Bensheim. Seit 35 Jahren lebt M.* in Bensheim. Ende der 1980er Jahre kam sie gemeinsam mit ihrer Familie aus dem Kosovo nach Deutschland - ein Land, das längst zu ihrer Heimat geworden ist. Ihr Herkunftsland spielt in ihrem Leben keine Rolle mehr. Dort hat sie keine Familie, keine Bindungen, keine Zukunft. Deutschland ist der Ort, an dem sie ihre Kinder großzieht, ihr Zuhause. „Ich bin, kann man sagen, ein Bensemer Mädsche“.
Doch genau diese Welt gerät alle paar Monate ins Wanken. Denn die 41-jährige alleinerziehende Mutter bekommt keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Alle drei bis sechs Monate muss sie seitenweise Dokumente bei der Ausländerbehörde des Kreises Bergstraße einreichen – und jedes Mal beginnt erneut die Sorge darüber, dass ihr Antrag abgelehnt werden könnte.
Bis zum 18. Geburtstag ihrer ältesten Tochter, die wegen ihres deutschen Vaters die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, erhielt M. immer eine Aufenthaltsgenehmigung über drei Jahre. „In jedem Schriftwechsel mit den Ämtern ist immer nur von ‚dem deutschen Kind‘ die Rede – aber meine Tochter hat doch auch einen Namen.“ Mittlerweile ist sie 21, hat ihre Ausbildung beendet, geht arbeiten und möchte auf eigenen Füßen stehen. „Es fühlt sich an, als würden die Ämter das bestrafen wollen.“ Denn die dreijährige Aufenthaltsgenehmigung von M. war an den Umstand geknüpft, dass ihre Tochter eben dazu noch nicht in der Lage war.
Der Kreis Bergstraße teilt auf Anfrage der BA-Redaktion hierzu Folgendes mit: „Möglich ist, dass einer Frau eine befristete Aufenthaltserlaubnis ausschließlich aufgrund der Geburt eines deutschen Kindes erteilt wird. Nachdem das Kind volljährig geworden ist, ist eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für die Mutter nach der genannten Rechtsgrundlage nur dann möglich, wenn das volljährige Kind weiterhin mit der Kindesmutter in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss führt. Erfüllt das volljährige Kind diese Voraussetzungen nicht, kommt eine Verlängerung nach dieser Rechtsgrundlage nicht in Betracht.“
Von der ständigen Angst, abgeschoben zu werden
Was bei den Behörden nicht ins Gewicht zu fallen scheint, ist der Umstand, dass M. noch zwei weitere Kinder – Zwillinge im Alter von acht Jahren – hat. „Sie sind hier geboren, gehen hier zur Schule, haben ihre Freunde hier. Aber auf dem Papier sind sie keine Deutschen.“ Die Kosovo-Albanerin erhält also vorerst nur noch befristete Aufenthaltsgenehmigungen von drei bis sechs Monaten.
Diese ständige Unsicherheit belastet sie sehr. „Ich habe Angst davor, dass meine Zwillinge und ich eines Tages gezwungen werden könnten, Deutschland zu verlassen. Die Vorstellung, ins Kosovo zurückzukehren, ist für mich unvorstellbar. In meinem Leben war ich vielleicht dreimal da. Mein Vater wurde vor etwa 20 Jahren abgeschoben. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm, weil das Familienleben immer von Gewalt geprägt war. Meine Mutter ist verstorben.“ In ihrem Bekanntenkreis bekommt sie immer wieder mit, dass Familien in ähnlichen Situationen wie sie abgeschoben werden. Das politische Klima in Deutschland trägt noch weiter zu ihrer Verunsicherung bei.
„Als Alleinerziehende kann ich nicht Vollzeit arbeiten gehen“
Grundsätzlich bestünde für M. die Chance, ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zu erhalten. Vonseiten des Kreises Bergstraße heißt es hierzu: „Das Recht auf einen unbefristeten Aufenthalt, die Erteilung einer sogenannten Niederlassungserlaubnis, setzt grundsätzlich voraus, dass der Ausländer beziehungsweise die Ausländerin seit mindestens drei Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, kein Ausweisungsgrund besteht und der Lebensunterhalt sichergestellt ist. Sofern der Lebensunterhalt nicht sichergestellt ist, ist die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht möglich. Im Übrigen benötigt der Ausländer beziehungsweise die Ausländerin B1-Sprachkenntnisse, es sei denn, er oder sie war bereits am 5. September 2013 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.“
M., die im Übrigen akzentfrei Deutsch spricht, arbeitete zuletzt in Teilzeit in einer Metzgerei. Sie mochte die Arbeit, die Kolleginnen waren nett, und die Arbeitszeiten ließen sich halbwegs mit ihrem Alltag als alleinerziehende Mutter vereinbaren. Doch dann ging der Betrieb insolvent.
