Haushaltsdefizit

Bürgerversammlung zur Haushaltslage zwischen Frust und Zugeständnis

Bürgermeisterin Klein und Finanzbereichsleiter Stephan Schneider stellten sich kritischen Fragen zu Einsparungen, Gewerbesteuereinbruch und Grundsteuer

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Anna Meister
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Moderiert wurde die Bürgerversammlung, zu der rund 450 Gäste kamen, von Lucia Brauburger. © Thomas Zelinger

Bensheim. Die Bensheimerinnen und Bensheimer sind wütend, aber dialogfähig. Entsprechend schwankte die Stimmung im gut besuchten Bürgerhaus zwischen Ärger und Einsicht: Ärger darüber, dass in den Augen der Gäste nicht genug getan wurde, um den massiven Einbruch der Gewerbesteuer vorauszusehen. Und Einsicht, dass es für Magistrat, Verwaltung und Stadtverordnetenversammlung sehr schwer werden wird, einen zumindest ansatzweise verträglichen Weg aus dieser Misere zu finden. Möglichst ohne dass das soziale, sportliche und kulturelle Leben der Stadt zum Erliegen kommt. Aber eben auch möglichst ohne einen schwindelerregenden Grundsteuerhebesatz.

Bei der Bürgerversammlung am Donnerstagabend, zu der Stadtverordnetenvorsteherin Christine Deppert eingeladen hatte, ging es genau um diese drängenden Themen. Rund 450 Bürgerinnen und Bürger machten stellenweise mit Buhrufen ihrer Unzufriedenheit Luft, bemühten sich allerdings auch darum, konstruktive Lösungswege zu finden und lieferten erste Vorschläge. Zwar bringt die Bürgerversammlung nicht den ersehnten Durchbruch, „trotzdem war es wichtig, die Bürgerinnen und Bürger umfassend über die aktuelle Lage zu informieren, und zwar bevor die entsprechenden Beschlüsse anstehen“, resümierte Deppert.

Lucia Brauburger war Moderatorin der Veranstaltung

Die Bürgerversammlung soll Auftakt einer Reihe an Beteiligungs- und Informationsveranstaltungen in den kommenden Monaten sein, kündigte sie an. An dieser Stelle lud sie die Gäste unter anderem zur kommenden Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, 19. Dezember, um 18 Uhr im Auerbacher Bürgerhaus ein.

Eigens für die Veranstaltung wurde Moderatorin Lucia Brauburger engagiert. Im Hause selbst schien sich für diese Aufgabe niemand gefunden zu haben, was rege unter den Gästen kommentiert wurde. Sie gab Bürgermeisterin Christine Klein und Finanzbereichsleiter Stephan Schneider in einem ersten Block die Möglichkeit, den aktuellen Stand in Sachen Haushalt und Konsolidierung abzubilden.

Zu Beginn des Jahres 2024 waren im Haushalt der Stadt Bensheim rund 128 Millionen Euro an Erträgen veranschlagt, demgegenüber standen Aufwendungen in Höhe von 140,5 Millionen Euro – macht also ein Defizit von 12,5 Millionen (wir haben berichtet). Dabei ist es bekanntlich nicht geblieben: „Wir haben einen massiven Einbruch der Gewerbesteuer und damit einhergehende Nachzahlungen von mehr als 30 Millionen Euro ab dem Jahr 2022 zu verkraften“, so Klein.

Vorstellung der Bensheimer Einnahmen- und Ausgabenstruktur

Im Juni dieses Jahres verhängte der Magistrat nach Bekanntwerden des klaffenden Haushaltslochs umgehend eine Haushaltssperre. Auch nach ersten Einsparungen sind die Zahlen weiterhin tiefrot: Die aktualisierten Beträge im Nachtragshaushalt belaufen sich bei den diesjährigen Erträgen auf gerundet 94,5 Millionen, bei den Aufwendungen auf 133 Millionen Euro. Daraus ergibt sich ein Defizit von rund 38,5 Millionen Euro.

Stephan Schneider, Fachbereichsleiter Finanzen und Bürgermeisterin Christine Klein informierten zur aktuellen Haushalts-Lage. Rechts Moderatorin Lucia Brauburger. © Thomas Zelinger

„Wer Zahlen liebt, der wird sich jetzt freuen“, kündigte Brauburger an, als sie Stephan Schneider das Wort erteile. Er hatte mehrere Folien parat, anhand derer er die Einnahmen- und Ausgabenstruktur der Stadt Bensheim vorstellte. Etwa drei Viertel aller Erträge (rund 66 Millionen Euro) speisen sich aus Steuereinnahmen. Den größten Anteil an den Steuereinnahmen machte 2024 die Einkommenssteuer (50 Prozent) aus, gefolgt von der Gewerbesteuer (mit 15,5 Millionen Euro rund ein Viertel) und der Grundsteuer B (15 Prozent mit rund 10 Millionen Euro).

