Bensheim. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser Vorschlag aufkommen würde: Die Stadt Bensheim plant, die Grundsteuer B kräftig anzuheben, von derzeit 620 auf künftig 1450 Punkte. Die Reaktion ist nur allzu menschlich: Wenn die öffentliche Hand mit Steuererhöhungen in den privaten Geldbeutel langt, steigt bei vielen der Blutdruck – derzeit erscheint diese Maßnahme der Verwaltung allerdings als einziges Mittel, um die desolate Lage in Bensheim abzumildern.
Ein erheblicher Einbruch bei der Gewerbesteuer mit hohen Rückzahlungen reißt im Ergebnishaushalt der Stadt ein historisches Finanzloch von 42,7 Millionen Euro (wir haben berichtet). Gleichzeitig ist auch in den Folgejahren von geringeren Gewerbesteuereinnahmen auszugehen.
„Daher müssen wir Einnahmen generieren, um das vielfältige Angebot weiter anbieten zu können, das Bensheim ausmacht“, betont die Bensheimer Bürgermeisterin Christine Klein in einer Mitteilung. Herausgegangen ist diese Information am Donnerstagabend bemerkenswerterweise unter dem Titel „Einbruch bei der Gewerbesteuer reißt großes Finanzloch in den städtischen Ergebnishaushalt“.
Wer über den Titel hinaus gelesen hat, der wurde vom Inhalt überrascht: Nach Gesprächen mit der oberen und obersten kommunalen Aufsichtsbehörde schlägt der Magistrat der Stadt Bensheim der Stadtverordnetenversammlung eine Hebesatzerhöhung der Grundsteuer B auf 1450 Punkte ab 1. Januar 2025 vor. Damit werden Hauseigentümer und in der Folge über die Betriebskosten auch Mieterinnen und Mieter deutlich stärker belastet.
Steuer soll in den kommenden Jahren wieder reduziert werden
„Wir wollen einen klaren Weg gehen. Dazu gehört für uns auch, die Grundsteuer B Schritt um Schritt in den kommenden Jahren wieder zu reduzieren, wenn sich die Haushaltssituation verbessert hat“, erklärt die Bürgermeisterin und Finanzdezernentin. „Ich sehe die enorme Belastung, die auf uns Bensheimer Bürgerinnen und Bürger zukommt. Aber in den Gesprächen mit Vertretern des hessischen Innenministeriums und des Regierungspräsidiums wurde uns dieser Weg aufgezeigt.“ Bürgermeisterin Klein weiter: „Der ursprünglich von uns vorgeschlagene Weg einer sozialverträglichen Lösung mit einem Haushaltsausgleich nach zehn Jahren war nicht durchzusetzen.“
Die Aufsichtsbehörden fordern wegen der dramatischen Haushaltslage der Stadt Bensheim einen ausgeglichenen Haushalt innerhalb von fünf Jahren. Sie empfahlen in intensiven Gesprächen daher eine Erhöhung der Grundsteuer B, heißt es weiter in der Mitteilung. Diesem Vorschlag folgt nun der Magistrat und schlägt gleichzeitig der Stadtverordnetenversammlung vor, eine Nachhaltigkeitssatzung auf den Weg zu bringen. Ziel dieser Satzung ist, die Grundsteuer B schrittweise wieder zu verringern, wenn sich die Situation verbessert hat.
Strukturveränderungen innerhalb der Verwaltung sowie weitere Sparmaßnahmen seien darüber hinaus unbedingt notwendig zur Haushaltssanierung. „Unser erklärtes Ziel auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt ist, die sehr gute Infrastruktur Bensheims zu erhalten und damit zu bewahren, was unsere Stadt aus- und liebenswert macht“, verdeutlicht Klein.
Zur Infrastruktur gehören unter anderem die sehr gut ausgebaute Kinderbetreuung, die Vielzahl an Sportplätzen und -anlagen, das vielfältige kulturelle Angebot, die attraktive und freundlich gestaltete Innenstadt, Hallenbad und Badesee sowie Dorfgemeinschaftshäuser und Stützpunkte der Freiwilligen Feuerwehren in allen Stadtteilen. „Diese Ausstattung kostet viel Geld“, so die Bürgermeisterin und ergänzt: „Bensheim soll eine Stadt bleiben, in der es sich zu leben lohnt.“
Die aktuelle Situation sei das Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit ihren lokalen Konsequenzen, verweist sie auf andere hessische Kommunen in vergleichbarer Lage. Tatsächlich war erst am Donnerstag unter anderem im Deutschlandfunk vermeldet worden, dass Bund, Länder und Kommunen im kommenden Jahr mit 12,7 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen auskommen müssen als noch im Frühjahr angenommen.