Das Gespräch mit M. findet in ihrer kleinen, aber gemütlichen Wohnung statt. Alles ist ordentlich, auf dem Tisch steht eine Tasse Tee. Während sie erzählt, wirft sie immer wieder besorgte Blicke auf ihre Hände. „Ich will arbeiten“, sagt sie bestimmt.
Sie war bei mehreren Vorstellungsgesprächen, doch die meisten Jobs beginnen früh am Morgen – lange bevor sie ihre Kinder zur Schule bringen kann. Eine Lösung hat sie bisher nicht gefunden. „Die Arbeitgeber verstehen nicht, dass ich niemanden habe, der morgens einspringt.“ Also bleibt ihr derzeit nichts anderes übrig, als Bürgergeld zu beziehen – ein Umstand, der sie schmerzt. „Ich will nicht vom Staat abhängig sein“, betont sie. „Aber Vollzeit, wie es Auflage für die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung ist, geht einfach nicht. Ich will etwas von meinen Kindern haben.“
Doch selbst der Alltag wird für sie zunehmend zur Herausforderung. Immer wieder verzögert sich die Bearbeitung ihrer Anträge zur Aufenthaltsgenehmigung. Und solange sie keine gültige Genehmigung, eine sogenannte Fiktionsbescheinigung, hat, kann das Amt ihre Miete nicht übernehmen. Ihr Vermieter hat zwar Geduld, aber auch nicht unbegrenzt. „Wenn das so weitergeht, stehen meine Kinder und ich vielleicht irgendwann auf der Straße.“ Die Behörden zeigen wenig Verständnis für ihre Lage. „Da wird einfach gesagt: ‚Ist nicht unser Problem.‘ Aber für mich ist es aber ein riesiges Problem.“
„Alles, was ich will, ist eine faire Chance“
Der Ton ihr gegenüber ist rau: Mehrfach musste sich die Alleinerziehende anhören, sie sei faul, wolle einfach nicht arbeiten. „Aber das stimmt nicht. Ich bin auf der Suche, ich bemühe mich. Ich kann nur eben nicht alles machen, weil ich Mutter bin.“ Sie schüttelt den Kopf, als wolle sie die negativen Erlebnisse abschütteln, doch die Wut und die Verletzung stehen ihr ins Gesicht geschrieben.
Das Familienleben ist hektisch, M. muss die Kinder zur Schule bringen, Hausaufgaben betreuen, sich um Arzttermine kümmern und den Alltag organisieren – all das ohne familiäre Unterstützung. Eine Schwester von M. lebt zwar in Deutschland, allerdings mehrere Stunden von ihr entfernt. „Klar, meine Freunde sagen, sie würden ab und an einspringen – aber das kann doch kein Dauerzustand werden.“ Vollzeit zu arbeiten ist unter diesen Umständen schlicht nicht machbar.
Diese Situation ist für M. zermürbend. Sie fühlt sich hin- und hergerissen zwischen der Verantwortung für ihre Kinder und den Anforderungen des Aufenthaltsrechts. Die ständige Unsicherheit und Angst vor einer Abschiebung setzen sie unter enormen Druck. Ihr größter Wunsch ist es, eine stabile Zukunft für sich und ihre Kinder in Deutschland zu haben – ohne alle paar Monate um ihre Existenz bangen zu müssen.
Neben all diesen Sorgen gibt es in ihrem Leben aber auch Lichtblicke. Seit knapp einem Jahr hat sie einen neuen Partner, einen Deutschen. „Er unterstützt mich, wo er kann.“ Viele Freunde sagen ihr, sie solle ihn einfach heiraten – dann wäre ihr Aufenthaltsstatus gesichert. Doch M. lehnt das entschieden ab. „Ich heirate nicht wegen eines Passes. Ich will aus Liebe heiraten, nicht aus Not.“
Ihr Fall zeigt, wie schwer es alleinerziehende Mütter in Deutschland haben, und zwar besonders, wenn sie keinen gesicherten Aufenthaltsstatus besitzen. Die strengen Vorgaben stehen häufig im Widerspruch zur Realität ihres Lebens. M. möchte keine Unterstützung in Form von Almosen – sie braucht eine faire Chance, sich selbst eine gesicherte Zukunft aufzubauen. Eine Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten und trotzdem ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erhalten, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Sollte ihr nächster Antrag auf Verlängerung abgelehnt werden, „erhält die betroffene Person eine Anhörung zu dem behördlichen Vorhaben. Hierzu kann sie sich beziehungsweise der Rechtsbeistand entsprechend äußern. Erst nach Ablauf der Anhörungsfrist wird endgültig entschieden, ob ein ablehnender Bescheid ergeht, gegen den die Einlegung von Rechtsmitteln möglich ist. Vorab wird natürlich geprüft, ob die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels möglich ist“, heißt es hierzu vom Kreis Bergstraße. M. hofft, dass es dazu gar nicht erst kommen muss. „Ich möchte doch nur eine Perspektive für mich und meine Kinder. Und die finden wir nicht im Kosovo.“ *Der vollständige Name liegt der Redaktion vor.
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