Bensheim. „Ich habe noch niemals zuvor etwas so Erschreckendes gesehen wie bei unserem Einsatz beim verheerenden Hochwasser in Nordrhein-Westfalen. Aber wir haben auch viel Solidarität und Dankbarkeit erfahren. Das war toll.“
Stefan Fasser war als Gruppenführer mit fünf Feuerwehrkameraden aus Bensheim in zwei Einsatzfahrzeugen und benachbarten Wehren aus Wald-Erlenbach, Lorsch, Hofheim und mit Unterstützung der Johanniter Unfallhilfe in Stolberg bei Aachen, um das Wasser aus dem Europatunnel und zwanzig Kellern abzupumpen.
Stolberg ist eine der Städte, die besonders hart vom Unwetter getroffen wurden. Und auch fast vier Wochen später ist der stellvertretende Vorsitzende der Freiwilligen Feuerwehr von seinen Eindrücken, den massiven Überschwemmungen und den Folgen für die Bevölkerung sichtlich betroffen.
Anruf um 11, Abfahrt um 16 Uhr
„Donnerstags um 11 Uhr kam der Anruf, dass unsere Hilfe benötigt wird. Um 16 Uhr war Abfahrt des Mannschaftswagens nach Stolberg. Nach 39 Stunden Dauereinsatz ohne Schlaf haben wir am Samstag eine Ablösung für unsere Wehrmänner organisiert“, beschreibt Stadtbrandinspektor Jens-Peter Karn die schnelle und unbürokratische Organisation, die sich nach dem Alarmplan des Hessischen Innenministeriums orientierte. Feldbetten, ausreichend Sprit und Verpflegung hatte der Freiwilligentrupp dabei. Schließlich lag die gesamte Infrastruktur in dem Gebiet am Boden.
Eine komplette Woche sollte der Trupp aus Hessen im Katastrophenschutzgebiet bleiben. Abgezogen wurde er allerdings bereits wesentlich früher. „Wir haben eine schlagkräftige, gut vorbereitete Truppe“, versichert der Feuerwehr-Chef: „Bei der letzten Hochwasserübung vor fünf Jahren haben sich 60 Personen gemeldet.“
Und, so Karn, für alle Wehrfrauen und -männer gibt es im Stützpunkt gut einsehbare, vorgefertigte Alarm- und Katastrophenpläne, bei welchem Ereignis welches Fahrzeug zum Einsatz kommt. So könne schnell reagiert werden: „Wir denken weit vor, wo und wie wir die Kommune brandtechnisch entwickeln und weiter bringen können.“
Fast die komplette SPD-Fraktion mit Stadträtin Josefine Koebe und dem stellvertretenden Vorsitzenden Werner Bauer an der Spitze machte bei ihrer Sommertour in dieser Woche Station am Feuerwehrstützpunkt, um aus erster Hand Informationen über Brand- und Katastrophenschutz, über Fahrzeugpark, Ausrüstung, Ausbildungs- und Mitgliederstand, Alarmpläne und notwendige Investitionen und Neuanschaffungen zu sammeln.
Auch die Feuerwehrdezernentin, Bürgermeisterin Christine Klein, war vor Ort und lobte das zeitaufwendige ehrenamtliche Engagement der Freiwilligen Feuerwehren im Stadtgebiet und deren hohe Bereitschaft zur Fort- und Weiterbildung.
Gerade erst vor wenigen Tagen hatte Klein nach den folgenschweren Versäumnissen in Rheinland Pfalz und Nordrhein-Westfalen Kontakt mit dem Stadtbrandinspektor aufgenommen, um über die rechtzeitige Warnung der Bürger im Notfall mittels Sirenen und Warn-Apps zu sprechen: „Wir müssen aus schwierigen Situationen lernen, vor allem was die Warntöne von Sirenen bedeuten“, so die Bürgermeisterin, die auch die Sammelpunkte im Stadtgebiet bekannter machen möchte. Bei diesem sensiblen Thema stellte Thomas Strößinger, stellvertretender Stadtbrandinspektor, einmal mehr unter Beweis, dass die Stadtfeuerwehren nicht „erst handeln, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern vorausdenken“.
Schon seit März, Monate vor der Hochwasserkatastrophe im Juli, habe sich das Führungsteam mit der flächendeckenden Alarmierung der Bevölkerung im Katastrophenfall befasst und Schwachpunkte beim Abdeckungsradius einzelner Anlagen analysiert: „Immerhin gibt es in Bensheim noch 27 Sirenen, von denen fast alle funktionstüchtig sind. Andere Kommunen haben alle abgebaut.“ Die Funktion der Warn-App sei ebenfalls diskutiert, das digitale Funksystem („Wer hat schon nachts um 3 Uhr sein Handy angeschaltet?“) mit der analogen Warnung auf den Prüfstand gestellt und das Risiko eines Stromausfalls diskutiert worden.
Ein weiteres Thema, für das sich die SPD-Fraktionsmitglieder interessierten, war der für fünf Jahre ausgelegte Bedarfs- und Entwicklungsplan zur Gefahrenanalyse, mit dem sich eine Arbeitsgruppe der Wehr seit geraumer Zeit beschäftigt. Der Neubau der ICE-Strecke beispielsweise stelle die Wehren vor neuen Herausforderungen – um nur eines von vielen Beispielen zu nennen.
Werbung in Kitas und Schulen
Dass auch bei den Freiwilligen Feuerwehren im Stadtgebiet nicht alles eitel Sonnenschein ist, zeigen Mitgliederschwund und Überalterung der Ehrenamtlichen. Nachwuchs ist Mangelware. „Wir müssen zwingend etwas tun und alles daran setzen, um die jüngere Generation zu gewinnen“, macht das Duo Karn/Strößinger deutlich und spricht von einem „Knüller-Plan“: Werbung für die Freiwillige Feuerwehr in allen Kitas und Grundschulen. Und zwar regelmäßig und vor Ort. „Wir wollen die Kinder da abholen, wo sie sind. Dafür benötigen wir aber eine zusätzliche Stelle, und die wollen wir beantragen“, machte der Stadtbrandinspektor die Gäste hellhörig.
Auf Nachfrage erneuerte das Führungsteam seine Kritik über die fehlende Impfpriorisierung der Feuerwehren durch Bund und Land. Erst auf erheblichen Druck habe man die Termine vorgezogen. „Achtzig bis neunzig Prozent unserer Männer und Frauen haben sich impfen lassen“, so Karn.
Und wie steht die Freiwillige Feuerwehr zu den sich häufenden Einsätzen zur Rettung von Kleintieren (siehe Katzen und Spatzen): „Wir machen das gern, aber wir sind keine Hausmeister in Uniform“, lautet die Antwort der Spezialisten in Sachen Brand- und Katastrophenbekämpfung, die zusätzliche Arbeitsstunden im Sicherheitsdienst bei Theateraufführungen, Konzerten oder Winzerfest verrichten – das sind 120 Stunden im Jahr, die Corona-Zeit einmal ausgenommen.
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