Hostinné-Platz

Tag der Nachhaltigkeit brachte viele Aktionen nach Bensheim

„Verwenden statt verschwenden“ lautet das Motto. So feierte das Repair-Café beispielsweise das zehnjährige Bestehen mit einer offenen Werkstatt.

Von 
Thomas Tritsch
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Bensheim. Man sieht erfahrene Schirm-Chirurgen und minimal-invasive Elektro-Operateure, souveräne Intensiv-Schrauber und feingliedrige Filigrantechniker. Sie sitzen vor stummen Radios, unterkühlten Bügeleisen und chronisch antriebslosen Nähmaschinen, an deren Defekten man sich bislang die Zähne ausgebissen hatte – beziehungsweise sie erst gar nicht therapieren wollte. Weil sie alt sind, unmodern und technisch überholt.

Man müsste das Repair-Café erfinden, wenn es das nicht schon gäbe. Zufriedene Kundin

Der Geist des Repair-Cafés Bergstraße ist ein anderer: Wer seine Geräte sorgsam nutzt und reparieren lässt, spart viel Geld und leistet gleichzeitig einen aktiven Beitrag zur Ressourcenschonung. Tapfer kämpft der Verein seit zehn Jahren gegen die Wegwerfmentalität, indem er Experten an die Front schickt, um die kaputten Alltagsbegleiter einer professionellen Behandlung zu unterziehen. Seither wurden rund 2400 Geräte begutachtet. Davon konnten zirka 1100 instandgesetzt werden.

Eine Minimesse für Menschen, die Richtung Zukunft denken

Keine schlechte Quote für das Team um die erste Vorsitzende Birgit Rinke, das am Samstag den runden Geburtstag mit einer offenen Werkstatt gefeiert hat. Eingebunden war die Aktion in den „Tag der Nachhaltigkeit“ auf dem Hostinné-Platz, der bereits kurz nach Beginn recht gut frequentiert war. Auf der kleinen Meile in der City drehte sich alles um bewussten Konsum, gesunde Ernährung und aktiven Klimaschutz.

In Hessen wird der offizielle „Tag der Nachhaltigkeit“ am 26. September begangen. Die Bensheimer Variante – als Auftakt der Fairen Woche – wurde vom Repair-Café gemeinsam mit der Steuerungsgruppe „Faitrade-Stadt Bensheim“ organisiert. Eine Minimesse für Menschen, die Richtung Zukunft denken, Dinge hinterfragen und alternativen Lebenskonzepten offen gegenüberstehen. Das Areal am Wambolter Hof hatte einiges zu bieten – vor allem ganz viel Futter für das Hirn.

Purer Genuss mit Äpfeln, Nüssen, Hülsenfrüchten und fleischloser Ernährung beim BUND 

Um puren Genuss ging es am Stand des BUND Bergstraße. Volker Massoth von der Ortsgruppe Bensheim hatte verschiedene Apfelsorten von den heimischen Streuobstwiesen – unter anderem aus Auerbach – mitgebracht.

Darunter den Rheinischen Winterrambur, der ab zirka Oktober pflückreif und bei geeigneter Lagerung bis Mai genussreif ist. Der Kaiser Wilhelm zählt zu den beliebtesten alten Apfelsorten – und zeigt, je nach Standort, in diesem Jahr eine spezielle Färbung auf der Haut, die durch Grünalgen hervorgerufen wurde, so Massoth. Die leichten Schlieren sind einfach abwischbar und die Folge des überaus regenreichen Jahres.

Gleich nebenan informierte BUND-Vorstandsmitglied Gregor Mitsch über fleischlose Ernährung, Tierethik und den Respekt vor Kreaturen aller Art, den der Mensch, so Mitsch, leider längst verloren habe. Und Claudia Dirr servierte Nüsse, Samen und Hülsenfrüchte, mit denen man seinen Proteinhaushalt auch ohne totes Fleisch auf Niveau halten kann.

Sie erläuterte, wie hoch der jeweilige Flächenbedarf und die produzierten Treibhausgasemissionen für beliebte Gerichte sind. Ein Rindfleischburger mit Pommes bringt es auf 3,56 Quadratmeter Agrarfläche, 2,5 Kilogramm CO2-Ausstoß. Am unteren Ende der Liste stehen Spaghetti mit frischer Tomatensauce, deren Verbrauch nur einen Bruchteil ausmachen.

