Eines der am meisten bestaunten Häuser mitten in Bensheim ist das Haus in der Hauptstraße 48, an der Ecke des Marktplatzes. Es soll mit seiner Bauzeit um das Jahr 1500 und den dekorativen viertelkreisförmigen Fußbändern zu den bedeutendsten spätgotischen Fachwerkhäusern in Südhessen gehören.
Wohl jeder Bensheimer kennt es, aber nur selten macht man sich seine ursprüngliche Funktion bewusst. Das heute meist als „Haus Fleck“ bezeichnete Gebäude bezog diesen Namen erst am Ende des 19. Jahrhunderts, als es in den Besitz des Händlers für „Colonialwaren und Südfrüchte“ Heinrich Fleck kam. Bis in die 1960er Jahre firmierte hier dann ein Delikatessengeschäft unter dem Namen Fleck, seitdem sind Textilgeschäfte in dem Fachwerkhaus ansässig – aktuell bereits seit vielen Jahren das Modehaus Zobel.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Im Jahr vor seinem Freitod im Februar 1923 hatte der Architekt Heinrich Metzendorf noch eine moderate Erneuerung des massiven Untergeschosses des jahrhundertealten Gebäudes vorgenommen. Metzendorf ließ das zuvor verputzte Fachwerk in den oberen Stockwerken freilegen. Mit den großen Sandsteinbögen nahm er Formen auf, die offenbar schon im 16. Jahrhundert bestanden, denn auch in einer Handwerkerrechnung aus dem Jahr 1514 ist hier von „Schwibbögen“ die Rede. Vom Stolz des Bauherrn des 20. Jahrhunderts kündet noch heute ein steinernes Wappen über der Eingangstür mit den Initialen des Heinrich Fleck.
Doch war das nicht die erste Umbaumaßnahme in der langen Geschichte des Hauses: Schon um 1880 wurde das Fachwerk durch Veränderungen an den Fenstern gestört. Längst war das ursprünglich öffentliche, nämlich von der Stadt Bensheim erbaute Haus in privaten Besitz übergegangen und offenbar durchgängig von Kaufmannsfamilien genutzt worden. Ab 1714, so berichtete es der ehemalige Stadtarchivar Richard Matthes in der Festschrift „1200 Jahre Bensheim“, hatte die Stadt das Gebäude an den italienischen Kaufmann Carlo Zetti verpachtet, der hier – später mit seinem Geschäftspartner Josef Ferrari – unter anderem mit Südfrüchten und Textilien handelte.
Wirtschaftliche Blütezeit
1748 kaufte Ferrari der Stadt dann das Gebäude ab, die damit im Österreichischen Erbfolgekrieg entstandene Schulden tilgte. Ferrari ließ 1757 an der Ecke des ersten Obergeschosses die noch heute gut sichtbare Sandsteinfigur eines heiligen Joseph anbringen. 1785 ging das Haus an die Kaufmannsfamilie Claess oder Kleß, von der es 1891 dann Kaufmann Heinrich Fleck erwarb.
Seit etwa 300 Jahren also dient das Haus an der Südwestecke des Marktplatzes dem Handel mit Südfrüchten und Textilien. Errichtet worden war es um das Jahr 1500 aber zu einem anderen Zweck – oder besser gesagt, zu mehreren anderen Zwecken zugleich. Das Haus ist Zeugnis einer Phase, die in der damals pfälzischen Stadt Bensheim als wirtschaftliche Blütezeit erlebt wurde.
Zugleich errang in den deutschen Städten allgemein die Einwohnerschaft größeren politischen Einfluss. Stadträte trafen politische Entscheidungen und reglementierten die städtische Wirtschaft, etwa durch Qualitätskontrollen und festgelegte Warenpreise. Insbesondere Bäcker und Metzger unterlagen der städtischen Aufsicht. Nicht nur auf Hygiene wurde geachtet, sondern auch auf die korrekte Abführung von Steuern, wenn die Waren in besonderen, zur Straße hin offenen Ständen verkauft wurden.
Das Haus Fleck wurde als eine solche „Fleischschranne“ errichtet: Unten, im offenen Erdgeschoss wurde das Fleisch angeboten, die oberen Stockwerke aber waren Mehrzweckräume, ein bisschen wie bei heutigen Bürgerhäusern. Hier konnten sich politische Gremien versammeln, aber auch Festgesellschaften.
Hochzeiten und Sitzungen
Mitunter wird das Haus Fleck deshalb auch als Hochzeitshaus, sogar als „Hessens ältestes Hochzeitshaus“ bezeichnet. Hochzeitshäuser entstanden ab dem Spätmittelalter in vielen Städten und es sind, zum Beispiel in Hameln, noch einige dieser Gebäude von beeindruckenden Ausmaßen erhalten. Der ehemalige Stadtarchivar Diether Blüm distanzierte sich von der Bezeichnung Hochzeitshaus für das Haus Fleck, doch berichtete auch er in seinem Büchlein über „Alte Bensheimer Fachwerkhäuser“ aus dem Jahr 1980 von mehreren größeren Hochzeitsfeiern, die neben den Ratssitzungen und politischen Verhandlungen in dem Haus stattgefunden hätten.
Das Bensheimer Mehrzweckhaus war von vergleichsweise bescheidenen Dimensionen, doch dokumentiert auch Richard Matthes in der schon oben genannten Festschrift unter anderem eine im Jahr 1660 in dem Haus gehaltene Hochzeit und, zu einem anderen Zeitpunkt, eine Sitzung des Stadtrats in den Räumen mit anschließender Trinkerei. Es ist auch die Rede davon, dass die ganze Bürgerschaft hier einmal zum Dank bewirtet worden sei: Nach der standhaften Verteidigung der Stadt im Juni 1504 gegen die Truppen des hessischen Landgrafen nämlich, der das damals im Besitz des pfälzischen Kurfürsten befindliche Bensheim über mehrere Tage belagert hatte.
200 Jahre in Metzgerhand
Das Erdgeschoss war ursprünglich den Metzgern vorbehalten, die für ihre Stände in der Schranne Pacht bezahlen mussten. Drei Metzger werden im Jahr 1504 genannt, sieben im Jahr 1593 und neun im Jahr 1662, die sich die Räumlichkeiten teilen mussten. Bis das Haus 1714 an den italienischen Kaufmann Cetti abgegeben wurde, hatte es für mehr als 200 Jahre als Fleischschranne gedient. Dann wurden östlich davon neue Schrannen gebaut, die von den Bäckern und Metzgern an abwechselnden Wochentagen genutzt wurden: Dienstags, donnerstags und samstags gab es Fleisch, montags, mittwochs und freitags Brot.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-haus-fleck-in-bensheim-fleisch-fruechte-und-textilien-_arid,1942098.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html