Gewerbesteuer machte einst Löwenanteil der Einnahmen aus

„Hier haben sich die Verhältnisse gedreht. In den Vorjahren hatte die Gewerbesteuer noch den größten Anteil“, so Schneider. 2023 nahm die Stadt allein hierüber 57 Millionen Euro ein – von denen ein Jahr später erwarteten 55 Millionen landeten am Ende allerdings wegen der ins Haus stehenden Nachzahlungen nur 15,5 Millionen Euro in der Stadtkasse. Bereits 2020 sei die Gewerbesteuer eingebrochen, damals habe man diesen Rückgang allerdings noch mit Rücklagen kompensieren können. Diesmal reichen sie jedoch nicht aus, um den Haushalt auszugleichen.

Die Gründe für den historischen Einbruch der Gewerbesteuer 2024 hatte die Bürgermeisterin bereits vor der Bürgerversammlung mehrfach aufgezählt: Corona, Kriege, Tariferhöhungen, steigende Energiekosten – kurzum, Faktoren, die die Stadt nicht beeinflussen konnte. „Die schlechte wirtschaftliche Lage trifft unsere Unternehmen hart. Das ist kein exklusives Bensheimer Problem.“ Man habe den Einbruch bei der Gewerbesteuer in seinem realen Ausmaß nicht vorhersehen können, betonte die Bürgermeisterin.

Stadtgesellschaft attestierte der Verwaltung klares Versagen

Diese Aussage wiederholte sowohl sie als auch Schneider an diesem Abend mehrfach – die Bensheimerinnen und Bensheimer ließen ihnen das Argument, man habe das volle Ausmaß der Katastrophe erst überschauen können, als die Messbescheide vom Finanzamt zugestellt wurden, allerdings nicht durchgehen. Vielmehr sorgte die Aussage immer dann, wenn sie getroffen wurde, für anhaltendes Murren im Zuhörerraum.

Und dennoch, eine tiefergehende Antwort erhielten die Bürgerinnen und Bürger nicht, geschweige denn, dass Klein oder Schneider ein wenig Asche auf ihre Häupter gestreut hätten. An dieser Stelle attestierte die Stadtgesellschaft der Verwaltung ein klares Versagen – hätte doch das frühzeitige Gespräch mit dem Top-Unternehmen sicher bereits vorher zeigen können, wohin die Reise in Sachen Gewerbesteuer geht. Die Wahrheit wird am Ende irgendwo in der Mitte liegen.

„Kommunen geht bei all den Pflichtaufgaben die Luft aus“

Den gesunkenen Erträgen von 94,5 Millionen Euro stehen Aufwendungen in Höhe von 133 Millionen Euro gegenüber. „Die Pflichtaufgaben, die die Stadt zu erbringen hat, machen hiervon einen Anteil von 111 Millionen Euro aus. Das sind Kosten, denen sich die Stadt nicht entziehen kann. Die Anforderungen steigen immer weiter, nicht allerdings der finanzielle Ausgleich von Kreis, Land oder Bund. Den Kommunen geht dabei im ganzen Land die Luft aus“, kritisierte Klein. Allein 54 Millionen Euro macht bei den Pflichtausgaben die Schulumlage an den Kreis Bergstraße aus, im kommenden Jahr soll sie weiter angehoben werden – schließlich muss auch der Kreis konsolidieren. 19,4 Millionen Euro investierte die Stadt 2024 in den Betrieb und die Instandhaltung der 34 Kitas in der Stadt. „Diese Zahlen verdeutlichen, dass wir im Bereich der freiwilligen Leistungen nur wenig Spielraum haben“, so Klein.

„Selbst, wenn wir alle freiwilligen Leistungen der Stadt streichen würden – etwa die Stadtkultur dichtmachen, ebenso wie Spiel- oder Sportplätze und das Basinus-Bad – mehr als 17 Millionen Euro wären nicht machbar“, verdeutlichte Schneider. Verbunden wäre dieser harte Einschnitt mit dem Verfall der über Jahrzehnte gewachsenen Infrastruktur, die die Stadt ausmache. „Was wir heute zerstören, das wird uns morgen fehlen“, ergänzte die Bürgermeisterin.

