Bensheim. Wenn Sirenen im Notfall selbst zur Katastrophe werden, läuft etwas gewaltig schief – so geschehen beim bundesweiten Warntag im September 2020. Statt standesgemäß zu warnen, blieben viele Anlagen stumm, auch in Bensheim. Das soll sich in Zukunft nicht mehr wiederholen, weshalb aktuell massiv in die Infrastruktur investiert wird.
Im Gespräch mit dieser Zeitung erklärte Stadtbrandinspektor Jens-Peter Karn, dass man sich nicht erst seit der Flutkatastrophe im Ahrtal oder dem Krieg in der Ukraine intensiv mit der sogenannten kritischen Infrastruktur befasst. „Wir haben schon 2015 im Bedarfs- und Entwicklungsplan der Feuerwehr entsprechende Überlegungen angestellt.“ Ohnehin steht die größte Stadt im Kreis besser da als andere Kommunen, weil man die 27 im Stadtgebiet verteilten Sirenen in den vergangenen Jahrzehnten erst gar nicht abgeschafft hatte.
Digitale Empfänger
Durch den russischen Angriff kam zwar öffentlich eine neue Dynamik in die Angelegenheit, dennoch ist Karn mit dem Stand der Vorbereitungen soweit zufrieden, „auch wenn wir gerne schon weiter wären“. Konkret bedeutet das: Noch in diesem Jahr werden die 27 Anlagen auf digitalen Empfang umgerüstet. Die Geräte sind vorhanden, im dritten Quartal soll die Umstellung abgeschlossen sein. Das Vorhaben muss allein deshalb schon mit etwas Elan angegangen werden, weil das Land Hessen zeitnah die analogen Frequenzen kündigt, dann herrscht Stille auf den Kanälen.
Die Digitalisierung ist jedoch nur der kleinere von zwei großen Schritten, die notwendig sind, um die Bevölkerung umfassender und ausfallsicherer warnen zu können. Denn die Zeit der alten Pilzköpfe auf Dächern oder an der Spitze eines Mastes läuft ab. Die alten Motorsirenen, die mit einem Ventilator laufen, werden durch eine elektronische Variante ersetzt. Diese haben eine größere Reichweite, funktionieren dank eines Akkus auch bei Stromausfall und ermöglichen individuelle Ansagen. „Außerdem können wir damit sämtliche Warnsignale abspielen“, so Karn.
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Auf dem Parkhaus Süd befindet sich bereits seit 2018 eine solche Sirene, die in der Hauptsache aus zwei hornförmigen Lautsprechern besteht. Die Anlagen auf dem Rathaus und dem Feuerwehrstützpunkt in der Robert-Bosch-Straße erhalten in diesem Jahr ihr Update. Vorgenommen haben sich die Verantwortlichen anschließend, bis 2027 alle anderen Sirenen umzubauen, eventuell wird es im Zuge des Konzepts auch neue Standorte für eine bessere Abdeckung geben.
Wobei der Stadtbrandinspektor durchaus ambitionierter an den Start geht – was in Sicherheitsfragen kein Fehler ist. Er persönlich habe sich vorgenommen, in zwei Jahren schon 60 Prozent der Arbeiten erledigt zu haben, wohlwissend, dass man von externen Faktoren abhängig ist. Dazu gehört die Verfügbarkeit der Fachfirmen, die mittlerweile ziemlich ausgebucht sind. „Die Nachfrage ist deutschlandweit riesig“, weiß Karn.
20 000 Euro pro Sirene hat er veranschlagt, Extrakosten für neue Fundamente und sonstige Nebenkosten nicht einkalkuliert. Inflation und ein genereller Preisanstieg machen eine exakte Berechnung, vor allem auf einen Zeitraum von vier Jahren, allerdings kompliziert. Einen reibungslosen Ablauf vorausgesetzt, könnten nach Abschluss des Projekts 95 Prozent des Stadtgebiets beschallt, sprich abgedeckt, werden. Mehr ist kaum möglich, „sonst müssten wir neben jeden Aussiedlerhof eine Sirene stellen“, verdeutlichte der Fachmann. Der kommunale Durchschnitt liegt bei 80 Prozent Abdeckung.
