Bensheim. Eigentlich sollte die nächste Bundestagswahl erst in sieben Monaten stattfinden. Durch die vorgezogene Wahl werden jedoch schätzungsweise rund 400.000 junge Erwachsene weniger wählen können als bei einem regulären Termin im September. Trotz dieser Umstände ist das politische Interesse am AKG in Bensheim ungebrochen hoch. Am vergangenen Dienstag versammelten sich etwa 100 Schülerinnen und Schüler in der Mensa der Schule, um sich über die Wahlprogramme der Parteien zu informieren und mit deren Vertretern zu diskutieren.
Im Rahmen der Podiumsdiskussion wurden verschiedene Themenkomplexe behandelt. Dazu zählten die Bereiche Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit, Klima- und Naturschutz, Krieg und Frieden sowie Extremismus und Vertrauen in die Politik.
Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit
Die erste Frage der Veranstaltung bezog sich auf die aktuelle Wirtschaftslage und die Gründe für bestehende Probleme. Sven Wingerter, Bundestagskandidat der SPD, identifizierte zwei Hauptprobleme: einen Mangel an Investitionen in die Wirtschaft und ein Kaufkraftproblem, das soziale Ungerechtigkeit fördere. Um dem entgegenzuwirken, forderte er höhere Löhne für die Unter- und Mittelschicht sowie höhere Abgaben für Wohlhabende.
Evelyn Berg von den Grünen sprach von einem „Verteilungs- und Akzeptanzproblem“ und betonte die Notwendigkeit, sich von der „ölbasierten Wirtschaft“ zu verabschieden. Sie führte an, dass die Ampelkoalition nicht genug Zeit gehabt habe, ihre Vorhaben vollständig umzusetzen. Mehrad Mehrbakhsh, Vorsitzender der Jungen Liberalen Bergstraße, bezeichnete die Arbeit der Ampel trotz des Scheiterns als „relativ erfolgreich“. Er sah das Hauptproblem Deutschlands in den Ausgaben und forderte eine effektivere Investitionspolitik.
Alexander Bauer, stellvertretender Vorsitzender der CDU im Hessischen Landtag, kritisierte die Regierungsarbeit der Ampel scharf: „Die Ampel hat schlecht regiert, das zeigt sich an der zunehmenden Unzufriedenheit der Bürger.“ Thomas Fetsch, Bundestagskandidat der AfD, sah die Ursachen der wirtschaftlichen Probleme in den „massiv gestiegenen Energiekosten“ und der „Bürokratie“, die seiner Meinung nach zur Deindustrialisierung Deutschlands beitragen. Bruno Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Linken/Freie Wähler Bergstraße, kritisierte vor allem die anhaltende Inflation und die wachsende soziale Ungleichheit.
Steuerpläne der Parteien
Auf die Frage nach der Finanzierung ihrer Steuerpläne antwortete Alexander Bauer (CDU), dass die Einkommenssteuer gesenkt und Überstundenzuschläge steuerfrei gestellt werden sollen. Evelyn Berg (Grüne) wies darauf hin, dass der demographische Wandel ebenfalls berücksichtigt werden müsse. Thomas Fetsch (AfD) forderte eine Erhöhung des Grundfreibetrags sowie einen zusätzlichen Steuerfreibetrag von 12.000 Euro für Rentner.
Klimaschutz und Energiepolitik
In der Diskussion um ein Verbot von Heizungen mit fossilen Brennstoffen bezog Sven Wingerter (SPD) klar Stellung: „Wir wollen in 20 Jahren klimaneutral sein. Das Gebäudeenergiegesetz ist notwendig, um spätere Zwangsmaßnahmen zu verhindern.“ Er betonte, dass niemand gezwungen werde, seine Heizung sofort auszutauschen, sondern dass bei einem Wechsel auf erneuerbare Energien gesetzt werde. Mehrad Mehrbakhsh (FDP) kritisierte diese Haltung und warf SPD und Grünen vor, dass ohne die FDP strengere Maßnahmen bereits umgesetzt worden wären.
