Förderprogramm

Programm zur Demokratieförderung sorgt für hitzige Diskussion

Warum einmal jährlich demonstrieren nicht genügt: Die Bensheimer Stadtverordneten fanden sich in einer hitzigen Debatte über die Teilnahme am Bundesprogramm „Demokratie leben!“.

Von 
Anna Meister
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Im März 2024 demonstrierten auf dem Beauner Platz in Bensheim viele Bürger für Demokratie und Menschenrechte. Die Stadtverordneten beschlossen in ihrer letzten Sitzung die Teilnahme an einem bundesweiten Förderprogramm. © Thomas Zelinger

Bensheim. Der letzte Tagesordnungspunkt der Stadtverordnetenversammlung hatte es noch einmal ordentlich in sich: Die Teilnahme am Bundesförderprogramm „Demokratie leben!“ und die damit einhergehende „Patenschaft für Demokratie“ mit dem Mehrgenerationenhaus der Caritas in Bensheim. Während die Mehrheit der Stadtverordneten das Programm für eine gute Gelegenheit hält, Demokratiearbeit und kritisches Denken nachhaltig zu fördern, sehen BfB und VuA in der Implementierung das genaue Gegenteil.

Mit dem neuen Jahr startet das Bundesprogramm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in die dritte Förderperiode. Der Grundgedanke: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss täglich erlernt, gelebt, gestaltet, geschützt und verteidigt werden. In Zeiten des Anstiegs rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Hetze und Gewalt braucht es in Deutschland eine starke Zivilgesellschaft und eine wehrhafte Demokratie. Soweit, könnte man meinen, sollte ein Konsens bestehen.

Der Eigenanteil, den die Stadt bei einer jährlichen Förderhöhe von 140 000 Euro pro Jahr leisten müsste, liegt bei 3500 Euro. „Kein hoher Einsatz gemessen an der Förderhöhe“, bemerkte Rolf Tiemann (FWG). Erste Einrichtungen, darunter die AG „Demokratie lernen“ am Goethe-Gymnasium haben großes Interesse an einer Bewerbung der Stadt um das Förderprogramm gezeigt.

Die Plätze im Förderprogramm sind beliebt. Im Sommer 2024 hatten Initiativen, Vereine und Kommunen die Gelegenheit, sich für eine Förderung ab 2025 zu bewerben. Rund 2000 Interessenbekundungen wurden eingereicht, Bensheim als Schulstadt wäre prädestiniert dafür, teilzunehmen und befindet sich Bürgermeisterin Christine Klein zufolge in der engeren Auswahl. 20 Kommunen werden bislang gefördert, mit dabei aus der unmittelbaren Nachbarschaft ist Lampertheim.

Die dritte Förderperiode läuft von 2025 bis 2032 mit Option auf Verlängerung auf 2033, die Teilnahme muss jedes Jahr erneut angemeldet werden. Kernthema sind unter anderem die sogenannten Patenschaften für Demokratie. Die Trägerschaft hierfür soll im Falle Bensheims das Mehrgenerationenhaus der Caritas übernehmen. Dort soll eine 50-Prozent-Stelle angesiedelt werden, über die die Koordinierung der Projekte laufen soll.

Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene

Das Förderprogramm unterstützt in den Kommunen die Entwicklung neuer und kreativer Ideen und Lösungsansätze für aktuelle Fragen der Förderung für Demokratie, Vielfalt und gegen jede Form von Extremismus. Also auch von links – was an späterer Stelle noch einmal interessant wird. Das Programm definiert unter anderem Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe. Die Fördermöglichkeiten reichen dabei von Lesungen im kleinen Rahmen über Konzertbeiträge, Beteiligungsforen, Workshops, Demokratiefesten oder Theateraufführungen.

Während Rolf Kahnt (VuA) im Haupt- und Finanzausschuss eine Kritik am Bundesprogramm noch moderat geäußert hatte, polterte er in seinem Redebeitrag während der Stadtverordnetenversammlung im Auerbach Kronepark los: Man dürfe in der Demokratie den inhaltlichen Streit nicht fürchten. Ebenso wenig dürfe Demokratie verordnet werden. Im Förderprogramm sieht er genau das: Wer sich gegen den Beschluss stelle, der müsse befürchten, in die vielbeschworene rechte Ecke gestellt zu werden. Er sieht die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung durch das Programm untergraben. „Damit soll den AfD-Wählern das Handwerk gelegt werden, Sie wollen Nachhilfe in Demokratie verordnen.“ Kahnt sprach von einer ruhenden Partnerschaft mit Linksextremen – hätte er einen Blick auf die Webseite des Ministeriums geworfen, so hätte er lesen können, dass sich das Förderprogramm gegen jegliche Form des Extremismus stellt. Freundlicherweise zitierte Lisa Marie Blumenschein (FDP) diesen Passus direkt in der Sitzung.

