Bensheim. Eine freudige Überraschung gab es neulich für die Metzendorfgesellschaft Bergstraße: Die Schwiegertochter des früher in Bensheim ansässigen Arztes von Plehwe, Bärbel von Plehwe, bot dem Verein ein Konvolut von Zeitschriften aus dem Büro Heinrich Metzendorfs als Schenkung an.
Bärbel von Plehwes verstorbener Ehemann war als Kind mit seiner Familie als Mieter in das Haus der Familie Heinrich Metzendorf in der Ernst-Ludwig-Straße 25 gezogen. Das war im Jahr 1948. Der berühmte Architekt lebte damals schon seit 25 Jahren nicht mehr, es wohnten aber seine Frau Anna und die beiden Töchter Lene und Gretel noch im Haus. War dieses einst nur für die Familie Metzendorf und das Architekturbüro des Vaters erbaut worden, so bot es nun in der Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur den Metzendorfs Obdach, sondern auch einer weiteren Familie und dazu der Familie des Arztes von Plehwe, der im Untergeschoss des Gebäudes zudem seine Praxis betrieb und ein in Bensheim bekannter und beliebter Hausarzt war.
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Die Hausgemeinschaft war offenbar harmonisch, denn Lene Metzendorf half nicht nur in der Sprechstunde, sondern war im Haus bei allen beliebt. „Frag die Lene“ habe es bei Problemen immer geheißen, so habe ihr Mann es ihr erzählt, erklärte Bärbel von Plehwe den Mitgliedern der Metzendorfgesellschaft, die sie in ihrem Wohnort in Freiburg besuchten.
Denn da der Bestand zu groß war, um ihn mit der Post zu verschicken, fuhr die Vorsitzende der Metzendorfgesellschaft Bettina Hesse mit ihrem Mann Thorsten und dem ehemaligen ersten Vorsitzenden der Metzendorfgesellschaft Frank Oppermann kurz vor Ostern nach Freiburg, um sich mit Bärbel von Plehwe zu treffen und die Dokumente in Obhut zu nehmen, die deren Schwiegervater in den 1950er-Jahren von der Familie Metzendorf erhalten hatte, als diese das Büro ausräumte.
„Zu schade zum Wegwerfen!“, fand er damals und hielt das Konvolut dann über Jahrzehnte in der Familie.
Wie sich zeigte, handelt es sich um mehrere, zum Teil vollständige Jahrgänge verschiedener Fach- und Publikumszeitschriften aus der Zeit von 1909 bis 1922. Einen großen Teil davon macht eine Sammlung der illustrierten Monatshefte „Deutsche Kunst und Dekoration“ aus, die von dem Darmstädter Verleger Alexander Koch ab 1897 als Impulsgeber für die Ziele der bildnerischen und angewandten Kunst des Jugendstils herausgegeben wurde.
Unter anderem darin veröffentlichten Wettbewerbsausschreibungen sollten Anregungen geben, ebenso wie Textbeiträge zu einzelnen Künstlern oder Fragen der Architektur und Innendekoration. Weitere in der Sammlung enthaltene Fachzeitschriften, zum Teil mit Eingangsstempel des Büros von Heinrich Metzendorf, sind „Deutsches Bauwesen“, „Der Profanbau“, „Der Industriebau“ oder „Moderne Bauformen“.
In vielen dieser Hefte sind die Bauten Heinrich Metzendorfs Thema – ein weiterer Beleg für die bislang schon bekannte Tatsache, dass dieser einer der meistbesprochenen und damit einflussreichsten Architekten am Anfang des 20. Jahrhunderts war. Auffällig ist auch, dass die Texte recht ausführlich und überaus reich bebildert sind.
Die Vereinsvorsitzende Bettina Hesse ist begeistert und erhofft sich viele Detailinformationen, zum Beispiel auch über die ehemalige Innenausstattung der Häuser. Viel Wissen glaubte man verloren, weil es sich im Bestand nicht mehr nachweisen lässt. Wertvoller als die zum Teil auch schon von alten Postkarten und einzelnen archivierten Zeitschriften bekannten Bilder sind die Beschreibungen.
Ausführliche und reich bebilderte Texte
Schon nach der ersten Sichtung gibt es Hinweise, dass manches neu betrachtet werden muss. Aber es sind nicht nur sachliche Informationen, die den Fund spannend machen: Es ist auch ein ganz direkter Blick auf den Geist der Zeit, in der Metzendorf seine Bauten schuf.
So lobt „Der Profanbau“ im Jahr 1909, sozusagen auf dem Höhepunkt der Metzendorfschen Produktivität, dass „die Kunst Professor Heinrich Metzendorfs nicht auf ihre Heimstätte, die Bergstraße, beschränkt geblieben ist“, sondern, „dass es dem vortrefflichen Architekten vergönnt war, auch in anderen Gauen der Mitwelt seine Gestaltungskraft zu zeigen und auch dort seine Werke zu Lehrern und Propheten werden zu lassen“.
Neun Jahre später, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, wirft das gleiche Organ einen selbstkritischen Blick auf die vom Ausland als protzhaft empfundene deutsche Vorkriegsarchitektur – und schließt eine sehr ausführliche Darstellung des als vorbildlich bezeichneten Werks von Heinrich Metzendorf an.
Hervorgehoben wird sein Bezug zur Heimat: „Sein Wirkungsort ist das kleine Städtchen Bensheim an der hessischen Bergstraße, in landschaftlich prachtvoller und reicher Gegend … Es war seinerzeit – vor zwanzig Jahren – ein Wagnis von Metzendorf, dort eine große Bauwerkstätte aufzutun.
Aber es hat sich gelohnt; denn schon seine ersten guten Landhausbauten lockten Ansiedler aus nah und fern herbei, nach Bensheim selbst, nach Auerbach, Heppenheim, Zwingenberg, Alsbach, Jugenheim. Heute ist bereits der ganze Höhenzug der mittleren Bergstraße schier eine große langgestreckte Kolonie von Metzendorfhäusern … Metzendorfs Name bekam lauten Klang, er wurde berühmt und brachte seinem Träger lockende Rufe nach auswärts genug.
Er hat sie alle abgelehnt, ist dem kleinen Bensheim treu geblieben und wohl gerade darum eine solch wurzelechte, schöpferische Persönlichkeit geworden.“
So klang die Hymne nicht etwa aus der hiesigen Region, sondern aus Leipzig, dem Erscheinungsort der Zeitschrift.
Als Nächstes folgt die Sichtung des umfangreichen Materials
Der nächste Schritt für die Metzendorfgesellschaft ist die detaillierte Sichtung des Materials. Eine wichtige Aufgabe, so Bettina Hesse, ist die Zuordnung der vielen abgebildeten Bauten zu den heutigen Adressen. In den Zeitschriften sind die Gebäude und Pläne meist nur mit dem Namen des Bauherrn und eventuell noch dessen Wohnort versehen – auch wenn die Häuser in einer ganz anderen Stadt gebaut wurden.
Für die Auswertung bildet der Verein eine Arbeitsgruppe, bei der auch interessierte Nichtmitglieder willkommen sind (Kontakt: bettina.hesse@gmx.net).
Des Weiteren wird die Möglichkeit der Digitalisierung geprüft, eventuell in Zusammenarbeit mit einem interessierten Archiv.
Auf alle Fälle, da ist sich der Vorstand der Metzendorfgesellschaft einig, sollen die Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
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