Beschallungskonzept
Ein Beschallungs- und Standortplan samt Kostenschätzung soll der Stadtverordnetenversammlung vor der Sommerpause vorgelegt werden. Damit habe man sich schon vor der Flutkatastrophe 2021 befasst, man liege deshalb gut im Zeitplan.
Ein weiteres Thema, was die Feuerwehr nicht erst seit gestern beschäftigt, sind die Folgen eines flächendeckenden Stromausfalls und die Reaktion seitens der Einsatzkräfte darauf. Diese Gefahr sei unabhängig vom Krieg in der Ukraine immer vorhanden. Karn plädiert jedoch für einen nüchternen Umgang mit dem heiklen Diskussionsfeld. „Das muss man mit Maß und Ziel ansprechen, Panik ist da völlig unangebracht.“
Es sei dennoch notwendig, in der Bevölkerung Aufklärungsarbeit zu leisten. Vor 50 Jahren sei das weniger problematisch gewesen, da hatten die Eltern oder Großeltern genug Vorräte im Keller und wären auch ohne Schwierigkeiten ein paar Tage ohne Strom über die Runden gekommen. Das hat sich in unserer digitalisierten und vielfach elektrischen Welt mittlerweile geändert.
„Da kann man schon mal vorausdenken, es ist ja nichts Schlimmes. Man kann es sich im Prinzip wie einen Camping-Urlaub vorstellen, für den man ja auch bedarfsgerecht packen sollte“, fasste Karn zusammen. So schadet es nicht, ohne Hamsterkauf-Allüren neben Lebensmitteln und Wasser auch Hygieneartikel oder besagte einfache Campingausrüstung „gebunkert“ zu haben. Eine Liste mit Empfehlungen findet sich auf den Seiten der Bundesregierung.
Für die Feuerwehr hat der Stadtbrandinspektor mit seinem Team einen Stufenplan erarbeitet, den man ebenfalls der Stadtverordnetenversammlung vorlegen wird, weil er mit Kosten verbunden ist. In der ersten Stufe soll beispielsweise sichergestellt werden, dass die Feuerwehren 24 Stunden unter Volllast arbeiten können. Dafür braucht es unter anderem eine Treibstoffreserve, um über ein Notstromaggregat die Gerätehäuser mit Strom versorgen zu können.
Vier Gebäude verfügen schon über solche Möglichkeiten der Einspeisung, die sechs übrigen im Stadtgebiet nicht. Die Mittel für den Kauf der Geräte und die Aufrüstung sollen in den nächsten Jahren bereitgestellt werden, eine Zusage der Kommunalpolitik vorausgesetzt.
Wie die Vorgehensweise bei einem Blackout generell aussieht, hängt zudem davon ab, zu welcher Jahreszeit die Lichter ausgehen, wie schnell Hilfe von Land und Bund zu erwarten wäre – und wie die Bevölkerung reagiert. Für Letzteres plant die Verwaltung eine kleine Bürgerbefragung. Ohnehin will man das Thema in der Öffentlichkeit präsenter einbringen, „aber unaufgeregt und im Ton angemessen“, kommentiert Karn.
Das sieht auch Bürgermeisterin Christine Klein so. „Wir müssen eine funktionierende und zukunftsgerichtete Infrastruktur haben und diese Themen sachlich ansprechen.“ Sie sieht Bensheim in Sachen kritischer Infrastruktur gut aufgestellt, aber es gebe Nachholbedarf, um den man sich kümmern werde. Dafür sorgt nicht zuletzt die Mannschaft rund um den Stadtbrandinspektor, die für die nächsten Jahre einen klaren Plan erstellt hat – um Bensheim für einen möglichen Ernstfall bestmöglich zu schützen.
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