Bensheim. „Die Architektur unterhalb der Mathildenhöhe“ war der Vortrag von Frank Oppermann betitelt, zu dem die Metzendorfgesellschaft am Donnerstagabend in die Michaelsgemeinde eingeladen hatte.
Mit dieser Formulierung klang schon an, was der einstige Bensheimer Stadthistoriker, ehemaliger Professor an der Hochschule Darmstadt und Experte für das Werk von Heinrich Metzendorf in den Fokus nehmen würde: Nämlich nicht primär die Bauten der im Jahr 1901 veranstalteten, spektakulären ersten Ausstellung auf der Mathildenhöhe, die 2021 als Zentrum des Jugendstils in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde.
Beleuchtet wurden als Gegenpol unter anderem die Gebäude der dritten Ausstellung 1908, an der nur hessische Künstler und Handwerker teilnehmen sollten, und die als Schwerpunkt eine Kleinwohnungskolonie hatte, die zeigen sollte, dass guter Wohnraum auch mit geringen finanziellen Mitteln geschaffen werden konnte. Dazu begrüßte die Vorsitzende der Metzendorfgesellschaft Bettina Hesse an die 50 Gäste, darunter auch von weit her angereiste Freunde der Metzendorf-Architektur.
Margarethenhöhe in Essen machte den Architekten bekannt
Der Vortrag beschäftigte sich mit dem Werk der Brüder Heinrich und Georg Metzendorf, von denen der ältere, Heinrich, an der Bergstraße allein schon durch die Vielzahl seiner Bauten der bekanntere sein dürfte, während der jüngere Georg, zunächst Mitarbeiter im Büro des älteren Bruders war und unter anderem vermutlich einen Teil der wegweisenden Ideen hatte, die 1904 in den Werkmeister-Wohnungen in der Bensheimer Friedhofstraße verwirklicht wurden und den Ansatz verfolgten, Formen aus der Villenarchitektur durch „Eindampfen“ auf ein finanzierbares Niveau zu bringen.
Überregional ist Georg Metzendorf durch den Bau der Siedlung Margarethenhöhe in Essen in den Jahren 1906 bis 1938 bekanntgeworden, die als erste deutsche Gartenstadt gilt und rund 12000 Menschen aus den „minderbemittelten Klassen“ hochwertigen Wohnraum bot.
Dass Georg Metzendorf im Alter von nur 33 Jahren von der Margarethe-Krupp-Stiftung diesen verantwortungsvollen und innovativen Planungsauftrag bekam, ist seinem Entwurf für die Hessische Landesausstellung 1908 zu verdanken, sagte Oppermann. Sechs große Firmen traten dort als Sponsoren für modellhafte Arbeiterhäuser auf, im Gedanken, später selbst Werkswohnungen zu bauen, ähnlich wie das Wilhelm Euler in Bensheim tat. Sein Arbeiterhaus plante Georg Metzendorf in Weiterentwicklung der bei den Bensheimer Werkmeister-Wohnungen begonnenen Überlegungen sehr funktional und mit technischen Innovationen versehen, zugleich aber deutlich dem Handwerk und der Region verbunden. So stammte das Geschirr in seinem Modellhaus aus Bad König im Odenwald. Für den Auftrag in Essen nahm er übrigens den Schindler Pfeifer aus Winterkasten mit, dessen Betrieb noch heute als Schreinerei und Spezialist für Schindelarbeiten besteht, wie Frank Oppermann erklärte.
Arbeiterhäuser von 1908 findet man heute noch in Darmstadt in der Erbacher Straße 138 bis 150. Neben dem jungen Georg Metzendorf waren bekannte Architekten wie Heinrich Walbe, Arthur Wienkoop, Karl Hofmann und Joseph Maria Olbrich beteiligt gewesen.
Der Referent legt in seinem Vortrag auch die zentrale Rolle des letzteren in der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe dar. Nach seinem berühmten Sezessionsgebäude in Wien wollte er in Darmstadt Vorstellungen verwirklichen, die sich heute schwärmerisch ausnehmen. Die ganze Anlage sollte von ein und demselben Geiste bestimmt sein, von der Gesamtanlage bis hin zum Tafelbesteck. Künstler und Handwerker sollten in einer Person verschmelzen, die Mitte sollte ein Haus der Arbeit bilden „wie ein Tempel im heiligen Hain“.
Die Häuser, die Olbrich für die erste Ausstellung 1901 baute, waren stilistisch sehr unterschiedlich und brachen definitiv mit der Tradition, beinhalteten aber auch manchen bautechnischen Mangel, wie Oppermann zeigte. Bei der Kritik kamen die Häuser nicht gut an. Der einflussreiche Karl Henrici, selbst Architekt und Hochschullehrer in Aachen, fand Olbrichs Villen hochstaplerisch und umstürzlerisch. Dagegen lobte er andere Architekten, die wie Heinrich Metzendorf „anheimelnd und funktionell“ bauten.
Diese Gediegenheit kam auch in den Folgejahren besser an als Olbrichs kühne Ideen. Ein Buch über Darmstädter Architektur aus dem Jahr 1920 nenne zwar Heinrich Metzendorf, erwähne aber Olbrich mit keinem Wort, sagte Oppermann, der auch das Gesamtwerk Heinrich Metzendorfs im Vortrag umriss, indem er es in fünf Werkgruppen unterteilte und mit zahlreichen Beispielen belegte: Historismus, Übergangsstil, Landhausstil, Siedlungs- und Arbeiterhäuser sowie die repräsentativ, streng und monumental auftretende Stadthausarchitektur, bei der er für die Zierformen auch mit Kunststein anstelle von Sandstein und Granit experimentierte.
Villen Kempin und Stockhausen auf der Mathildenhöhe
Auf der Mathildenhöhe baute Heinrich Metzendorf direkt gegenüber der acht Jahre zuvor von Olbrich geplanten Villa Deiters die Villen Kempin und Stockhausen mit seiner deutlich „anheimelnderen“ Ausstrahlung. Dass er aber durchaus mit offenen Augen betrachtete, was um ihn herum geschah, so Oppermann, sieht man im Zitat mancher Details. So findet sich zum Beispiel am Haus in der Bensheimer Ernst-Ludwig-Straße 19 eine hölzerne Blumengalerie, wie sie auch von Olbrich verwendet worden war.
Der Vortrag stand im Zeichen der Veranstaltungsreihe der Metzendorfgesellschaft zum 150. Geburtstag von Georg Metzendorf. Hinweise zu weiteren Veranstaltungen unter metzendorfgesellschaft.org.
Bereits am Pfingstmontag steht ein Ausflug zur Mathildenhöhe an. Dazu trifft man sich um 14 Uhr vor der russischen Kapelle direkt auf der Mathildenhöhe in Darmstadt. Eine Anmeldung sei nicht erforderlich, sagte die Vorsitzende Bettina Hesse.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-wegweisende-ideen-von-georg-metzendorf-_arid,2207469.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html