Das ist das Ergebnis der Steuerschätzung für den Gesamtstaat. Für den Zeitraum von 2024 bis 2028 erwartet der „Arbeitskreis Steuerschätzungen“ rund 58 Milliarden Euro weniger.
Der hessische Städte- und Gemeindebund schreibt zur defizitären Haushaltslage vieler Städte und Gemeinden: „Die kommunalen Ausgaben wuchsen in den vergangenen Jahren deutlicher als die Einnahmen. Diesen Aufgaben können sich die Kommunen nicht entziehen, da sie in aller Regel durch Bundes- und Landesgesetze zur Pflicht gemacht sind.“ Als Pflichtaufgaben können „die Kommunen teure Aufgaben also nicht einfach sein lassen und auf diese Art sparen“.
Ein Beispiel verdeutlicht, was die Erhöhung der Grundsteuer B finanziell bedeutet: Wer in Bensheim bei einem Bodenrichtwert von 500 Euro ein 500 Quadratmeter großes Grundstück mit einer Wohnfläche von 140 und einer Nutzfläche von 80 Quadratmetern besitzt, zahlt bei einem Hebesatz von aktuell 620 Punkten 651 Euro jährlich. Mit dem möglicherweise im kommenden Jahr geltenden Hebesatz von 1450 Punkten steigt die Summe auf 1522 Euro.
Wie die Verwaltung die Erhöhung begründet
Die Hebesätze der Grund- und Gewerbesteuer werden regelmäßig in der das jeweilige Haushaltsjahr betreffenden Haushaltssatzung beschlossen. Alternativ können die Hebesätze jedoch auch in einer Hebesatzsatzung bestimmt – oder wie im Fall Bensheims von außen „aufgezeigt“ – werden. Dabei ist der Beschluss über die Festsetzung oder Änderung des Hebesatzes bis zum 30. Juni eines Kalenderjahres mit Wirkung vom Beginn dieses Kalenderjahres zu fassen.
Wegen des Gewerbesteuereinbruchs, der das Steueraufkommen in Bensheim wohl nachhaltig und wesentlich mindern wird, besteht – wie es auch Finanzminister Christian Lindner am Donnerstag für die Bundesebene ausgedrückt hatte – ein erheblicher Konsolidierungsbedarf. Dabei muss sich die Stadt an die Grundsätze zur Erzielung von Erträgen und Einzahlungen der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) halten. Das bedeutet: Städte und Gemeinden sind verpflichtet, alle notwendigen Einnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu erheben. Dies geschieht primär durch Entgelte für ihre Leistungen und, wenn diese nicht ausreichen, durch Steuern. Kredite dürfen nur aufgenommen werden, wenn alle anderen Finanzierungsmöglichkeiten, insbesondere Entgelte und Steuern, ausgeschöpft sind.
Mehreinnahmen von knapp 17 Millionen Euro
Bei einer Erhöhung des Hebesatzes der Grundsteuer B auf 1450 Prozent könnte die Stadt Bensheim mit Mehreinnahmen in Höhe von knapp 17 Millionen Euro im Jahr rechnen, wie die Verwaltung auf Anfrage dieser Zeitung mitteilt.
Eine Vorgabe, wie hoch der Hebesatz für die Grundsteuer B sein muss, sei von der Aufsichtsbehörde nicht gemacht worden, heißt es weiter. Die Kommunalaufsicht gibt allerdings vor, dass der Haushaltsausgleich (Ergebnis- und Finanzhaushalt) bis spätestens 2027 im Rahmen des Nachtragshaushalts 2024 und bis 2028 im Zuge des Haushalts 2025 erreicht werden muss. Dabei fordert sie sowohl Einsparungen als auch Einnahmeerhöhungen. Die Stadtverwaltung prüfe intensiv, in welchen Bereichen Kosten weiter gesenkt und somit Einsparungen vorgenommen werden können. Das brauche allerdings Zeit und könne nicht von heute auf morgen als Schnellschuss umgesetzt werden. Einerseits, weil vertragliche Verpflichtungen dem entgegenstehen. Andererseits, weil genau abgewägt werden müsse, welche Auswirkungen etwaige Kostensenkungen hätten.
Die geplante Anhebung der Grundsteuer B sei eine enorme Belastung für die Bürgerinnen und Bürger. „Mit der Verabschiedung einer Nachhaltigkeitssatzung durch die Stadtverordnetenversammlung ist es aber unser erklärtes Ziel, den Hebesatz in den nächsten Jahren wieder zu reduzieren, wenn sich die finanzielle Situation verbessert hat“, heißt es aus dem Rathaus.
