Kultur

Eysoldtring in Bensheim an zwei Schauspielerinnen vergeben

Am Samstag nahmen die Schauspielerinnen Patrycia Ziólkowska und Alicia Aumüller in Bensheim den renommierten Gertrud-Eysoldtpreis im Parktheater entgegen. Marie Schleef erhielt den Kurt-Hübner-Regiepreis 2022.

Von 
Thomas Tritsch
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Eine echte Premiere: Die Eysoldt-Preisträgerinnen Patrycia Ziółkowska (re.) und Alicia Aumüller inszenierten ihre Dankesrede am Samstag im Parktheater im Stil eines antiken Chors mit einem abschließendem Gesangbeitrag. © Thomas Zelinger

Bensheim. Nach 2014 wird der Gertrud-Eysoldt-Ring in diesem Jahr wieder zweimal vergeben: Damals würdigte die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste Wolfram Koch und Samuel Finzi. Am Samstag nahmen die Schauspielerinnen Patrycia Ziólkowska und Alicia Aumüller in Bensheim den renommierten Theaterpreis entgegen. Marie Schleef erhielt den Kurt-Hübner-Regiepreis 2022 für ihre Inszenierung „Once I lived with a stranger“ am Schauspiel Köln.

Ziólkowska und Aumüller wurden für ihre Darstellungskunst in „Ödipus Tyrann“ am Schauspielhaus Zürich ausgezeichnet. Die beiden übernehmen in der Inszenierung von Nicolas Stemann sämtliche Rollen. „Ödipus sucht die Wahrheit – im Zusammenspiel der beiden Frauen leuchtet sie“, kommentierte die Jury ihre Entscheidung.

Antikes Drama, modern erzählt

Für das Gremium aus André Jung (Preisträger 2018) und den Regisseuren Karin Henkel und Jossi Wieler stand die besondere Fähigkeit des Zusammenspiels im Vordergrund. Alicia Aumüller und Patrycia Ziółkowska hätten die Gabe, „sich gegenseitig zuzuhören, sich gegenseitig zu fordern, sich aber auch immer wieder zu bescheiden. Ihr Theater lebt von der künstlerischen Freiheit im Umgang miteinander“.

Es berühre sehr, wie modern die beiden Künstlerinnen gemeinsam die großen Themen dieses antiken Dramas spielend erzählen: temporeich und direkt, changierend zwischen den Geschlechtern und keine Klischees bedienend. „Fasziniert sind wir von einem Krimi, der intelligenter und nahbarer kaum erzählt werden kann.“

Die Laudatio im sehr gut besuchten Parktheater hielt der Spielleiter selbst. Nicolas Stemann gilt als einer der namhaftesten Regisseure auf deutschen Bühnen, er arbeitet mit beiden Preisträgerinnen schon seit vielen Jahren zusammen. Insbesondere mit Patrycia Ziółkowska: beide hatten 2009 am Schauspiel Köln „Die Kontrakte des Kaufmanns“ von Elfriede Jelinek inszeniert. „Sie ist geballtes Talent“, so Stemann in Bensheim.

Von Rollen-Klischees befreit

Ziólkowska, geboren 1979 in der Nähe von Warschau, erhielt ihre Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule Bochum und hatte Engagements in Hannover, Köln, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, der Volksbühne und der Schaubühne in Berlin. „Wenn ich Ödipus spiele, dann ist es mir egal, dass ich dies als Frau tue“, wurde sie von ihrem Regisseur zitiert. Die Künstlerin befreie sich immer wieder aus Rollen-Klischees und ermögliche so einen neuen, spannenden Blick auf den Theaterstoff, sagte Stemann.

Alicia Aumüller aus Salzburg, Jahrgang 1983, studierte an der Zürcher Hochschule der Künste und war zunächst als Ensemblemitglied am Theater Neumarkt engagiert. Anschließend ging sie ans Thalia Theater Hamburg, bevor sie nach Zürich zurückkehrte und dort auch mit ihrer Familie lebt. Dort war sie in Inszenierungen von Barbara Weber, Roger Vontobel (Kurt-Hübner-Regiepreis 2006) und Christoph Schlingensief zu sehen. Anschließend ging sie ans Thalia Theater Hamburg, wo sie zunächst als Gast mit Jette Steckel (Regiepreis 2007) arbeitete, bevor sie ab der Spielzeit 2013/2014 fest ins Ensemble eintrat.

