Lesefestival

Ein Spiel mit elementaren Ängsten

Es war eine enterhaltsame Krimi-Nacht im PiPaPo-Theater mit zwei Autoren, bei denen die Chemie stimmt.

Von 
Thomas Tritsch
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Eine äußerst unterhaltsame Kriminacht im Rahmen des Bensheimer Lesefestivals gestalteten Antje Zimmermann und Linus Geschke im PiPaPo-Keller. © Thomas Zelinger

Bensheim. Gleich drei Neuerscheinungen aus dem Piper Verlag waren für den Glauser-Krimipreis 2023 nominiert, der im Genre eine gewisse Anerkennung genießt. Dazu gehörten auch Linus Geschke mit seinem Buch „Das Loft“ in der Kategorie Roman sowie Antje Zimmermann mit ihrem Erstling „Frau Faust“ in der Sparte Debüt.

Doch die beiden Autoren haben noch weitere Gemeinsamkeiten: Beide leben in Köln nur wenige hundert Meter voneinander entfernt, beide haben als Journalisten gearbeitet und sind für ihre Reisereportagen bekannt. Und beide haben den Glauser-Preis in diesem Jahr nicht gewonnen.

Die schönste Schnittmenge aber war ihr Gastspiel in Bensheim, wo sie am Freitag im PiPaPo-Keller das Lesefestival mit einer zutiefst unterhaltsamen Kriminacht bereichert haben. Ein Abend, der viele Einblicke in den Verlagsbetrieb und in persönliche Kreativprozesse bot und gerade deshalb auch solche Gäste ansprach, die für literarisch inszenierte Morde sonst wenig zu begeistern sind. Weite Passagen des Abends waren dialogisch geprägt und erfolgten in einem legeren Tonfall, die Autoren plauderten freimütig über ihre Ideenfindung und Inspiration, über persönliche Faibles und thematisch-stilistische Abneigungen.

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Linus Geschke, 1970 geboren und selbst Bestseller-Autor, erläuterte offen, wie es zu diesem verkaufsfördernden Label kommt: Die Titel der Spiegel-Bestsellerliste werden in verschiedenen Kategorien (Hardcover und Paperback, Belletrisitik und Sachbuch) über eine elektronische Abfrage in den Warenwirtschaftssystemen buchhändlerischer Verkaufsstellen ermittelt.

Die literarische Qualität wird dabei nicht berücksichtigt. Doch die Masse gibt Sicherheit, denn was alle kaufen, kann nicht schlecht sein. Das stimmt natürlich nicht, aber die Entscheidung der Gruppe nimmt den Druck der eigenen Verantwortung.

Geschkes lässiger Umgang mit den nüchternen Fakten der Branche schürten die Sympathie für einen, der mit werbewirksamen Aufklebern sein Geld verdient. Aber er machte auch neugierig auf den Inhalt seines aktuellen Romans „Die Verborgenen“, wo er sich einem eher seltenen Sujet widmet: Menschen, die heimlich unter fremden Dächern leben.

Häusliche Parasiten

Solche häuslichen Parasiten werden auch Phrogger genannt. Der Begriff bezieht sich auf das englische frog (Frosch) und meint Leute, die heimlich von einer Wohnung zu nächsten springen. Keine urbane Legende, so Geschke. Es gebe sie wirklich. Prominente wie Komiker Chris Rock, Pamela Anderson oder Rihanna können ein Lied von Untermietern singen, die auf diese Weise einen Kick suchen. Der Verfasser spielt geschickt mit der elementaren Angst, es könnte jemand in unser Allerheiligstes, in unser Zuhause eindringen. Man könnte beobachtet und belauscht werden, ist beim Schlafen nicht mehr nur allein oder zu zweit. Sein Thriller nutzt genetisch veranlagte Urängste. Mit einer klaren und präzisen Sprache wird die dunkle Bedrohung noch subtiler und bedrückender.

Inhaber einer Zweizimmerwohnung dürften das PiPaPo-Theater entspannter verlassen haben als Villenbewohner. Denn der gemeine Immobilienfrosch nistet sich naturgemäß lieber in weitläufigeren Räumlichkeiten ein, wo man nicht so leicht bemerkt wird. Laut Autor gibt es sogar eine eigene Community, in der man sich untereinander Tipps gibt, in welchen Häusern man am leichtesten Unterschlupf findet.

Vom unsichtbaren Grusel zum dramatischen Persönlichkeitsverlust. „Frau Faust – Der letzte Kampf“ ist der zweite Teil mit Antje Zimmermanns Ermittlerfigur Kata Sismann. Die ehemalige Boxerin leidet unter dem faustkämpferischen Syndrom, das ihr Gehirn zerstört. Nur in den USA wird eine experimentelle Therapie angeboten, die Heilung verspricht. Weil sie dafür viel Geld braucht, nimmt sie den Auftrag einer dubiosen Sicherheitsfirma an, die verschwundene Verlobte eines reichen russischen Geschäftsmannes zu finden. Die neurale Dysfunktion, an der die Protagonistin leidet, wird durch häufige Schläge oder Stöße auf den Kopf ausgelöst. Der verstorbene Boxer René Weller litt an einer Demenz, die wahrscheinlich durch ein solches traumatisches Enzephalopathie-Syndrom forciert wurde.

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Antje Zimmermann wird als neue und frische Stimme auf dem Krimimarkt gelobt. Die Autorin und Bloggerin, die im WDR-Fernsehen und im Hörfunk von ihren Reisen berichtet, nimmt den Leser mit auf die Fährten einer harten Ermittlerin, die im zweiten Band den Kampf gegen das eigene Ego ausfighten muss.

Als Tochter einer krimiliebenden Buchhändlerin habe sie schon immer Romane schreiben wollen, sagt sie in Bensheim. Mit „Frau Faust“ ist im Juli 2022 ihr Debüt erschienen: ein unorthodoxer Krimi, mit außergewöhnlichen Frauenfiguren. Der Titel ist vom Fleck weg für zwei der wichtigsten deutschen Krimipreise nominiert worden: neben dem Glauser-Preis auch für den Nachwuchspreis Harzer Hammer.

Doch man muss nicht immer gewinnen, um zu überzeugen. Die Bensheimer Kriminacht profitierte in diesem Jahr nicht nur einmal mehr von der intimen Atmosphäre des Theaterkellers, sondern auch von zwei Autoren, die dort goldrichtig aufgehoben sind und sich, wie beide betonten, pudelwohl gefühlt haben.

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