Lesefestival

Jan-Philipp Sendker beim Bensheimer Lesefestival

Von 
Thomas Tritsch
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Beim Lesefestival stellte Jan-Philipp Sendker im Parktheater seinen aktuellen Roman „Die Rebellin und der Dieb“ vor. © Zelinger

Von Thomas Tritsch

Bensheim. Keine klassische Lesung, sondern eine literarische Plauderei mit autobiografischen Kapiteln: Im Parktheater hat Jan-Philipp Sendker am Donnerstagabend vor über 120 Gästen die Tür in eine andere Welt aufgesperrt. In seinem neuen Roman „Die Rebellin und der Dieb“ kehrt der frühere Asien-Korrespondent des „Stern“ an seine langjährige Wirkungsstätte zurück. Die Geschichte spielt zwar „irgendwo in Südostasien“, aber in einem fiktiven Land, das den universellen Charakter seiner Story unterstreicht. Und auch die Pandemie spielt dabei eine Rolle.

„Es könnte überall sein“, so der Journalist und Schriftsteller in Bensheim, wo er seit vielen Jahren regelmäßig mit seinen Büchern zu Gast ist. Hintergrund ist eine lange Verbindung zur Bensheimer Bücherstube, weshalb Festival-Macher Christoph Breitwieser, der die Reihe gemeinsam mit Heidi Scharschmidt organisiert, die Moderation des Abends spontan Buchhändlerin Ingeborg Deichmann überlassen hat.

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30 Jahre Reiseerfahrungen

Für seine jüngste Geschichte konnte Sendker, mit weltweit über drei Millionen verkauften Büchern einer der aktuell erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren, auf seinen reichhaltigen Fundus aus über 30 Jahren Reiseerfahrungen zurückgreifen. Die Corona-Situation hatte aktuelle Auslandsrecherchen im vergangenen Jahr unmöglich gemacht. Zunächst bedrückend, erlebte er dann beim Schreiben auch die große Chance der Ausnahmesituation: Er realisierte, dass alles, was er wissen musste, längst in ihm war und heraus erzählt werden wollte.

Wie Sendker betont, sei die Pandemie aber kein inhaltlicher Kompass, sondern lediglich einer der Auslöser des Romans, in dem es um soziale Ungerechtigkeit, Liebe und Vertrauen geht. Er erzählt gewohnt einfühlsam und warmherzig von der tiefen Freundschaft zweier junger Menschen vor dem Hintergrund globaler Veränderungen durch ein winziges Virus: Der 18-jährige Niri lebt mit seiner Familie in bescheidenen Verhältnissen als Bediensteter einer reichen Familie. Corona verändert nicht nur die ganze Welt, sondern auch sein Leben und seine Beziehung zu Mary, der Tochter des Hauses.

Ohne Arbeit findet sich die Familie in den Slums. Seine Tante stirbt an dem Virus. Niri beschließt, um seiner Familie zu helfen, sich in das Haus der ehemaligen Arbeitgeber zu schleichen und Lebensmittel zu stehlen. Dabei beobachtet ihn Mary und beide beschließen, nicht nur die Speisekammer zu plündern, sondern den immensen Reichtum der Familie unter den vielen Armen zu verteilen.

„Meine zehnjährige Tochter kam mir irgendwann mit Robin Hood“, so der Autor, der 1960 in Hamburg als Sohn zweier Einzelhändler geboren wurde. Unter dem noch frischen Eindruck eines Artikels in der New York Times über das Leben in den Armutsvierteln von Bangkok fusionierten beide Themen in Sendkers Kopf und vermischten sich mit weiteren Bildern aus seiner beruflichen Vergangenheit – und eine neue Story war geboren.

Es folgte eine Schreibwut, die dem Schöpfer der „Herzenhören“-Welterfolge normalerweise nicht eigen ist. Nach vier Wochen hatte er 80 Seiten zu Papier gebracht. Die Geschichte brach gleichsam aus ihm heraus und bahnte sich ihren Weg. „Statt ein oder zwei Seiten schrieb ich an manchen Tagen fünf oder sechs.“ Wo er sonst klassische Musik – Brahms, Beethoven oder Chopin – hört, lässt er sich diesmal „Tropical House“ um die Ohren wehen. Sommerlich gefärbte elektronische Beats, von denen er zuvor nie gehört hatte.

Eine gerechtere Welt schaffen

Heraus kam eine Art Abenteuerroman über zwei junge Menschen, die gegen die Werte der Alten aufbegehren und eine gerechtere Welt erschaffen wollen. Dass sie dabei auch an der tradierten Vorstellung rütteln, dass Armut ein in die Wiege gelegtes Schicksal sei, macht das Buch zu einer Aufforderung, die Zukunft aktiv zu gestalten und vermeintlich Unmögliches zu erreichen. In Zeiten von Klimakrise, Pandemie und anderen globalen Herausforderungen hat Sendker in seinen Roman eine Fibel für mutige Visionäre eingebaut, die beherzt nach vorn schauen und Dinge selbst in die Hand nehmen möchten.

Die Überwindung der Angst in einer fremd und fragil gewordenen Welt ist die zentrale Herausforderung, der sich seine beiden Protagonisten gegenüber sehen. „Die Rebellin und der Dieb“ reflektiert somit auch ein Stückchen Zeitgeist in unsicheren Zeiten und stellt die Frage, ob die Überwindung moralischer Grenzen als Rechtfertigung für Nächstenliebe und Humanismus herhalten kann. Der Journalist ist dabei ein präziser, neutraler Beobachter, der den Leser ganz tief ins Geschehen mit hineinzieht, ohne in eine voyeuristische Intimität und Distanzlosigkeit abzugleiten.

Jan-Philipp Sendker bleibt auch hier Reporter, wenn er von einer modernen Romeo-und-Julia-Liaison in armen Verhältnissen berichtet und dabei sowohl Herz wie Hirn des Lesers im Fokus hat. Letztlich erzählt er von dem, was er als Korrespondent einst selbst gesehen und archiviert hat, mit dem er sich aber bis heute nicht stumm abfinden mochte. Vor allem die Eindrücke von Cité Soleil, ein dicht bevölkertes Elendsviertel in Port-au-Prince in Haiti, haben den Roman wesentlich geprägt, so der Autor in Bensheim.

Vielleicht eines der bislang persönlichsten Bücher von einem, der schon im Alter von 13 Jahren Schriftsteller werden wollte. Nach dem Abitur wird er freier Journalist, mit 27 ist er „Stern“-Reporter, mit 30 geht er nach New York. Knapp zehn Jahre später schreibt er seinen ersten Roman. „Heute darf ich meinen Kindheitstraum leben.“

Freier Autor

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