Bensheim. Aktueller könnte der neue Politthriller von Horst Eckert kaum sein: In „Die Macht der Wölfe“ begibt sich der Autor in die verworrenen Nischen des deutschen Rechtsradikalismus. Eine komplexe Story am Puls der Zeit, sprachlich pointiert und – soweit das bei einer Lesung durchschaubar ist – auch inhaltlich überzeugend ausformuliert. Auch, wer die ersten drei Bände um die junge Ermittlerin Melia Adan nicht kennt, bleibt der Polizistin an den Fersen kleben, um ihr in einen spannenden Plot zu folgen.
Mit dem Fernsehjournalisten, der Mitte der 90er Jahre ins literarische Fach gewechselt war, ging das 21. Bensheimer Lesefestival am Dienstag ins Finale. Wie sein Buch ausgeht, das wollte einer der meist geehrten Krimiautoren Deutschlands im Parktheater natürlich nicht verraten.
Politikbetrieb im Fokus
Unter anderem wurde Eckert (Jahrgang 1959) mit dem Marlowe-Preis der Raymond-Chandler-Gesellschaft und dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Im neuen Buch schaut der Düsseldorfer neugierig hinter die Kulissen des Berliner Politikbetriebs und greift aktuelle Entwicklungen seit Ausbruch des Ukraine-Krieges auf. Ein kurzweiliger wie beängstigender Trip in internationale Netzwerke, milliardenschwere Deals und braune Seilschaften.
Die Geschichte ist aus fiktiven Figuren und realitätsnahen Bezügen komponiert. Die Kanzlerin wird vom eigenen Staatssekretär erpresst, ein TV-Sender strahlt strategisch nach rechts, und auf einer Baustelle werden Leichenteile gefunden. Viele Prüfsteine für eine Demokratie unter Stress. Für Melia Adan und ihren beruflichen wie privaten Partner, Hauptkommissar Vincent Veih, eine gefährliche Mammutaufgabe mit explosiven Inhalten.
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Die etablierten Parteien wackeln, während rechtslastige Populisten über die öffentlichen und sozialen Medien Hass und Meinungsmache verbreiten. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bricht aus, als die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie gerade am Abklingen sind. Die Nation ist verunsichert, müde und aggressiv.
Der ideale Nährboden für eine rechtskonservative Bewegung, die vom Düsseldorfer Milliardär, Immobilien-Tycoon und Medien-Unternehmer Hartmut Osterkamp finanziert wird und sich aufmacht, die unübersichtliche Situation zu nutzen und über den Sturz der Kanzlerin und darauffolgende Neuwahlen selbst nach der Macht zu greifen. Aus dieser glühenden Konstellation entbrennt ein heißer Kampf um politische Glaubwürdigkeit, Einfluss und staatliche Dominanz.
Der erfahrene Journalist nimmt den Leser mit auf eine Recherche, die bald zum ehemaligen Sportschau-Moderator Christoph Urban führt: ein eloquenter Typ für die Massen, ein Rattenfänger mit TV-Gesicht, der nach seinem Rauswurf bei den Öffentlich-Rechtlichen eine Talkshow moderiert, in der Querdenker, Verschwörungsbirnen und andere Dumpfschädel eine Bühne bekommen.
Urban soll zum Protagonisten der neuen Bewegung aufgebaut werden – finanziert und protegiert vom Geldadel mit weltweiten Beziehungen. Wenn da nur die skeptischen Russen nicht wären. Bis er spürt, dass er nur eine Marionette der einflussreichen Strippenzieher ist. Horst Eckert verstrickt Hinweise auf reale Skandale und Personen – mal mehr, mal weniger subtil – mit einer erfundenen Rahmenhandlung, um der Story einen fiktiven Anstrich zu verpassen. Die vielen Perspektivenwechsel halten den Leser bei der Stange und ziehen in hinein in eine Geschichte, die von den Konturen der Wirklichkeit beeinflusst, aber niemals dominiert wird.
Von der Verführbarkeit des Menschen
Beunruhigend ist, dass diese (hoffentlich) literarisch überzeichnete Welt immer wieder glaubwürdig erscheint. Das spiegelt das sprachliche Können des Autors und sein Faible für ein hohes Erzähltempo und vertrackte dramaturgische Spannungsbögen.
„Die Macht der Wölfe“ wildert vergnügt in den Untiefen der Medienbranche und entwirft eine Welt, in der alles möglich erscheint: Der Sturz der Regierung wird am Telefon diskret geplant und von naiven Handlangern vorbereitet.
Das Buch erzählt von der Verführbarkeit des Menschen, von Eitelkeit und Macht, Manipulation und Mord. Und von dem Versuch, demokratisch-freiheitliche Werte zu untergraben, um eigene Wahnvorstellungen durchzusetzen. Der Thriller zeigt, wie hungrig die Wölfe sind und wie lang ihr Arm in die Gesellschaft reichen kann.
In Bensheim erläuterte der Autor, dass er nach dem Rechtsruck in Frankreich und deren Protagonisten Éric Zemmour und Marine Le Pen mit dem Thema geliebäugelt habe, der Krieg in der Ukraine hat den Schreibprozess dann zusätzlich beeinflusst. Daraus entstand eine Dystopie mit vertrauten Konturen. Die Gäste auf der Bühne des Parktheaters beklatschten ein rundum kurzweiliges Finale des diesjährigen Lesefestivals.
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