Gute Förderprogramm können zur aktiven Teilhabe am politischen System ermutigen

Adriana Filippone (SPD) gab Kahnt Kontra: „Genau Ihre Ausführungen haben gezeigt, wieso wir ein solches Programm umsetzen sollten.“ Als Schulstadt stehe Bensheim in der Verantwortung, Präventionsarbeit zu leisten, vor allem angesichts des Umstands, dass antidemokratische Kräfte weltweit erstarken. „Das Förderprogramm setzt auch im außerschulischen Bereich an und bietet damit eine Erweiterung der bestehenden Strukturen.“ Damit werde in Bensheim ein weiterer Beitrag zur Förderung kritischen Denkens geleistet. „Ich hatte ernsthaft gehofft, das Geld, nicht der Inhalt, wäre Ihr Problem.“ Filippone zeigte sich erschüttert über die Aussage, in Bensheim gebe es keinen Bedarf für Demokratieförderung.

Blumenschein, die selbst bereits als Jugend- und Bildungsreferentin tätig gewesen sei, pflichtete der Sozialdemokratin bei. „Diese Programme können gewinnbringend sein. Ich selbst habe von genau solchen Angeboten profitiert und wäre ohne sie vielleicht jetzt nicht Mitglied der Stadtverordnetenversammlung.“

Gute Förderprogramme können zur aktiven Teilhabe am politischen System ermutigen. In Relation zum Nutzen des Programms wäre der finanzielle Aufwand für die Stadt mit 3500 Euro in Ordnung. „Das Programm ermöglicht uns in der aktuellen finanziellen Situation Projekte, die sonst nicht umsetzbar wären.“

Es ginge vor allem um Extremismusprävention

In Zeiten, in denen die demokratische Ordnung von vielen Menschen infrage gestellt werde, müsse Demokratie mehr als ein Lippenbekenntnis sein, findet Maximilian Gärtner (CDU). Grundsätzlich begrüßt er das Förderprogramm, hält eine Teilnahme der Stadt Bensheim allerdings für überflüssig. Er persönlich erkenne kein Demokratieproblem vor Ort. Das Mehrgenerationenhaus als Träger sei eine politisch neutrale Anlaufstelle, weshalb die Einrichtung die richtige Wahl sei. Deshalb sieht er keine Gefahr, das Förderprogramm würde die Menschen scharenweise in die Arme der AfD treiben – eine Befürchtung, die Franz Apfel (BfB) vorbrachte.

Der Kampf gegen eine spezielle Partei oder deren Wähler ist allerdings in keiner Silbe des Programms erwähnt. Doris Sterzelmaier (Grüne) sprach sich deutlich dafür aus, diese Chance wahrzunehmen. „Es geht doch vor allem um die Extremismusprävention, nicht darum, bestimmte Wählergruppen zu stigmatisieren.“ Franz Apfel kritisierte, dass das Programm staatlich ist. „Die Menschen, die Konzerte gegen rechts oder Demos organisieren wollen, können das tun – aber nicht in einer staatlichen Struktur.“ Für ihn kommt die Teilnahme am Förderprogramm der Unterstellung gleich, Bensheim habe ein Problem.

„Programm könnte Zivilcourage stärken“

Das könne man natürlich nicht pauschal sagen, findet Rolf Tiemann. Ansatz des Programms ist nicht, mit erhobenem Zeigefinger zu urteilen, sondern breite Angebote zur Bildung eines eigenen demokratischen Grundverständnisses zu liefern. „Wir können uns von der Teilnahme die Stärkung der Zivilcourage erwarten“, sprach er sich für die Teilnahme aus.

Gleichzeitig lobte er die bestehenden Angebote, die es in den Bensheimer Schulen gibt, etwa die Geschichtswerkstatt oder die Demokratieforen der Geschwister-Scholl-Schule. Das Mehrgenerationenhaus sei genau die richtige Stelle für die Umsetzung des Förderprogramms. „Dort ist unter anderem der Migrationsdienst Bergstraße angesiedelt.“ Hier sieht Tiemann Synergieeffekte.

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Doris Sterzelmaier warf abschließend in die Runde, dass es zwar lobenswert sei, Veranstaltungen für die Stärkung der Demokratie zu organisieren. Dahinter steckt eine Menge Vorbereitungszeit und Engagement. Aber: „Einmal im Jahr demonstrieren zu gehen, ist nicht genug. Demokratiearbeit ist ein ständiger Prozess. Das ist nicht einfach so an einem Tag abzuhaken.“

So sah es die Mehrheit der Stadtverordneten. Mit vereinzelten Gegenstimmen aus der CDU, von BfB und VuA sprachen sich die übrigen Mitglieder dafür aus, das Programm umzusetzen.

Redaktion

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