Bensheim. Der Lorscher Leseschwarm war am Mittwochabend in Bensheim gelandet. Allerdings nicht wie geplant am Wambolter Hof. Aufgrund des regnerischen Wetters haben die poetischen Brummer kurzerhand Kurs aufs Parktheater genommen. Im Gertrud-Eysoldt-Foyer hat das Ensemble vor rund 40 Gästen Texte aus vier Jahrhunderten serviert. Als Gäste waren Jeanette Giese und Berthold Mäurer mit dabei.
Nach dem Ende des alten Leseschwarms 2019, der damals zum letzten Mal mit öffentlichen Gedichte-Lesungen unterwegs war, und einer kleinen Verlängerung 2020 hatte sich bald ein Grüppchen zusammengefunden. Und auch ein neues Konzept wurde gezimmert. Im Mai scherte der „Leseschwarm 2.0“ dann ins gesamte Kreisgebiet aus.
Nach dem Gastspiel in Zwingenberg mit Texten von Fritz Graßhoff war diesmal die größte Stadt an der Bergstraße das Ziel. Es folgen Termine in Hemsbach (13. Juli) und am 10. August das Finale in Weinheim. Zu den Lesungen fährt jeweils ein eigens gecharterter Bus ab Lorsch – die Betreibergesellschaft konnte als Sponsor gewonnen werden.
Weder verstaubt noch langweilig
Mit Nicole Margraf, Karlheinz Mulzer, Sibylle Römer, Heidrun Scheyhing, Renate Stippler und Margit Vogel rezitierten im Parktheater sechs Poesie-begeisterte Akteure um die Wette. Dabei hat sich gezeigt, dass Lyrik weder verstaubt noch langweilig oder veraltet beziehungsweise aus der Zeit gefallen ist. Viele der poetischen Miniaturen zeigen einen hohen Grad an Aktualität – zumal auch das Thema des Abends („Gedichte für Paare“) ja ebenfalls eine gewisse Zeitlosigkeit in sich trägt.
„Neue Liebe, neues Leben“ klingt zwar ähnlich wie ein Schlagertitel von 1972, ist aber ein Werk von Goethe aus dem Jahr 1775, das sowohl im Sturm und Drang wie auch im 21. Jahrhundert inneres Kopfnicken verursacht. Das lyrische Ich entfremdet sich von sich selbst und kommt trotzdem nicht von seiner Liebe los. Ein schöner Einstiegstext im Theaterfoyer, wo die Leseschwärmer abwechselnd vorgetragen haben. Darunter auch mehrere Texte von Erich Fried, was ein zufälliger, aber sehr schöner Bezug zu dem ein oder anderen Bild der Malerin Ulrike Fried-Heufel darstellte, die gerade im Parktheater ausstellt. „Und ich muss wissen, wenn ich liebe, dass es wirklich die Liebe zu dir ist und nicht nur die Liebe zur Liebe zu dir“, heißt es in „Aber solange ich atme“.
„Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich dich nicht getroffen hätte“, schreibt Fried in „Nur nicht“ und bringt damit einen elementaren Zwiespalt der Liebe auf den Punkt. „Es wäre nur nicht mein Leben“, fügt der Lyriker an. Der Abend schlug wilde Bögen von Ulla Hahn zu Joachim Ringelnatz und von Bertolt Brecht zu Mascha Kaléko. Unter den Lyrikern waren auch Christine Cepok aus Lampertheim und Renate Stippler aus Darmstadt, die beide auch zu den Schwärmern gehören. Mit Texten aus Armenien und der Ukraine wurde die Dramaturgie positiv angereichert.
Jeanette Giese servierte zum Ende der ersten Hälfte Beiträge von Wilhelm Busch („Hochzeitsreise“) und Kurt Tucholsky: in „Ehekrach“ kommt der Verfasser zu dem Schluss: „Das ist schwer: ein Leben zu zwein. Nur eins ist noch schwerer: einsam sein.“ Giese, die mit Tucholsky eines ihrer ersten eigenen Bühnenprogramme überhaupt bestritten hatte, präsentierte sich als gewohnt energetische und sprachmächtige Vortragskünstlerin, die geschriebenen Zeilen veritables Leben injizieren kann.
Ihrem langjährigen Bühnenkollegen und ehemaligen Bensheimer Kulturamtsleiter Berthold Mäurer gebührte das „Schlusswort“ im Eysoldt-Foyer. Mit Francois Villon und Robert Gernhardt schlug er eine Brücke vom 15. ins ausgehende 20. Jahrhundert.
„Eine kleine Liebesballade, gedichtet für Jeanne C. de Quée“ schwärmt vom roten Haar der Angebeteten, in das er sich unsterblich verliebt hat – und Mäurer schmachtete nicht minder. Und wenn Robert Gernhardt ein Paar in unterschiedlichen Erinnerungen an Italien kollidieren lässt (Penne oder Gnocchi, Steinpilz oder Trüffel), dann treffen sich Wortwitz, szenische Würze und kluger Charme in einem knackigen 16-Zeiler mit erfrischender Pointe: „Du schworst verzückt, ich sei schlichtweg vollkommen – Ich war nicht verzückt. Ich war schlichtweg vollkommen weg.“
Die beiden Gäste haben den Bensheimer Landeplatz des Lorscher Leseschwarms auf jeden Fall sowohl rhetorisch wie auch in der künstlerischen Auswahl erfrischend bereichert. Ein netter Abend. In der Pause wurden Wein, Wasser und Snacks gereicht.
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