Auf Nachfrage erläutert die Stadtverwaltung, was unter „Strukturveränderungen innerhalb der Verwaltung“ zu verstehen ist: Die Stadtverwaltung will in einem projektierten Restrukturierungsverfahren insbesondere die Organisationseinheiten beleuchten, die freiwillige Leistungen erbringen und erhebliche Budgets benötigen. Dabei werde es auch darum gehen, wie Synergien künftig noch besser genutzt werden können. Zudem sollen auch die städtischen Pflichtleistungen analysiert werden. red/ps
Diese Regelung dient dazu, eine solide und nachhaltige Finanzpolitik in den hessischen Kommunen sicherzustellen. Die Stadt hat also die Möglichkeit, so heißt es in der Beschlussvorlage, über die am 4. November der Haupt- und Finanzausschuss diskutieren wird, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Erträge und Einzahlungen „soweit vertretbar und geboten“ aus Entgelten für ihre Leistungen, im Übrigen aus Steuern zu beschaffen, wenn die sonstigen Erträge und Einzahlungen nicht ausreichen.
Daraus ergibt sich die Reihenfolge, dass die Stadt zunächst definieren muss, welche Aufgaben „ihre Aufgaben“ sind. Daher muss zunächst zwischen Pflichtleistungen (Kitas etwa) und freiwilligen Leistungen (Windelcontainer oder Hundekotbeutel) unterschieden werden, dann muss die Stadt ihre Prioritäten festlegen. Danach gilt es, die Pflichtleistungen noch einmal nach ihrer Dringlichkeit zu ordnen und zu prüfen, was umsetzbar ist. Alle Leistungen, die freiwillig sind, sind im Rahmen der Daseinsfürsorge zu beurteilen und anhand der zur Verfügung stehenden Mittel zu priorisieren.
Ist danach definiert, was umgesetzt werden soll, geht es um die Frage, in welcher Qualität, beziehungsweise wie effizient die Vorhaben machbar sind. Und wie sie finanziert werden können. Die Antwort hierauf gibt erneut die HGO, in der die Reihenfolge vorgegeben wird.
Kreditfinanzierung ist nur die „Ultima Ratio“
Zunächst ist eine nutzerbezogene Finanzierung anzustreben, nämlich durch die Erhebung von Gebühren und Beiträgen. Sofern diese nicht ausreichen, erfolgt die Steuerfinanzierung, da in der Verordnung klargestellt wird, dass eine Kreditfinanzierung nur die „Ultima Ratio“ ist. Dies liege schon darin begründet, dass eine Kreditfinanzierung Eigenkapitalverzehr bedeutet, also eine Minderung des städtischen Vermögens erfolgen würde.
Der Haushalt der Stadt Bensheim befindet sich in einer hochprekären Lage und eine Haushaltskonsolidierung ist zwingend und zeitnah erforderlich. Eine von der neuen Leitung im Fachbereich Finanzen durchgeführte Analyse hat gezeigt, dass eine zeitnahe und wirkungsvolle Reduktion von Aufwendungen an den Organisationsstrukturen und Vertragsbindungen scheitert, beziehungsweise falls möglich nicht ausreichen.
Aus diesem Grund ist eine Finanzierung durch Steuern für den Haushaltsausgleich – oder wenigstens zugunsten eines genehmigungsfähigen Haushalts – aus Sicht der Stadtverwaltung unumgänglich.
Die Empfehlung, den Hebesatz der Grundsteuer B zu erhöhen, entspricht den durchgängigen Empfehlungen der Kommunalberatung des Innenministeriums sowie der Auffassung der Kommunalaufsicht. Sie wird als die effektivste und gerechteste Realsteuer definiert.
„Bürgerdividende“ soll bei Überschüssen ausgezahlt werden
Der Zweck der Nachhaltigkeitssatzung wird ein wenig kryptisch formuliert: „ Darin wird nach dem Prinzip der intergenerativen Gerechtigkeit als ethisches Leitbild der Grundsatz vereinbart, ein nach Konsolidierungsbemühungen bestehendes Haushaltsdefizit durch Steueranpassung auszugleichen. Eine neue Kreditaufnahme zur Defizitfinanzierung wird darin grundsätzlich negiert.“ Darüber hinaus wird darin das Versprechen an die Bürger vereinbart, bei entspannter Haushaltslage und etwaigen Haushaltsüberschüssen eine Bürgerdividende auszuzahlen. Diese würde durch adäquate Reduktion des Hebesatzes der Grundsteuer B erfolgen.
Die Erhöhung der Grundsteuer B ist noch nicht in Stein gemeißelt, vielmehr dürften vor der kommenden Stadtverordnetenversammlung am 14. November noch einige hitzige Diskussionen innerhalb der Fraktionen und der Ausschüsse entbrennen. Denn so mancher war bei Bekanntwerden des Defizits im Sommer dieses Jahres mit der Forderung nach gleichbleibenden Steuern vorgeprescht. /ps
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