Bürgermeisterin sieht es für unerlässlich die Strukturen der Verwaltung zu optimieren

Moderatorin Brauburger bat Klein an dieser Stelle darum, nun den weiteren Weg für Bensheim zu skizzieren, wobei sie auf die Erhöhung der Grundsteuer B zu sprechen kam: „Jede Kürzung an freiwilligen Leistungen hat einen unmittelbaren Effekt auf die Lebensqualität in Bensheim. Wir wissen, welche Tragweite die Erhöhung mit sich bringt und haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht.“ Im Bereich der Pflichtleistungen seien der Stadt hinsichtlich Einsparungen die Hände gebunden. Die einzige Möglichkeit, den Hebesatz noch heruntersetzen zu können, sieht Klein in der Hoffnung, die Aufsichtsbehörden mögen Nachsehen zeigen und einer Haushaltskonsolidierung innerhalb von zehn statt der vorgegebenen fünf Jahre zuzustimmen. Bisher sieht es zwar nicht danach aus, die Verhandlungen diesbezüglich laufen allerdings weiter. „Das Konzept, das uns auferlegt wurde, stammt noch aus der Zeit der Rettungsschirme und Schuldenerlasse.“

Bürgernetzwerk liefert Vorschlag zur Grundsteuererhebung

Wie kann der Grundsteuerhebesatz verträglicher gestaltet werden, als es der Magistrat vorgeschlagen hat? Hierzu hat das Bürgernetzwerk Bensheim in den vergangenen Tagen zahlreiche Vorschläge gebündelt. Herausgekommen ist ein erster Ansatz, der ein gestaffeltes Erhebungsmodell vorschlägt. Voraussetzung für die Umsetzbarkeit ist, dass die definierten Sparmaßnahmen ausreichend sind, um eine Senkung der Grundsteuer B zu ermöglichen.

Das Modell würde es der Stadt erlauben, so steht es in dem Papier, das der Redaktion vorliegt, im ersten Jahr (2025) die Basis für die Konsolidierung des Haushaltes zu schaffen: Im ersten Schritt könnte man sich etwa auf einen Hebesatz von 1740 Punkten verständigen („Investment der Bürgerschaft“). Im zweiten Jahr werden 1540 Prozent vorgeschlagen, fortlaufend soll der Hebesatz sinken und nach fünf Jahren bei 740 Prozent liegen.

Das Modell fordert weiter, sollte der so ermittelte Hebesatz zu einer Überdeckung des Ergebnishaushaltes führen, den Hebesatz entsprechend zu verringer, dass das Ergebnis ausgeglichen ist.

Zudem bemerken sie Verfasser, dass die Grundsteuerbescheide als Jahres- und Dauerbescheide ergehen. Der Grundsteuerhebesatz könne nach Beschlussvorlage des Magistrats und per Beschluss eines neuen Hebesatzes durch die Stadtverordnetenversammlung noch bis zum 31. Juni kommenden Jahres rückwirkend zum Jahresbeginn geändert werden.

Da es sich um ein äußerst komplexes Thema handelt, das die allermeisten Bürgerinnen und Bürger teilweise erheblich betreffen könnte, hatte das Bürgernetzwerk die Verantwortlichen, die Entscheidung über das konkrete Vorgehen nicht bereits eine Woche nach der Bürgerversammlung, am 19. Dezember, zu treffen.

„Für die Akzeptanz des Vorgehens ist es zentral, Fragen zu beantworten, eine Diskussion über die Folgen zu erlauben und ein möglichst großes Verständnis und auch eine möglichst breite Zustimmung in der Bevölkerung zu erreichen. Um dafür ausreichend Zeit zur Verfügung zu haben, sollte der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung auf das neue Jahr verschoben werden“, hatte der Verein mitgeteilt. Genau dies scheint sich aktuell abzuzeichnen.

