Bensheim. Die in der Bensheimer Innenstadt heute rege frequentierte Verbindung über die Lauter am Gasthaus „Zur Stadtmühle“ bis zum Marktplatz gibt es zum Beispiel erst seit gut 100 Jahren. Davor stand hier der Gebäudekomplex der Stadtmühle, ohne Durchgang von Süden. Auf der Nordseite verlief der Mühlgraben und dahinter bildeten die Häuser einen länglichen Platz in Ost-West-Richtung, der drei Zugänge hatte, von denen zwei noch heute benutzt werden: Die Durchfahrt am Haus Fleck Richtung Bürgerwehrbrunnen und die schmale Passage auf der Nordseite zum Marktplatz.
Durch den Abriss der überflüssig gewordenen Stadtmühle entstand eine Erweiterung dieses Platzes. Gleichzeitig verschwand der Mühlgraben, und die Grieselstraße wurde über die Lauter nach Norden verlängert - so wurde hier der noch heute bestehende Zugang zur Altstadt geschaffen.
An Stelle der abgebrochenen Mühle wurde 1935 der kleine Park mit dem Brunnen der „Fraa vun Bensem“ angelegt. 1957 gab es einen einstimmigen Beschluss der Stadtverwaltung diesen Platz mit dem Namen „Joseph-Stoll-Platz“ zu belegen, um die Bevölkerung an das Schaffen des Heimatdichters und Initiators des Brunnens zu erinnern. Wegen der Rolle Joseph Stolls im Nationalsozialismus entschieden die Bensheimer Stadtverordneten fünfzig Jahre später, diesen Namen zu ändern. Der Platz hat jetzt wieder die Adresse „An der Stadtmühle“.
Kaum noch erahnen kann man die Rolle, die die Hintergasse in der Altstadt als Nord-Südachse spielte. Vielleicht wissen manche noch nicht einmal, wo diese Gasse sein soll. Es handelt sich um die Straße, die heute östlich „hinter“ dem Bürgerhaus verläuft und keine Durchgangsfunktion hat. Im 16. Jahrhundert war die Hintergasse eine der wichtigsten Straßen in Bensheim, die auch über steinernes Pflaster verfügte.
Hier lagen Adelshöfe wie der noch heute erhaltene Hohenecker Hof und der Dalberger Hof. Auf der im Stadtarchiv erhaltenen Parzellenkarte von 1861 ist das noch deutlich zu sehen. Dort sieht man auch, dass die heute so belebte und neben der Hauptstraße das Gefüge der Innenstadt bestimmende Bahnhofstraße eine noch ziemlich neue Entwicklung ist, deren Beginn auf der Karte aber schon zu erkennen ist.
Früher das „Mibbousgässlein“
Der hier schon wie heute aussehende obere Teil der Bahnhofstraße, von der Hintergasse bis zur Hauptstraße, war im 18. Jahrhundert noch eine enge Gasse gewesen, die „Mibbousgässlein“ hieß, nach einem wohltätigen Bensheimer Bürger. Nach dem großen Brand, der 1822 die Gebäude an der Westseite des Marktplatzes zerstörte, war diese Gasse aus Brandschutzgründen verbreitert und nun „Breitgasse“ genannt worden. Wer beim Flanieren dort genau hinschaut, erkennt in der Mitte der Straße noch heute die Wölbung der darunter liegenden Keller, die Überreste der einst hier stehenden Gebäude.
Nach der Eröffnung der Main-Neckar-Bahn 1846 wurde ein großzügiger Zugang zum Bahnhof gewünscht. Es gab damals nämlich nur einen recht schmalen Durchbruch durch die Stadtmauer nach Westen. So entstand die mittlere Bahnhofstraße von der Hintergasse bis zum heutigen Beauner Platz: 1867 kaufte die Stadt insgesamt zehn Gebäude - Wohnhäuser und Scheunen - und ließ sie abreißen, um Platz für eine großzügige Straße zu schaffen, an der anstelle der alten Fachwerkhäuser bis Ende des Jahrhunderts unter anderem die beiden noch heute erhaltenen, mehrgeschossigen Geschäftshäuser Bahnhofstraße 13 und 14 entstanden.
Der westlichste Teil der Bahnhofstraße führte dann durch zunächst unbebautes, außerhalb der Stadtmauern gelegenes Gelände - „Auf dem Graben“ -, wo früher eine Fläche für die Wäschebleiche reserviert war, die aber nun in eine städtisch anmutende Grünanlage samt Kriegerdenkmal mit „Germania“ verwandelt wurde - der heutige Beauner Platz mit dem „Neumarkt“.
Am dem Bahnhof zugewandten Ende der Straße entstanden ganz unterschiedliche Gebäude, darunter das Kreisamt der damaligen Kreisstadt Bensheim, von denen heute nur noch das um 1860 nach Plänen des Kreisbaumeisters Michael Mittermayer errichtete Kasinogebäude an der Ecke Rodensteinstraße/Am Rinnentor übriggeblieben ist.
Hier tagte die „Vereinigte Gesellschaft“ der Bensheimer Honoratioren und pflegte das gesellschaftliche Leben der Stadt mit Tanz- und Theaterveranstaltungen und der Gründung des Männergesangvereins „Harmonie“.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-frueher-eine-enge-gasse-heute-eine-wichtige-strasse-in-bensheim-_arid,2079260.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html