Marokkanische Kulturgemeinschaft, Pro Bahn, Klimabündnis Bergstraße und viele weitere waren vertreten

Bei Food Sharing Bergstraße geht es um die grundsätzliche Wertschätzung aufwändig produzierter Lebensmittel. Die „Foodsaver“ (Lebensmittelretter) setzen sich primär gegen die immer größer werdende Lebensmittelverschwendung ein. Hierbei werden Lebensmittel vor der Mülltonne bewahrt, indem sie zunächst bei kooperierenden Betrieben abgeholt und später „fair“-teilt werden. Ein Projekt, das auf ehrenamtlicher Mitarbeit basiert und daher kostenlos ist. „Es geht nicht darum, gratis an Lebensmittel zu kommen, sondern darum, unsere Ressourcen zu schätzen und zu wahren“, sagt Ingrid Janzen. Verwenden statt verschwenden, lautet der Codex. Nachhaltigkeit ist auch hier Programm. Sei es beim Obst und Gemüse, das ebenso wie Brot und Brötchen abends in der Tonne landet, oder bei abgepackten Produkten, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Wie grotesk die Entsorgungsmentalität in den Geschäften teilweise ist, erläutert Janzen an einer Packung Frischkäse: Der ist bis Februar 2025 haltbar. Doch weil der Plastikdeckel über der Folie nicht mehr vorhanden ist, fliegt das komplette Teil aus dem Regal.

Ohne Plastik und Ablaufdatum waren die landesüblichen Speisen der Marokkanischen Kulturgemeinschaft Bensheim, die beim Nachhaltigkeitstag serviert wurden. Man konnte der Tanzgruppe IYASA aus Simbabwe zusehen und vegetarische Aufstriche aus dem Weltladen verkosten. Mit dabei waren unter anderen auch der Fahrgastverband Pro Bahn, das Klimabündnis Bergstraße, der DGB Bensheim und der Soroptimist International Club Bensheim/Heppenheim, der ein Ausbildungsprojekt des Viernheimer Vereins Focus in Burkina Faso unterstützt. Dabei geht es um die Ausbildung junger Menschen in der Landwirtschaft. Vor allem Frauen sollen so eine gesicherte Ausbildung erhalten, um eine solide Existenz aufbauen zu können.

Ehrenamtliche erkennen und beheben Fehler im Repair-Café

Nach dem erfolgreichen Actionbound „Wo ist Nora Grün?“ – ein gemeinsames Projekt des Evangelischen Dekanats Bergstraße und der Karl-Kübel-Stiftung – gibt es jetzt auch in Bensheim eine solche digitale Schnitzeljagd. Eingebettet in eine interaktive Handlung, können sich Teilnehmer auf der Suche nach der fiktiven Menschenrechtsaktivistin Emma Gleich mit dem Thema Globale Gerechtigkeit und den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen auseinandersetzen.

Allerdings nicht belehrend von oben herab, sondern praktisch und konkret vor Ort, wie Monika Gerz von der Kübel-Stiftung erläutert. Die globale Perspektive wird auf den eigenen Alltag im direkten Umfeld heruntergebrochen. Unter anderem geht es um Frieden, Teilhabe und Gleichstellung – und um Arbeit.

Über solche konnten sich die Ehrenamtlichen beim Repair-Café am Samstagmorgen nicht beschweren. Vor Ort waren Diplom-Ingenieure, Informatiker, Techniker und Maschinenbauer, die fast alle noch voll im Berufsleben stehen. Das war in den ersten Jahren des Angebots anders, damals schlossen sich vor allem Ruheständler mit langer Berufserfahrung dem handwerklich ausgerichteten Projekt an. Die Leidenschaft der Experten, einen Fehler zu erkennen und zu beheben, ist auch nach zehn Jahren immer noch gleich geblieben.

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„Es geht um eine Kultur der Reparatur“, so Birgit Rinke und Cornelia Tigges-Schwering im Zelt am Wambolter Hof. Die Cafés finden regelmäßig im Pfarrzentrum Sankt Laurentius statt. Während den Veranstaltungen werden kostenlos Gegenstände repariert, die der Fachhandel nicht mehr annimmt, weil dies entweder zu teuer ist oder die Objekte veraltet sind.

Für ihre Besitzer stellen sie allerdings oftmals einen hohen Wert dar – nicht nur einen ideellen. Vor allem Nähmaschinen, Kaffeeautomaten und Rundfunkempfänger gehören zu den Geräten, die man weiterhin nutzen möchte. „Man müsste das Repair-Café erfinden, wenn es das nicht schon gäbe“, so eine Frau mit einem Küchengerät unter dem Arm. In der Hoffnung, das Ding wieder funktionsfähig mit nach Hause nehmen zu können.

Freier Autor

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