Sie vereine sowohl hoch präzises Spiel wie auch die freie Entfaltung innerhalb ihrer Rolle. „Ihr seid beide die Musik wie auch die Instrumente“, so Nicolas Stemann im wohl schönsten Lob des Abends. Das gemeinsame Spiel sei atemraubend und entziehe sich jeder widerspruchsfreien Bewertung – „Kunst eben!“

Die Gala als interaktiver Ausklang



  • Im Anschluss an die Preisverleihung spazierten die Gäste über einen gleißend roten Teppich hinüber ins Bürgerhaus, wo man – ohne Zeit zu verlieren – zum gemütlichen Teil überging. Im ansprechend illuminierten Saal servierte ein fixes Serviceteam ein „Flying Buffet“ aus aromatischen Miniaturen. Darunter Lachs-Crêpe-Roulade, Serrano-Schinken und eine Kaltschale aus Rote Beete mit Apfel und Walnüssen.
  • Als Hauptgang flogen geschmorte Kalbsbäckchen mit Spätburgunderjus, Bachsaibling auf Kräuterschaum und gelbes Linsencurry hinterher. Und wer noch immer noch genug hatte, der versiegelte den Magen mit Tiramisu, Cassis-Sorbet oder Cheesecake-Creme. Zwischen vielen für Künstler und Sponsoren reservierten Tischen fanden auch Solisten und private Galagäste irgendwo ein Plätzchen im kommunikativen Gewimmel, in das auch das Foyer einbezogen war.
  • Kurz vor 22 Uhr spielte die „King Kamehameha Club Band“ zum Tanz auf. Ein sättigender und interaktiver Ausklang eines rundum kurzweiligen Theaterabends, an dem auch die Preisträgerinnen sehr präsent waren. tr

Die Preisverleihung führte nicht nur die lange Dramaturgie des erstmals 1986 vergebenen Eysoldt-Rings fort, sondern auch in gewisser Weise die Rückkehr der Kultur im Allgemeinen. Die Hessische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, bezeichnete sie als existenziellen Bestandteil einer Gesellschaft, über den sich letztlich auch deren demokratisches Verständnis definiere. Die Pandemie habe gezeigt, dass es nicht ohne geht. Und der Krieg in der Ukraine zeige auf schreckliche Weise, wie hier die kulturelle Identität einer ganzen Nation ausgelöscht werden soll.

„Die Zeit ist aus den Fugen“, zitierte Akademie-Präsident Hans-Jürgen Drescher aus „Hamlet“. Sein Satz bezog sich aber nicht auf das ungemütliche Elisabethanische Zeitalter, sondern auf eine multiple Krise und die Deutungshoheit auf einen zeitgenössischen Konflikt. „Die Krise als Narrativ bestimmt unsere Wahrnehmung“, so Drescher.

Das Theater biete alle Voraussetzungen, um sich daraus zu befreien und neue Perspektiven auf die Welt zu erproben. Die Fiktion könne aus Ausweg sein, das Theater führe die These der Alternativlosigkeit ad absurdum und habe das Potenzial, zu zeigen, dass alles auch ganz anders sein könnte.

Künstlerische Energie

Die Verleihung des Gertrud-Eysoldt-Rings 2022 sei ein Anlass, um sich dieser künstlerischen Energie bewusst zu werden, so der Präsident der Theaterakademie August Everding in München, der im Parktheater auch an die Namensgeberin erinnerte. Gertrud Eysoldt würdigte er als Revolutionärin der Schauspielkunst.

