollen zu bringen, waren wir bereit, einen finanziellen Beitrag zur Finanzierung einer externen Analyse der Verwaltung zu leisten. Generiert werden sollte die Summe einerseits aus dem Vereinsvermögen, andererseits aus freiwilligen Beiträgen unserer Mitgliedsunternehmen. Diese Mittel, wir reden über einen gehobenen fünfstelligen Betrag, hätten zum Beispiel dafür eingesetzt werden können, notwendige externe Beratungsleistungen einzuholen. Im Vorfeld haben wir sowohl mit dem Magistrat als auch den Fraktionsvorsitzenden über unsere Idee gesprochen.

Und wie war die Reaktion?

Siefert: Alle haben sie gutgeheißen. Aber es gab natürlich noch keine verbindlichen Zusagen, das hatte ich aber zu diesem Zeitpunkt auch nicht erwartet.

Waren viele Ihrer Mitgliedsunternehmen interessiert, mitzumachen?

Reckeweg-Lecompte: Tatsächlich hatten wir eine Quote von etwa zehn Prozent erreicht. Was viel ist, wenn man den Umstand betrachtet, dass die Unternehmen ab dem kommenden Jahr ebenso wie die Privatpersonen die wohl unausweichlich höhere Grundsteuer zahlen müssen. Viele hätten diese Belastung trotzdem auf sich genommen.

Am Ende hat sich dieses Vorhaben allerdings wieder zerschlagen – wieso?

Siefert: Uns war bewusst, dass dieser Vorschlag natürlich auch rechtlich abgesichert sein muss. Sowohl die Bürgermeisterin als auch wir haben hierzu Anfragen, unter anderem beim Hessischen Städtetag, gestellt. Der kommt zur Einschätzung, bei unserem Angebot könne es sich um Sponsoring handeln, also die Bereitstellung von Geldern durch juristische oder natürliche Personen, die neben gemeinnützigen Zielen auch eigene Interessen verfolgen.

Der Vorsitzende der Bensheimer Wirtschaftsvereinigung, Jan Siefert findet: Die Stadtpolitik braucht Druck, um ins Handeln zu kommen. © Thorsten Gutschalk

Reckeweg-Lecomte: Grundsätzlich ist Sponsoring zulässig, darf aber nicht zu einer Einflussnahme auf öffentliche Verwaltungsaufgaben führen. Genau das sah der Städtetag allerdings als gegeben, und damit wäre es der Stadt nicht möglich, eine solche Unterstützung unter diesen Bedingungen anzunehmen. Natürlich liegt die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Stadt auch im Interesse der Unternehmen. Je schneller wir zu einer effizienteren Verwaltung kommen, desto besser. Ausgehend von der maroden Situation der städtischen Finanzen muss jede Gelegenheit zu deren Verbesserung genutzt werden, eben nicht nur Einnahmeerhöhungen.

Was bleibt nun von Ihrer Idee übrig?

Siefert: An unserer Grundüberzeugung hat sich nichts geändert. Die Stadtverordneten als politische Entscheidungsträger und Vertreterinnen und Vertreter der Bürger sowie der Magistrat müssen neben den ohnehin notwendigen Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen der Stadt jetzt die Organisation der Stadtverwaltung und der Eigenbetriebe genaustens unter die Lupe nehmen. Dabei darf nicht nur der Status quo erfasst oder ein Vergleich mit anderen Kommunen gemacht werden. Mit der Beauftragung der Analyse muss auch gleichzeitig die Verpflichtung zur Umsetzung beschlossen werden. In der Vergangenheit konnten wir schließlich schon mehrfach beobachten, dass die politische Willensbildung auch nach bereits getroffenen Entscheidungen fortschreitet und diese dann zu Teil auf den Kopf stellt – das jüngste Beispiel ist die Anmietung der Räume für die Stadtbibliothek.

Weshalb braucht es für diese Analyse eigentlich den externen Blick? Und was kostet die?

Siefert: Mitarbeiter, die täglich mit den Prozessen arbeiten, sind oft „betriebsblind“ und nehmen ineffiziente Abläufe als gegeben hin. Das ist nicht nur in der Verwaltung so, sondern auch in Unternehmen. Eine externe Analyse bringt einen frischen, neutralen Blick mit und kann Problembereiche identifizieren, die intern übersehen werden. Externe Berater sind spezialisiert in der Prozessanalyse und Effizienzsteigerung. Dieser Vorschlag soll den Mitarbeitenden der Verwaltung keinesfalls ihre Expertise absprechen. Allerdings bringt eine solche Analyse einen enormen Arbeitsaufwand mit sich, der neben dem Tagesgeschäft geleistet werden muss. Die Verwaltung kann sich so auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.

Reckeweg-Lecompte: Die externe Analyse bringt den Vorteil, unabhängig und objektiv zu sein. Diese Erkenntnisse liefern dann Handlungsrahmen, den die Verwaltung und Stadtverordnete politisch wie inhaltlich ausgestalten können.

Siefert: Je nach Umfang des Beratungsauftrags rechnen wir mit mehreren hunderttausend Euro. Und mindestens für Teilbereiche der Aufgabenstellung gibt es sogar Beratungsfirmen in Bensheim, die so etwas können.

Worte wie „grundlegende Transformation“ könnten vor allem beim Verwaltungspersonal für Verunsicherung sorgen. Was genau meinen Sie damit?

