Auch wenn die Schönberger evangelische Marienkirche von vielen Spazierwegen rund um das Lautertal ein attraktiver Anblick ist, so führt doch kein Weg direkt hier vorbei. Wer sich aber Zeit für den Aufstieg nimmt, kann nicht nur die ursprünglich nach Plänen Ignaz Opfermanns erbauten (und nach einem Brand im Jahr 1900 wenig verändert wieder aufgebauten) Kirche aus der Nähe betrachten, sondern auch die kleine Grünanlage, die das Gebäude umgibt.
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Einen großen Teil davon nimmt der Friedhof der Fürsten von Erbach-Schönberg ein, der mit dem Bau der Kirche auf deren Nordwestseite angelegt wurde. Zuvor waren die Familienmitglieder in einer Gruft in Gronau beigesetzt worden. Mit der Anlage der eigenen Kirche samt Friedhof ließ Fürst Ludewig 1832 die drei Letztverstorbenen mit einem Fackelzug von Gronau überführen und als erste hier beisetzen.
Entwurf von Heinrich Metzendorf
Beeindruckend schlicht sind die aus Metall gegossenen Grabplatten des 19. Jahrhunderts, die nicht nur an die fürstlichen Verstorbenen erinnern, sondern auch an einige langjährige Angestellte, die für ihre treuen Dienste gewürdigt werden. Direkt an der Kirchenmauer befindet sich jedoch ein auffälliges Grabmal, das auf einen Entwurf Heinrich Metzendorfs zurückgeht. Es ist die Grabstätte von Fürst Gustav (gestorben 1908) und Fürstin Marie (gestorben 1923).
In dem Buch „Heinrich Metzendorf und die Reformarchitektur an der Bergstraße“ dokumentiert der Autor Dominic E. Delarue diesen Entwurf und alternative Vorschläge und stellt die Gestaltung in den Zusammenhang der Reformbewegung, die sich etwa ab 1900 gegen die pompöse Grabmalkultur des Kaiserreiches wandte. Der polierte Glanz schwarzen Marmors wurde als „widerlich“ empfunden, „die messerscharfen Konturen zerreißen die umgebende Vegetation“, hieß es, und die übliche Goldschrift entbehre jeden Charakters. Abgelehnt wird auch die Sitte, die Grabmäler mit Ketten und Umfassungsmauern von den umliegenden Gräbern abzugrenzen.
Diese Gedanken machten sich auch die Bergsträßer Architekten Heinrich und Georg Metzendorf zu eigen. Georg lieferte viele Entwürfe für eine Mustersammlung der Reformbewegung. Von seinem älteren Bruder Heinrich sind nicht nur viele Pläne, sondern auch einige ausgeführte Grabmale erhalten. Dazu gehören die zwischen 1907 und 1910 angelegten Gräber der Familien Guntrum, Auler und Weyl auf dem Bensheimer Friedhof.
Als Fürst Gustav von Erbach-Schönberg 1908 starb, beauftragte seine Witwe Fürstin Marie den Architekten Heinrich Metzendorf mit der Gestaltung eines Grabmals, zu dem dieser ihr im Oktober 1908 Entwürfe vorlegte. Realisiert wurde das Relief eines großen Kreuzes, das im oberen Teil von Palmettenornamenten umgeben ist, im unteren Teil von zwei Platten mit den Lebensdaten des Fürstenpaares. Blaue Farbspuren in den Textfeldern legen nahe, dass das in hellem Stein ausgeführte Grabmal auch mit farbig gefassten Partien versehen war. Der Sockelstein unter dem Kreuz gibt einen heute vom Pflanzenbewuchs verdeckten Bibeltext wieder – anstelle des zunächst von Metzendorf hier vorgesehenen fürstlichen Wappens. Überdacht wird das Ensemble von einem Dreipassbogen.
Das Grabmal setzt sich deutlich von allen anderen auf dem Friedhof ab. Nicht nur, weil es direkt an der Kirchenmauer platziert und das größte von allen ist, sondern – auch wenn deren Vorwürfe nicht auf die betont schlichten Grabplatten des Schönberger Fürstenfriedhofs zutrafen –, weil es viele Merkmale der Friedhofsreformbewegung trägt. Dazu gehört die geradezu heitere Gestaltung in hellem Stein ebenso wie die Öffnung der Grabstätte zum umgebenden Gelände.
Gustav starb am 29. Januar 1908 in Darmstadt. Nach der Trauerfeier im Alten Palais wurde er mit militärischen Ehren heimgebracht: „Mit Fackelschein in stiller Schneenacht, trug man ihn hinauf in seine geliebte Schönberger Kirche, von wo aus am 3. Februar die Beisetzung auf dem Familienfriedhofe erfolgte“, heißt es in einem Bericht. Das besprochene Grabmal gab es damals noch nicht – anders als rund 15 Jahre später beim Tod der Fürstin Marie, der sich am 20. Juni 2023 zum 100. Mal jährte.