Ihre Darstellung in „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal im Jahr 1903 (Hofmannsthal hatte das Drama für sie geschrieben) habe als „Elektra-Schock“ Theaterhistorie geschrieben. An der Seite von Max Reinhardt spielte sich die 1870 geborene Eysoldt zu einer der bedeutendsten Charakterdarstellerin ihrer Zeit empor. Zugleich gilt sie als erste Feministin des deutschen Theaters, wie am Samstag mehrfach betont wurde. Es sei dem in Auerbach lebenden Theaterkritiker Wilhelm Ringelband zu verdanken, dass Eysoldts Name noch immer so berühmt sei, so Drescher. Der Preis wurde von Ringelband gestiftet und ist mit 10 000 Euro dotiert.

„Gleich drei Frauen, das hat es in der langen Geschichte der beiden Theaterpreise noch nie gegeben“, so Bürgermeisterin Christine Klein über das rein weibliche Ensemble des Abends. Zwar dürfe man künstlerische Leistungen nicht als Wettstreit der Geschlechter verstehen: „Herausragende Schauspielleistungen und großartige Regiearbeiten sollten um ihrer selbst willen geschätzt und bewundert werden“, so Klein.

„Feministische Theaterpolitik“

Dennoch freue sie sich über die hohe Wertschätzung der Künstlerinnen, die in den diesjährigen Auszeichnungen zum Ausdruck komme. Die Rathauschefin betonte in diesem Kontext, dass viele wichtige Positionen am Theater nach wie vor überwiegend von Männern besetzt seien. Frauen seien in der Kulturszene viel häufiger als Männer in prekären Vertragssituationen beschäftigt, außerdem klaffe noch immer eine deutliche Gehaltslücke, so Klein weiter. „Wir brauchen eine feministische Theaterpolitik“, so die Bürgermeisterin.

Männlich dominierte Machtstrukturen müssten durchbrochen und Frauen ein gleichberechtigter Zugang auch zu den besonders einflussreichen Positionen am Theater eröffnet werden. Es gebe in der Theaterbranche noch viel zu tun, um Frauen endlich die Geltung zu verschaffen, die sie verdienen, so Klein, die für ihre Worte lauten Applaus hörte.

Erinnerung an Fritz Dorsheimer

Die Stadt Bensheim sei froh, dass das Kulturleben durch hochwertige Veranstaltungen wie die Verleihung des Eysoldt-Rings und des Karl-Hübner-Preises, aber auch die laufende Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler, bereichert wird.

Kunst und Kultur bauen Brücken, überwinden Grenzen, liefern geistige Nahrung und Inspiration, so Klein, die auf der Bühne auch an den jüngst verstorbenen Goldschmied Fritz Dorsheimer erinnerte, der die besonderen Ringe nach einer Vorlage des Düsseldorfer Gold- und Silberschmieds Franz J. Bette seit Jahrzehnten angefertigt hat.

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Die Schmuckstücke für Patrycia Ziólkowska und Alicia Aumüller waren die letzten aus seinem Atelier. „Wir werden seiner gedenken“, so Christine Klein bei einem Festakt, der überaus gelöst, unverkrampft und heiter über die Bühne ging.

Einen klangvollen Anteil daran hatte auch Schauspieler und Musiker Christian Friedel mit seiner Band „Woods Of Birnam“. Der kantige Elektro-Pop der Formation, die sich aus ehemaligen Mitgliedern von „Polarkreis 18“ zusammensetzt, hat den Abend sehr bereichert. In Bensheim spielte die Band einige Stücke, die für den Monologabend „Dorian“ am Düsseldorfer Schauspielhaus komponiert wurden.

Gemeinsames Lied zum Abschluss

„Wir feiern heute das Theater, dem momentan leider häufig seine Relevanz abgesprochen wird“, so Christian Friedel, der neben seiner Musik- und Theaterarbeit auch aus TV-Produktionen wie „Babylon Berlin“ bekannt ist. Ein Glücksgriff für die künstlerische Gestaltung der Preisverleihung, die noch in weiterer Hinsicht einzigartig war: Patrycia Ziólkowska und Alicia Aumüller inszenierten ihre Dankesrede im Stil eines antiken Chors. Ein bisschen „Ödipus“ in Bensheim. Gefolgt von einem gemeinsamen Lied der Preisträgerinnen. Das gab es noch nie. Langer Beifall im Parktheater.

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