Siefert: Was damit auf keinen Fall gemeint ist, einen Kahlschlag beim Personal vorzunehmen. Schon jetzt macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar, und diese Entwicklung wird sich mit dem demografischen Wandel in den kommenden Jahren verstärken. Die Verwaltung ist nicht per Definition ineffizient. Allerdings haben sich ihre Aufgaben in den vergangenen Jahrzehnten extrem verändert, es sind viele Doppelstrukturen und komplexe Verflechtungen entstanden, die nur noch schwer zu überblicken sind. Die Zeiten, in denen ein Zuwachs an Aufgaben mit einem Zuwachs an Personal kompensiert werden konnten, sind vorbei.

WVB-Vorstandsmitglied David Reckeweg-Lecompte. © Arkadius Koll

Sowohl aus personeller als auch finanzieller Hinsicht?

Reckeweg-Lecompte: Richtig. Die Stadtverwaltung wird – wie alle anderen Betriebe auch – in den kommenden fünf Jahren und darüber hinaus einer erheblichen demografisch bedingten Fluktuation ausgesetzt sein, die das bisher bekannte Maß übertreffen wird. Schließlich gehen die Baby-Boomer auch in der Verwaltung in Rente. Dieser im Sinne von Einsparung willkommene „natürlicher“ Personalabbau kann aber nur genutzt werden, wenn die entsprechenden Veränderungen der Prozesse, die den Betrieb mit weniger Ressourcen erst erlauben, rechtzeitig eingeleitet werden.

Siefert: Wenn das jetzt nicht passiert, wird es nicht nur sehr schwer, daraus Einsparungen zu generieren, sondern es droht ab einem bestimmten Punkt die teilweise Handlungsunfähigkeit der Kommunen – übrigens kein Problem für Bensheim alleine, sondern so in nahezu allen öffentlichen Verwaltungen. Hier rächt sich die vollkommen unzureichende Digitalisierung der Verwaltungen. Wir schlagen nur das vor, was wir bei unseren Unternehmen in vergleichbarer Lage auch tun würden, sparen und die Effizienz verbessern.

Was sind in Ihren Augen zentrale Punkte bei der Aufstellung des Haushaltes für 2025?

Siefert: Es wird sicher interessant sein, ob und wenn ja welche Maßnahmen, die 2024 nicht umgesetzt wurden, es auf die Liste schaffen und welche Interessen dahinter stehen. Die Stadtpolitik muss im Interesse der Bürgerinnen und Bürger mutig entscheiden, was sich die Stadtgesellschaft noch leisten soll, die Verwaltung setzt diese Entscheidungen dann um. Eine monatelange Diskussion um einen Windelcontainer oder um Hundekotbeutel können wir uns nicht mehr erlauben.

Wieviel sollte denn gespart werden, bei Unternehmen heißt es, fünf Prozent gehen immer, das wären im Bensheimer Haushalt rund sechs Millionen Euro.

Siefert: Bei den freiwilligen Leistungen muss dort, wo kein nachhaltiger Schaden droht, weiter gekürzt werden. Dabei sollte der Fokus auf die freiwilligen Zahlungen der Gemeinde gelegt werden. Dort muss die Verwaltung einsparen, vorangehen sollte dieser Prozess zunächst durch pauschale Kürzungen, die ausnahmslos alle Bereiche betreffen. Danach ist es wichtig, sich die einzelnen Posten anzuschauen und im Sinne der Lebensqualität oder sozialer Belange gegebenenfalls nachzujustieren.

Mehr zum Thema

Interview

Bensheims Bürgermeisterin über das Angebot der WVB

Veröffentlicht
Von
Anna Meister
Mehr erfahren

Haushalt BA-Leserforum: Frühzeitige Info statt Blick in die Glaskugel

Veröffentlicht
Mehr erfahren
Finanzausschuss

"Erst sparen, dann über Steuern in Bensheim diskutieren"

Veröffentlicht
Von
Anna Meister
Mehr erfahren

Reckeweg-Lecompte: Im Übrigen haben wir nicht den Eindruck, die Stadt wolle die Lage einfach aussitzen. Was es allerdings braucht, ist ein politisches Bekenntnis zum Handeln. Dabei wird man sich nicht mit jeder Entscheidung beliebt machen, die Sanierung des Haushaltes und die Neuaufstellung der Verwaltung werden anstrengend. Deswegen ist es umso wichtiger, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Dieser Prozess muss von Beginn an transparent sein, denn nur so kann Akzeptanz entstehen.

Was versprechen Sie sich von der Bürgerversammlung zum Thema Haushalt am 12. Dezember?

Siefert: Selbstverständlich werden wir als WVB unsere Position dort öffentlich vertreten. Es bleibt zu hoffen, dass die durch unseren Versuch in Gang gekommene Diskussion zu einem Nachdenken über die Situation und die notwendigen Weiterentwicklungen führen wird – unabhängig von den Finanzierung. Die Stadtpolitik als treibende Kraft muss der Verwaltung den Auftrag zum Umbau erteilen und sie mit den dafür notwendigen Mitteln ausstatten. Und dieser Prozess muss jetzt beginnen.

Redaktion

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

VG WORT Zählmarke
  • Winzerfest Bensheim