Bensheim. „Mein verstorbener Mann hat mich mit seinem Fernweh und seiner Leidenschaft für unseren VW Bulli angesteckt. Er war ganz klar der Motor für all die Reisen.“ Wenn Silvie Bladt ins Erzählen kommt, leuchten ihre Augen. Schließlich hat sich das Ehepaar nach ihrem ersten Bulli noch zwei weitere gekauft: „Die 70er Jahre waren eine wilde Zeit und wir waren wirklich verrückt. Wir haben auf jeder unserer Reisen, die heute aufgrund der politischen Lage in den meisten Ländern gar nicht mehr möglich wären, tolle Menschen kennengelernt. Das sind Erinnerungen, die für immer im Herzen bleiben.“
Mehr als zehntausend Kilometer haben die Bladts in den 70er Jahren in vier bis sechs Wochen – noch ohne Kinder – jeweils mit ihrem Bus zurückgelegt. Die Sommerferien waren für das Lehrer-Ehepaar aus Bensheim die perfekte Gelegenheit, die Welt, Menschen und Kulturen kennenzulernen. Und ihr Bulli hat sie auf ihren Fernreisen, egal ob in den Orient oder nach Afrika, kein einziges Mal im Stich gelassen: „Einmal haben wir allerdings auf dem Rückweg von Marokko den Auspuff verloren – und sind einfach weiter gefahren.“ Kleinere Reparaturen wurden direkt und schnell vor Ort behoben, „und ich kann ein Rad wechseln und einen Keilriemen reparieren“, sagt Silvie Bladt lachend.
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Das Beste an dem Bulli-Gen aber ist, dass es drei Ehepaare („vier Lehrer, eine Apothekerin und ein Unternehmer“), nämlich die Bladts, deren Nachbarn Sabine und Ulrich Lehmann und ein Paar aus Osnabrück, das sie 1976 in einer Oase in Marokko kennen gelernt haben, zu engen Freunden zusammengeschweißt hat. Fortan hat das Sextett alle Reisen mit ihren umgebauten und aufgemöbelten Bussen gemeinsam unternommen und viele unvergessene Abenteuer erlebt. „Im Mai treffen wir fünf uns wieder, und dann werde ich den BA-Artikel mit im Gepäck haben“, verspricht die ehemalige Grundschullehrerin lachend. Ihr Ehemann Rolf wird beim Wiedersehen fehlen.
„Wahnsinnig faszinierend“
„Die erste Begegnung mit dem Orient war für mich wahnsinnig faszinierend“, erinnert sich Silvie Bladt an die Premierentour mit ihrem ersten Bulli, den sie gebraucht und nur notdürftig eingerichtet für 2000 Mark gekauft hatten. Mit ihm ging’s nach Tunesien, Marokko und Algerien. Schon ein Jahr später tourten sie mit ihren vier Freunden und im nagelneuen, orangefarbenen Bulli Nummer zwei nach Ägypten und Libyen. Nicht nur die extrem aufwändigen Vorbereitungen mit Visa und Passierscheine stellten die abenteuer- und reiselustigen Freunde vor eine große Herausforderung, sondern vor allem der schwelende Grenzkonflikt.
„Kulturell war es für uns eine große Herausforderung und wir wurden buchstäblich bestaunt wie ein bunter Hund“ erzählt die Globetrotterin beim Blättern im Fotoalbum. „Wir haben uns für alles interessiert, die Landschaft, die Menschen und waren auf der Jagd nach Kultur, auch rechts und links vom Wegesrand.“ Rückblickend beschreibt Silvie Bladt sich und ihre Freunde mit charmanter Nachsicht als „jung und unerfahren. Aber wir hatten eine unvergessene Zeit.“ Auf dem Schulhof der deutschen Schule in Kairo durfte das Bulli-Trio schließlich campieren. Ansonsten übernachteten die Deutschen in ihren Bussen meist in der Nähe von Tankstellen, verlassenen Hotels oder am Strand. Natürlich habe man vor Reiseantritt immer viele Konserven eingekauft und Bier gebunkert. Vor allem Letzteres gereichte den Deutschen nicht zu Schaden und ließ manch einen Offiziellen, Polizeibeamten und Botschaftsangehörigen ein Auge zudrücken.
Unvergessen bleibt für Silvie Bladt ihre Tour ans Rote Meer über die Türkei – wo eines der Pärchen in Istanbul Verlobung feierte –, durch das Taurusgebirge nach Syrien und Jordanien. Im Gedächtnis geblieben sind ihr auch die „unglaubliche Gastfreundschaft“ und der Bummel über die Souks, die arabischen Märkte aus Tausendundeiner Nacht mit ihren vielen Gerüchen.
Aleppo im Norden von Syrien, Palmyra, die damals noch intakte, antike Oasenstadt, die der sogenannte „Islamische Staat“ 2015 und 2016 zerstört hat, zahlreiche Ausgrabungsstätten, die legendäre Wüstenstadt Petra in der südwestlichen jordanischen Wüste, die unglaubliche Hitze, die lustigen Bierabende vor den Bullis im jordanischen Kerak und das Bad im Toten Meer („natürlich mit der Zeitung in den Händen“) sind nur einige wenige von zahlreichen unvergesslichen Eindrücken. Silvie Bladt wird diese Reise im Sommer 1979 mit ihren einmaligen Erlebnissen immer im Gedächtnis behalten.
Im Jahr 1981 „(damals war ich schwanger“) ist das Ehepaar mit Bulli Nummer drei in die Zentralsahara aufgebrochen, mit den Kindern waren sie anschließend oft in Südfrankreich und Griechenland. Schlechte Erfahrungen habe man nie gemacht, versichert die Bensheimerin, die dann doch von einem Schreckmoment auf ihrer Marokko-Reise berichtet. Während sie und ihr Mann nachts im Bus schliefen, stahlen Diebe ihre Kameraausrüstung vom Beifahrersitz: „Das war kein schönes Gefühl.“
Heimlich auf Pyramide gekraxelt
Immer und immer wieder muss die mehrfache Oma ihrer acht Jahre alten Enkelin im Übrigen die Geschichte erzählen, wie Opa Rolf mit den beiden anderen Männern samt Kamerakoffern heimlich auf eine der höchsten ägyptischen Pyramiden gekraxelt ist, um von dort legendäre Fotos zu schießen „Die drei hatten ein Rad ab“, kommentiert Silvie Bladt ungerührt.
Ach ja, und ihr fällt noch ein, dass ihr Mann und dessen Freunde in Alexandria eines Abends verhaftet wurden, weil sie „den Mond über dem Meer fotografiert haben. Man darf oder durfte in Ägypten nicht überall Fotos machen.“ Erst Stunden später wurden sie auf freien Fuß gesetzt – nachdem sie die Filme heraus gerückt hatten.
Wen wundert’s, dass sich die Bulli-Leidenschaft der Bladts weiter vererbt hat? Die älteste Tochter kann eben so wenig wie ihre Eltern die Finger von dem Klassiker auf vier Rädern lassen.
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