Alexander Bauer (CDU) bezeichnete das Gesetz als Fehlentscheidung: „2024 wurden die meisten Öl-Heizungen verkauft, weil die Menschen verunsichert sind.“ Er betonte, dass CO2-Emissionen teurer werden müssten, um Einsparungen zu erzielen, und verwies darauf, dass der Klimawandel ein globales Problem sei, das Deutschland nicht allein lösen könne. Thomas Fetsch (AfD) stellte infrage, ob CO2-Einsparungen angesichts des Wirtschaftswachstums in China und Indien sinnvoll seien. Er plädierte dafür, stattdessen in Maßnahmen für vom Klimawandel betroffene Menschen zu investieren.
Krieg und Frieden: Waffenlieferungen in die Ukraine
Zum Thema Waffenlieferungen in die Ukraine erklärte Wingerter (SPD), dass solche Lieferungen keinen Krieg beenden könnten und einem Waffenstillstand entgegenstehen würden. Bauer (CDU) zeigte sich solidarisch mit der Ukraine und betonte die Bedrohungslage für Polen und Litauen: „Wir müssen uns verteidigungsfähig machen, damit wir uns nicht verteidigen müssen.“ In einer Schnellfragerunde sprachen sich alle Parteien, mit Ausnahme der AfD, für weitere Waffenlieferungen aus.
Der Bruch der Ampelkoalition
Auf die Frage, wie der Bruch der Ampelkoalition hätte verhindert werden können, antwortete Wingerter (SPD), dass sich alle Partner an die Koalitionsvereinbarungen hätten halten müssen, was die FDP nicht getan habe: „Vielleicht heißt das Problem FDP.“ Mehrad Mehrbakhsh (FDP) verteidigte die Position seiner Partei und erklärte, dass Christian Lindner die Verfassung über die Koalitionsvereinbarung gestellt habe. Evelyn Berg (Grüne) unterstützte Wingerters Kritik und warf Lindner vor, seiner Verantwortung als Minister nicht gerecht geworden zu sein.
Umgang mit Extremismus
Zum Abschluss des Schlagabtauschs betonte Thomas Fetsch (AfD) zum Thema Extremismus, dass einzelne Aussagen von AfD-Politikern aus dem Kontext gerissen würden und „in unserer Partei ganz normale Menschen sind, von denen manche mehr und manche weniger sympathisch sind.“
Bruno Schwarz (Linke) wies darauf hin, dass rechte Straftaten doppelt so häufig seien wie linke, und Wingerter (SPD) unterstrich, dass AfD und Linke nicht vergleichbar seien. Er verwies auf den Anstieg rechtsextremistischer Taten in den letzten Jahren und schloss mit den Worten: „Nie wieder ist jetzt.“ Mehrad Mehrbakhsh (FDP) differenzierte, dass zwar nicht jeder AfD-Wähler ein Rassist sei, jedoch Rechtsextreme toleriert würden. Er zitierte Aussagen von AfD-Politikern wie Andreas Geithe, der sagte, dass er eine SA gründen und aufräumen wolle.
Alexander Bauer (CDU) stellte klar, dass Extremismus in jeder Form inakzeptabel sei. Er betonte, dass trotz der Verdoppelung der AfD-Wähler in den letzten drei Jahren diese ernst genommen werden müssten, und kritisierte die fehlenden politischen Reaktionen auf die Messerattacken in Solingen und Mannheim.
Fetsch (AfD) meldete sich erneut zu Wort und beklagte „krasse“ Aussagen gegen rechte Wähler und Rechtskonservative auf Social Media. Er hob hervor, dass auch Migranten in die AfD eintreten würden.
Nach der Podiumsdiskussion hatten die Schüler die Möglichkeit, in offenen Gesprächsrunden gezielte Fragen an die Bundestagskandidaten und Parteivertreter zu stellen. Die Veranstaltung wurde von der Schülervertretung und der Event-AG organisiert.
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