Monumentaler Bau für die Bensheimer Reichspost

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Anders als das hier vor einiger Zeit besprochene Telekom-Gebäude an der Fehlheimer Straße wird den meisten Passanten das große Gebäude an der Darmstädter Straße in der Nähe des Ritterplatzes wohlwollend ins Auge fallen. Doch viele können sich nicht mehr an die Zeit erinnern, in der das Gebäude die oben im Giebel beschriebene Funktion erfüllte.

„Postamt“ steht immer noch gleichermaßen stolz wie schlicht auf der Fassade des symmetrisch angelegten Baus geschrieben. Doch ist die Bensheimer Poststelle schon seit 1987 in der Schwanheimer Straße angesiedelt, wo sie zwar mehr abseits des Zentrums, aber doch vielleicht verkehrsgünstiger für die Transportfahrzeuge gelegen ist.

Niederlassung einer Reichsbehörde

Ab 1908/09, also knapp 80 Jahre residierte die Post in ihrem monumentalen, repräsentativen Gebäude an der Darmstädter Straße – und der Gegensatz zu dem jüngeren, betont funktionalen Gebäude könnte kaum größer sein. Gegenüber dem nüchternen modernen Bau trat das Gebäude der Reichspost unter dem Bild des preußischen Adlers als hoheitsvolle Institution auf: Es war die Niederlassung einer Reichsbehörde des seit 1871 bestehenden Deutschen Kaiserreichs.

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Seit den Anfängen des Reichs wurden stetig mehr Postämter gebaut und die Reichspost richtete 1875 eine eigene Bauverwaltung ein, die dafür sorgte, dass die neu zu errichtenden Gebäude „nicht nur innen gesunde, helle, ausreichende Räume für die verschiedenen Dienstzweige und auch für das verkehrende Publikum enthalten, sondern auch nach außen sich stattlich, als Vertreter des Reichsgedankens darstellen sollten. Dabei sollten sie in gutem, echtem Material und möglichst in Anlehnung an den besten örtlichen Baustil, immer aber so ausgeführt werden, dass sie für die Bauhandwerker des Ortes als Anleitung und Vorbild für die Ausübung ihres Gewerbes dienen und andere Bauunternehmer zur Nacheiferung anreizen konnten“, so eine zeitgenössische Quelle.

Am Rodensteiner Hof orientiert

Gemäß dieser Anweisung greift das Postgebäude den Stil des gegenüber gelegenen, aus dem 18. Jahrhundert stammenden Rodensteiner Hofs auf. Es ist wie dieser zweigeschossig mit Walmdach, und kombiniert Bauteile aus rotem Sandstein mit verputzten Partien. Auch in der Bauornamentik zitiert das Postamt Formen des Adelshofs. Dabei hätte der Rodensteiner Hof offenbar selbst zur Nutzung durch die Post zur Verfügung gestanden: Die Stadt Bensheim hatte der Witwe des Freiherrn von Rodenstein im Jahr 1905 ihren gesamten Grundstücksbesitz abgekauft und hätte es gern gesehen, dass die kaiserliche Oberpostdirektion das Gebäude gekauft hätte, das die Stadt damals übrigens im ganzen Kaiserreich zum Kauf oder zur Miete inserierte, als „Herrschaftswohnung eventl. auch für Kuranstalt“ – ohne Erfolg. Auch für die Belange der Post war das Haus offenbar nicht geeignet.

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Das dann schräg gegenüber errichtete große Postamt – einen eigenen Vorgängerbau gab es nicht – diente nicht nur der Abfertigung von Brief- und Paketpost, sondern auch dem Reiseverkehr der Post, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts schon wesentlich für eine stetig sich steigernde Reisetätigkeit war. Und es war, wie oben geschildert, eine Demonstration staatlicher Potenz.

Früher Bibliothek, heute Archiv

Der Vertreter der bundesrepublikanischen Oberpostdirektion wertete dann das neue Gebäude bei der Einweihung im Juli 1987 „als sichtbaren Beweis einer offensiven Strategie der Post“. Der Neubau ist auch im Umfeld der Auflösung staatlicher Monopolstellungen zu sehen, die im Rahmen der Etablierung des Europäischen Binnenmarktes stattfand. In Deutschland wurde in der Folge die Post in drei unterschiedliche Bereiche aufgeteilt und privatisiert.

Seit die Post aus dem alten Postamt ausgezogen ist, fanden hier unterschiedliche städtische und private Angebote Platz. Lange Jahre war die Stadtbibliothek in Teilen des Gebäudes angesiedelt, heute ist das städtische Archiv hier untergebracht.

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