Auerbach. „Ich kenne euren Dialekt hier ganz gut“, sagte Alicia Aumüller in einem weniger schmeichelhaft denn faktisch gemeinten Satz in einen aufkeimenden Applaus hinein, den man fast immer erwarten darf, wenn sich jemand dahingehend äußert, dass sie oder er mit lokalen Gebräuchen oder Spracheigenheiten vertraut sei.
Die gebürtige Salzburgerin hatte es aus verwandtschaftlichen Gründen mütterlicherseits früher öfter nach Südhessen geführt, insbesondere in die Region rund um Darmstadt und Groß-Gerau. Am Samstagabend hat sie in Bensheim gemeinsam mit ihrer Bühnenpartnerin Patrycia Ziólkowska für ihre schauspielerischen Leistungen in „Ödipus, Tyrann“ den zweifachen Gertrud-Eysoldt-Ring 2022 entgegengenommen (wir haben berichtet).
Mit 17 nach Swasiland
Auch am Tag danach herrschte in Bensheim noch Theaterlaune – wenn auch hier und da mit leichten Ringen unter den Augen. Die Preisträgerinnen jedenfalls zeigten sich munter und kommunikativ. Auf dem Podium im Parkhotel Krone nahmen außerdem Ödipus-Regisseur Nicolas Stenmann sowie Marie Schleef Platz, die im Parktheater mit dem Kurt-Hübner-Regiepreis 2022 für ihre Inszenierung „Once I lived with a stranger“ am Schauspiel Köln ausgezeichnet wurde.
Im Gespräch mit der Regiepreis-Jurorin und Dramaturgin Rita Thiele plauderten sie über biografische Spezialitäten und künstlerische Ideen, was dem Publikum einen überaus unterhaltsamen Vormittag geschenkt hat.
Beispielsweise erfuhr man, dass Marie Schleef vor ihrer Ausbildung an der Ernst Busch Akademie von Deutschland zunächst nach Österreich und dann – mit 17 – ins südafrikanische Königreich Swasiland gezogen ist, das heute Eswatini heißt. Möglichst weit weg vom schönen, aber kleinen Graz sollte es gehen.
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Auf einer internationalen Schule mit 120 Nationalitäten hat sie ihren Schulabschluss gemacht, bevor sie über New York nach Berlin weitergereist ist. 2020 hatte Schleef im Ballhaus Ost die siebeneinhalbstündige Performance „Name Her“ inszeniert, um Frauen eine Bühne zu geben, die in den Geschichtsbüchern zu kurz kommen. Die Koproduktion mit dem Kosmos Theater Wien und den Münchner Kammerspielen hatte polarisiert.
„Entweder man liebt oder man hasst es“, so die 32-Jährige in Auerbach über ihre Idee von Theater: unkonventionell bis radikal, innovativ und experimentell. In dem wortlosen Einpersonenstück „Once I lived with a stranger“, das vergangene Woche bei der Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler in Bensheim aufgeführt wurde, spielt Schleef mit einem basslastigen, hypnotischen Sounddesign, das bei manchem im Parktheater für Irritationen gesorgt hat. Es sei in Ordnung, wenn man ein Theater vorzeitig verlasse, so die Regisseurin.
Eine dialogische Performance
Hauptsache, das Publikum nehme eine Erfahrung mit – positiv oder negativ. Marie Schleef provoziert nicht um der Provokation Willen, sie will die Zuschauer mit dem Bühnengeschehen kollidieren lassen. Allein darum gehe es im Theater, sagt sie. „Wir inszenieren ja nicht den Alpendoktor!“ Heile Welten sind in ihren Stücken ganz weit entfernt. Für „Stranger“ hat sie einen Zeitungsartikel des „Guardian“ zur Vorlage genommen und ihn in eine Art Tagebuch-Form übersetzt. Die sprachlose Kraft des Stücks bei bemerkenswert, so Rita Thiele.
Den offenbar recht aufreibenden Entstehungsprozess der Züricher Ödipus-Fassung hatten Patrycia Ziólkowska und Alicia Aumüller am Samstag im Parktheater in einer dialogischen Performance karikiert. In Auerbach berichteten die drei Beteiligten von der Probenarbeit und der Auswahl des Stoffs.
Nicolas Stemann erkannte in dem Sophokles-Drama einen hohen Zeitbezug: „Es geht um Schuld und Krisen, um Verantwortung und Verdrängung“, so der 54-jährige Hamburger, der „unbedingt“ etwas mit den beiden Schauspielerinnen entwickeln wollte. In „Ödipus, Tyrann“ spielen sie sämtliche Rollen.
Auch Stemann hat bereits einen Marathon inszeniert: 2011 hatte er Faust I und II bei den Salzburger Festspielen in acht Stunden, damals schon mit Patrycia Ziólkowska und Barbara Nüsse, die zwei Jahre zuvor in Bensheim mit dem Eysoldt-Ring gewürdigt wurde.
Ein klares „ja“ antwortete Alicia Aumüller auf Thieles Frage, ob es denn lokal unterschiedliche Publikumsarten gäbe, man also ortsbezogen bestimmte Mentalitätsgefälle im Zuschauerverhalten feststellen könne. In der Schweiz etwa sei man spürbar zurückhaltender, was aber nicht bedeute, dass man die Qualität eines Stücks nicht zu schätzen wisse.
Sie sei sich auch darüber bewusst, dass die persönliche DNA eines Schauspielers nicht eins zu eins in jede Stadt passe: „Man kann nicht überall aufblühen“, so Aumüller. In Bensheim konnte man am Wochenende aber genau dies miterleben: drei Preisträgerinnen, die sich sichtlich wohl fühlten und schnell mit dem Publikum „warm geworden“ sind.
Auch Rita Thiele hatte für den Austragungsort der Eysoldt-Verleihung noch ein Lob parat: „Bensheim hat ein herzliches und interessiertes Publikum. Der Preis ist hier sehr gut aufgehoben!“
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