Fast vergessene Bensheimer "Basinus-Quelle"

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Manchmal liegen die Spuren der Geschichte wirklich sehr, sehr versteckt, wie in diesem Fall: In der Dammstraße, schräg gegenüber der Brücke am Winkelbach, die zur AKG-Halle und zum Weiherhausstadion führt, kann man noch den Teil eines Gebäudes sehen, das einst in einem Zusammenhang eine Rolle spielte, dem – zumindest in gewissen Kreisen – „für die künftige Entwicklung Bensheims als Kur- und Badeort große Bedeutung“ beigemessen wurde, wie ein Artikel im Bergsträßer Anzeiger 1929 vermeldete.

Es hätte auch sein können, dass Mineralwasser aus Bensheim der Heppenheimer Odenwaldquelle noch heute zumindest Konkurrenz machen würde. Die Odenwaldquelle gibt es seit 1931. Sie ist mit etwa 77 Millionen abgefüllten Litern Wasser heute Marktführer in der Metropolregion Rhein-Neckar. Das Unternehmen profitierte vom boomenden Markt für Mineralwasser im Laufe des 20. Jahrhunderts: Vor 100 Jahren lag der Verbrauch an Mineralwasser pro Person bei weniger als zwei Litern im Jahr. Um 1950 betrug er schon knapp zehn Liter. Heute sind es (trotz überragender Qualität des deutschen Leitungswassers) mehr als 100 Liter.

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Von geschäftlichem Erfolg mit Mineralwasser träumte schon 1928 und damit sogar noch kurz vor der Gründung der Odenwaldquelle auch der Bensheimer Unternehmer Albert Kunold, der in der heutigen Dammstraße 116-118 eine Kammfabrik betrieben hatte (vor der Schließung des Bahnübergangs gehörte das Gelände zur Fehlheimer Straße 106). Mit dem allgemeinen Niedergang der Kammbranche, unter anderem weil Hochsteckfrisuren Mitte der 1920er Jahre aus der Mode kamen, war auch Kunold in Schwierigkeiten geraten und hatte Konkurs anmelden müssen.

Radioaktives Wasser

Er beauftragte (auf die wohl nicht zufällige Anregung eines Bekannten hin, der Ingenieur in einer großen Frankfurter Bohrfirma war) einen Wünschelrutengänger mit Untersuchungen seines Firmengeländes – und der fand just 50 Meter von dem Kammfabrikgebäude entfernt eine vielversprechende Stelle. Hier wurde nach monatelangen Bohrungen in 168 Meter Tiefe tatsächlich eine Quelle gefunden, deren Wasser mit Pumpen zu Tage gefördert wurde – etwa 1000 Kubikmeter am Tag.

Die „Kunold-Quelle“ genügte den Anforderungen, die damals an ein Mineralwasser gestellt wurden. Das galt sowohl in Bezug auf die Mindestgehalte an Mineralsalzen, als auch auf den Gehalt an Kohlensäure und sogar hinsichtlich der radioaktiven Emanation – für die damals nicht Höchst-, sondern Mindestgrenzen galten: Radioaktivität wurde in den 1920er Jahren als gesundheitsfördernd angesehen, es gab viele Produkte, die speziell mit Radium angereichert wurden, etwa Radiumseife oder Radiumzahnpasta.

Mehrere Kurbäder warben bis in die 1930er Jahre mit der starken Radiumwirkung ihres Thermalwassers. Genügend radioaktiv war das Bensheimer Wasser also, als problematisch erwies sich dagegen eher sein hoher Eisengehalt, der zwar gesund ist, aber zu unschönen Verfärbungen und Ausfällungen führt.

Deshalb wurde das Wasser enteisent, verlor dabei aber natürliche Kohlensäure, die dann wieder zugesetzt werden musste. Dennoch war die Abfüllung und Vermarktung des Wassers zunächst erfolgreich und es gab weitere hochfliegende Pläne: Mit dem mineralischen Wasser als „Gottesgeschenk für Bensheim und die ganze Umgebung“ sollte der sich in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung durch die Großstädte bedroht sehenden Kleinstadt neuer Aufschwung gegeben werden.

Doch kein Kurbad Bensheim

Mit der Einrichtung von Badeanlagen gegen Tuberkulose, Magenleiden oder Atemwegs- und Hauterkrankungen wollte man den Fremdenverkehr ankurbeln. Badeorte waren en vogue und stachen diejenigen Kurorte aus, die „außer gesunder Luft und Waldnähe nichts zu bieten“ hatten, wie es hieß. Es ging deshalb auch um die Frage, ob der Bau von Badeanlagen nicht in privater, sondern sogar in öffentlicher Hand liegen solle.

Bei einem öffentlichen Vortrag zum Thema war es zu erhitzten Diskussionen gekommen, über die der Bergsträßer Anzeiger vom 2. September 1929 ausführlich berichtete. Ein Einwand gegen die Pläne war die Befürchtung, die Quelle könne rasch versiegen – dabei hatte man nicht zuletzt das Auerbacher Fürstenlager im Sinn, dessen am Ende des 18. Jahrhunderts entdecktes „Heilwasser“ schon bald nicht mehr gesprudelt war.

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Der Ausbau Bensheims zum Kurbad erfolgte nicht und auch der Unternehmer Kunold musst bald aufgeben. 1930 fand eine Zwangsversteigerung statt, bei der Gaststättenbetreiber und Brennereibesitzer August Schmuttermaier den Betrieb erwarb. Wie es mit dem weiterging, beschreibt der Bensheimer Heimatforscher Rudolf Schmitt in den Mitteilungen des Museumsvereins Bensheim 2/2004. Unter dem Namen „Basinus-Quelle“ wurde der Betrieb ausgebaut und über Jahrzehnte erfolgreich geführt. Bis 1968 eine neue Abfüllmaschine hätte angeschafft werden müssen, weil der deutsche Handel auf andere Flaschenformen umgestellt wurde.

Ehemalige Abfüllanlage erhalten

Am Standort blieb lediglich eine Getränkehandlung erhalten. Die übrigen Gebäude dienten im Lauf der Jahre unterschiedlichen Gewerbetreibenden. Eine große Änderung kam, als in den 1990er Jahren das Wohngebiet Kappesgärten errichtet und ein Teil des ehemaligen Firmen-Geländes überbaut wurde. Dennoch blieben einige Gebäudeteile erhalten, etwa der ehemalige Standort der Abfüllanlage.

Eine außergewöhnliche, nur etwa fünf Zentimeter messende Erinnerung an die „Basinus-Quelle“ hat die Viernheimer Busch GmbH mit einem im Jahr 2007 aufgelegten Modellauto im Maßstab 1:87 geschaffen. Der Mercedes-Benz 170 V ist einem Lieferauto nachempfunden, das man auf um 1930 entstandenen Fotos sehen kann. Sogar die Kästen mit Wasserflaschen auf der Ladefläche wurden liebevoll nachgebildet.

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