Alle Fragen, die das Bürgernetzwerk zum Thema Haushalt in den vergangenen Wochen gesammelt und an die Verwaltung weitergegeben hat, sind auf der Webseite https://www.buergernetzwerk.de/bensheim/ zu finden. Weiter sicherte Bürgermeisterin Christine Klein den Gästen am Donnerstagabend zu, die Beantwortung der Fragen, sobald vorhanden, auf der Webseite der Stadt bereitzustellen. ame

Damit ist bekanntlich seit einigen Jahren Schluss, die Forderungen, die das Land an die Stadt stelle, entsprechend veraltet, kritisierte Klein. Weitere Erkenntnisse verspricht sich die Rathauschefin vom Ende Januar anstehenden Termin bei der Hessischen Kommunalberatung. Im Nachgang sollen die Bürger auch über die Ergebnisse dieses Termins informiert werden, kündigte sie an. Neben der Inanspruchnahme von Hilfe von außen sei es zudem unerlässlich, die Strukturen der Verwaltung zu überprüfen und zu optimieren. „Krisen wie diese bieten immer auch eine Chance.“

Was Bürgerinnen und Bürger erwarten und hoffen

Viel Applaus bekam ein Gronauer, der in der anschließenden Fragerunde klar einforderte, die Stadt müsse wieder einen besseren Kontakt zur Wirtschaft aufbauen und ein verlässliches Risikomanagement aufbauen – „damit wir nicht in zehn Jahren wieder hier sitzen“. Dies sicherte Schneider zu. Man könne bis zu einem gewissen Grad Risikoabschläge bei der Gewerbesteuer einplanen, nicht allerdings in dem Ausmaß, wie es 2024 nötig gewesen wäre.

Der Bürger, der sich selbst in mehreren Vereinen engagiert, skizzierte, dass es nicht zielführend sei, die freiwilligen Leistungen einzustampfen. Vielmehr forderte er, die Lasten dieser Krise müssten auf alle Schultern gleichmäßig verteilt werden – Stichwort Gewerbesteuererhöhung, gefolgt vom Applaus. Weniger gut kam der Vorschlag nicht überraschend bei den Gewerbetreibenden an: „Damit würden sie doppelt belastet, denn die Grundsteuererhöhung betrifft auch die Unternehmen“, warf ein anderer Bürger ein.

Kritik der Stadtgesellschafft an der MEGB

Welche vier Buchstaben vermögen es, die Stadtgesellschaft innerhalb von Sekunden auf die Palme zu bringen? Richtig: M-E-G-B. Die Tochtergesellschaft der Stadt rückte in die Kritik wegen ihrer Immobilien. So sehen viele etwa im Kaufhaus Krämer ein Millionengrab, auf dessen Entwicklung man noch lange warten könne. Da sich die Immobilie aber nicht in städtischem Besitz befindet, kann die Stadt selbst den Gebäudekomplex nicht verkaufen. Und selbst wenn, so müsste sich zunächst ein Interessent finden. Im Angebot der Stadt wären zum Beispiel die Dorfgemeinschaftshäuser oder die Weststadthalle.

„Vom Verkauf dieser Immobilien muss ich dringend abraten“, klinkte sich Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung in die Diskussion ein. Die Gemeinschaftshäuser seien Orter der Zusammenkunft und würden von vielen Vereinen genutzt. „Sie sind häufig der einzige Ort in den Stadtteilen, in denen das kulturelle Leben Platz hat.“ Zumal ihr Verkauf kaum einen Effekt auf die Stadtkasse haben dürfte: Viele der Gebäude sind älter und haben einen entsprechenden Sanierungsbedarf.

Präsentation zur Haushaltslage wird in den kommenden Tagen veröffentlicht

Gegen Ende der Fragerunde, die die Bürgerinnen und Bürger ausgiebig nutzten, um Impulse zu geben und Kritik zu äußern, stand der Wunsch, ein solches Plenum auch zwischen Stadtpolitik und Bürgerschaft zu ermöglichen. Die Stadtverordneten seien die gewählten Vertreter der Bürger und hätten – anders als die Verwaltung, noch einen breiteren Raum zur Ausgestaltung von Maßnahmen.

Alle Fragen und Antworten, die bei der Bürgerversammlung zusammenkamen, aufzulisten, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Interessierte werden allerdings in den kommenden Tagen die Präsentation zur Haushaltslage auf der Webseite der Stadt Bensheim finden können, ebenso wie die Beantwortung der zahlreichen Fragen, die das Bürgernetzwerk Bensheim im Vorfeld gesammelt und an die Verwaltung weitergegeben hat.

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Die nächste Gelegenheit, dem Stadtparlament bei seiner Arbeit auf die Finger zu schauen, bietet sich bei der Stadtverordnetenversammlung am 19. Dezember im Auerbacher Bürgerhaus. Bis dahin wird es sicher auch Alternativvorschläge zum Hebesatz der Grundsteuer B geben.

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