Bensheim. Nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommen, den Haushalt erledigen und zudem noch kochen – was für viele Frauen selbstverständlich ist, stellt eine doppelte Belastung dar, die oft weder wahrgenommen noch ausreichend gewürdigt wird. Um auf die unbezahlte „Care-Arbeit“ aufmerksam zu machen, luden das Frauenbüro der Stadt Bensheim und die weiteren Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten im Kreis Bergstraße anlässlich des „Equal Care Day“ am 1. März Susanne Maier vom Deutschen Frauenrat als Referentin eines Vortrags ein.
Zur sogenannten Care-Arbeit zählen neben der Kinderbetreuung, der Pflege von Angehörigen und Fahrdiensten auch klassische Hausarbeiten wie Einkaufen, Essensplanung und Putzen. Hinzu kommt die emotionale Arbeit, etwa das Besorgen von Weihnachtsgeschenken, das Backen eines Kuchens für eine Kollegin oder die Deeskalation von Streitigkeiten. Frauen investieren einen erheblichen Teil ihrer Lebenszeit in diese Tätigkeiten: Weltweit leisten Mädchen und Frauen täglich 12,5 Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit – rund 80 Minuten mehr pro Tag als Männer. Besonders intensiv wird diese Belastung, sobald Frauen Mütter werden. Der sogenannte „Role Confirmation Bias“ beschreibt, dass Mütter, die nicht dem traditionellen Rollenbild entsprechen, verstärkt diskriminiert werden. Dies könne letztlich dazu führen, dass sich die mentale Gesundheit von Frauen in 47 Prozent der Fälle durch die Mutterschaft verschlechtert.
Warum bleiben Frauen häufiger zu Hause?
Ein wesentlicher Grund dafür, dass viele Frauen nach der Geburt eines Kindes im Gegensatz zu ihren Partnern zu Hause bleiben, liegt in der ungleichen Bezahlung. Fast 70 Prozent aller Frauen verdienen weniger als 1.500 Euro netto im Monat. Hinzu kommt die „Gender Pay Gap“, die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen, die bei 16 Prozent liegt und sich seit Jahren kaum verändert hat. Besonders prekär ist die Situation für alleinerziehende Mütter: Keine andere Bevölkerungsgruppe in Deutschland hat ein höheres Armutsrisiko – es liegt bei 42 Prozent.
Die mentale Gesundheit von Vätern entwickelt sich nach der Geburt eines Kindes hingegen anders. Etwa 70 Prozent der Väter würden sich gerne stärker an Erziehung und Betreuung beteiligen als ihre eigenen Väter, und 60 Prozent der jungen Väter wünschen sich eine gleichberechtigte Aufteilung von Care- und Erwerbsarbeit. Doch nur 14 Prozent setzen diesen Wunsch tatsächlich um.
Fast jeder fünfte Vater hätte gerne Elternzeit genommen, verzichtete jedoch darauf – meist aus Angst vor finanziellen Nachteilen, Karriereeinbußen oder aufgrund organisatorischer Hürden. Studien zeigen jedoch, dass Väter, die Elternzeit nehmen, sich langfristig stärker in die Kindererziehung einbringen und eine tiefere Bindung zu ihren Kindern aufbauen. Eine aktive Vaterschaft könne somit als Gewinn betrachtet werden: Väter sind zufriedener, entwickeln neue Familienkompetenzen, Mütter haben bessere berufliche Chancen, die Vater-Kind-Bindung wird gestärkt, und Kinder profitieren in kognitiver, sozialer und emotionaler Hinsicht.
Partnerschaften und die ungleiche emotionale Belastung
In heterosexuellen Beziehungen profitieren Männer insgesamt stärker von Partnerschaften als Frauen. Dies liegt unter anderem daran, dass Männer emotionale Bedürfnisse seltener im Freundeskreis stillen können und daher stärker auf ihre Partnerinnen angewiesen sind. Frauen hingegen erhalten emotionale Unterstützung auch durch Freundschaften oder die Familie. Auffällig ist zudem, dass alleinlebende Männer ein doppelt so hohes Suizidrisiko haben, häufiger unter Stress und Depressionen leiden und sich öfter einsam fühlen.
Diese Dynamik zeigt sich auch bei Trennungen: Nur 15 Prozent der Trennungen werden von Männern initiiert. Zudem dauert es im Durchschnitt länger, bis Männer eine Trennung emotional verarbeitet haben, während Frauen nach einer Trennung häufiger einen „zweiten Frühling“ erleben. Laut Maier deuten diese Erkenntnisse darauf hin, dass das derzeitige Beziehungsmodell für Männer der „bessere Deal“ sei.
Auch die Politik spielt eine entscheidende Rolle bei der Care-Arbeit und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Anlässlich der Bundestagswahl hat das Bündnis Sorgearbeit mehrere Forderungen formuliert, darunter zehn Tage Freistellung für den zweiten Elternteil nach der Geburt mit vollem Lohnausgleich, eine partnerschaftliche Ausgestaltung des Elterngelds, die Abschaffung der Lohnsteuerklasse V sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen für geschlechtergerechte und care-orientierte Arbeitszeitmodelle.
Häusliche Gewalt: Ein oft übersehener Aspekt
Ein weiterer Aspekt, der nicht unbeachtet bleiben darf, ist häusliche Gewalt, von der Frauen besonders häufig betroffen sind. 70 Prozent der Opfer sind weiblich. In Deutschland wird jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner ermordet. Seit 2019 ist die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt um 19,5 Prozent gestiegen. Zudem wird Frauen nach Gewalttaten häufig eine Mitschuld unterstellt – Aussagen wie „Warum hast du nicht besser auf dein Getränk aufgepasst?“ oder „Warum trägst du so einen kurzen Rock?“ sind Beispiele für diese problematische Haltung.
Aus all diesen Erkenntnissen lasse sich ableiten, dass Männer und Frauen unterschiedlich viel Entscheidungsgewalt und Handlungsspielräume haben, die sowohl individuell als auch strukturell missbraucht werden können. Die Politik sei gefordert, Frauen besser vor Gewalt in der Partnerschaft zu schützen. Ein Schritt in die richtige Richtung sei das kürzlich beschlossene Gewalthilfegesetz, das Gewaltschutz zu einem verbindlichen Recht Betroffener und zu einer staatlichen Pflicht macht.
In einer hypothetischen Analyse skizzierte die Referentin, welche Veränderungen möglich wären, wenn Politik aus einer Sorge-Perspektive gedacht würde. Sorgearbeit könne ihrer Meinung nach als integraler Bestandteil der Wirtschaftskraft anerkannt werden, Arbeitnehmerrechte könnten besser geschützt, soziale Absicherungen für Zeiten der Erwerbslosigkeit verbessert und traditionelle Geschlechterrollen aufgebrochen werden. Zudem könnte eine gerechtere Verteilung von Care- und Erwerbsarbeit erreicht werden, so dass nicht länger nach dem Motto „leben, um zu arbeiten“, sondern vielmehr „arbeiten, um zu leben“ gehandelt wird. Auch der Gewaltschutz für Erwachsene und Kinder müsse eine höhere Priorität erhalten.
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