Verbindungen zum Hochadel
Noch zu ihrem 85. Todestag im Jahr 2008 hatte es Gedenkfeiern der evangelischen Gemeinde Schönberg-Wilmshausen gegeben. Doch nicht nur die Kirchengemeinde, auch die Einwohner Schönbergs blieben der Fürstin noch lang über ihren Tod hinaus verbunden. Ein Grund dafür waren die verwandtschaftlichen Verbindungen der als Marie Karoline von Battenberg Geborenen zum europäischen Hochadel.
Ihre Ehe mit Fürst Gustav brachte „das Kommen und Gehen so vieler hochfürstlicher Anverwandter und Gäste“, „lebhaften Verkehr aus Nah und Fern“ und „mancherlei fröhliche Feste, die drüben auf dem Schlosse gefeiert worden sind“, wie es Pfarrer Palmer in seiner Gedächtnisrede bei der Beisetzung Gustavs formulierte, die von der Stadtteildokumentation Schönberg archiviert wird.
Ein anderer Grund war Maries soziales Engagement. Bald nach der Heirat 1871 richtete sie in Schönberg den ersten Kindergarten (damals Kleinkinderschule) ein und organisierte ein Erholungsheim für bedürftige Stadtbewohner im gräflichen Beamtenhaus in Schönberg. Später organisierte sie kulturelle Veranstaltungen auf dem Schloss, zu denen die Dorfbewohner eingeladen wurden. 1905 gehörte sie zu den Gründern und Förderern des „Deutschen Nationalvereins der Freundinnen junger Mädchen“ und nahm an fast allen Konferenzen und Tagungen des Vereins und an internationalen Kongressen teil.
Zweck des Vereins war es, zum Erwerb ins Ausland gehende Mädchen „mit Rat und Tat zu unterstützen“, denn „nicht nur materielle Schwierigkeiten sind es, welche ihnen drohen, sondern oft schwere sittliche Gefahren, deren Opfer schon viele Ahnungslose geworden sind“. Marie war auch 1904 an der Gründung des Marienhofs bei Schloss Braunshardt beteiligt, wo entlassene weibliche Strafgefangene resozialisiert werden sollten. Maries Engagement war dabei aber durchaus keine persönliche Marotte.
„Adel verpflichtet“
Soziales Engagement hochstehender Kreise, insbesondere von Frauen, war schon im 19. Jahrhundert üblich und wurde geradezu erwartet. So wurde auch Graf Ludewig, Maries Schwiegervater, als herzensguter, frommer Mann geschildert, der zuerst an andere dachte und bescheiden lebte. Er richtete Suppenanstalten ein – eine kräftige Mahlzeit für Arme am Tag –, gründete einen Arbeiter-Hilfsverein, gab zinslose Darlehen und half bei der Suche nach Arbeitsplätzen. In der Trauerrede für Fürst Gustav wurde 1908 betont, wie sehr er das Bewusstsein verinnerlicht hatte, dass „Adel verpflichtet“, selbstlos, demütig und bescheiden sei er gewesen, von „einer echten Edelmannsart“ und „vornehmen Gesinnung“.
Einen Eindruck von der öffentlichen Inszenierung sozialer Zuwendung gibt ein Bericht im Bergsträßer Anzeiger vom April 1871: Gustav und Marie trafen frischvermählt von Darmstadt kommend in Jugenheim ein, wo Marie ihre Jugend auf dem Heiligenberg verbracht hatte, und wurden mit Glockengeläut empfangen. Es gab einen Festgesang der Grundschüler und Ansprachen, Konfirmandinnen überreichten ein Festgedicht der Gemeinde. Das Fürstenpaar, so hieß es, ging umher und unterhielt sich sehr leutselig und dankend mit allen.
Dreißig Arme erhielten an diesem Festtag eine reiche Unterstützung. Die Kindergartenkinder wurden gespeist und alle Schulkinder empfingen eine große Brezel. Doch es gab auch Gegenleistungen: „Schließlich sei noch erwähnt, dass einige Tage vorher der Ortsvorstand die Ehre hatte, der Prinzessin Braut ein kostbares Ölgemälde von Paul Weber (Ansicht von Jugenheim) als Andenken zu überreichen“, so schloss der Bericht.
Neben wohltätigen Zwecken hatte sich Fürstin Marie übrigens auch der Malerei und der Musik gewidmet. Unter ihren Schriften stechen ihre Memoiren hervor, die vor ihrem Tod bereits in zweiter Auflage vorlagen. Schon 1894 hatte sie den Bericht der englischen Krankenschwester Kate Marsden über ihre „Reise zu den Aussätzigen in Sibirien“ übersetzt.
Der Nachruf des Bergsträßer Anzeigers lobte im Juni vor 100 Jahren den „Zauber, den diese edle, schlichte, dabei auch bedeutende Frau auf ihre Umgebung ausübte und dem sich niemand entziehen konnte…“.
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