Bensheim. Kein Land in Sicht: Die jüngste Diskussion im Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Bensheim zeigte einmal mehr auf, wie anspruchsvoll die Gratwanderung zwischen einer schmerzhaften, aber verkraftbaren Erhöhung der Grundsteuer B (derzeit 617 Punkte) und der möglichst zügigen Sanierung des Bensheimer Haushaltes ist. 1275 Hebesatzpunkte standen zur Debatte, ebenso wie weitere Möglichkeiten, Gelder für die Stadtkasse zu generieren, Stichwort: MEGB. Während der vorgeschlagene Hebesatz abgelehnt wurde, stimmte das Gremium einstimmig für die Beantragung eines Liquiditätskredits in Höhe von 10 Millionen Euro. Den benötigt die Stadt wegen des zusätzlichen Einbruchs der Gewerbesteuer um 8 Millionen Euro, der im Februar bekanntgeworden war.
BfB und VuA hatten einen gemeinsamen Änderungsantrag eingereicht, in dem die Fraktionen einen Hebesatz der Grundsteuer B von 1000 Punkten fordern. Mittels einer teilweisen Auflösung der Kapitalrücklage der Marketing- und Entwicklungsgesellschaft Bensheim (MEGB) und der Rückzahlung des Auflösungsbetrags an die Stadt könnte der Haushalt entlastet und der Hebesatz der Grundsteuer B niedriger ausfallen. BfB und VuA visieren dabei eine Summe von 5 Millionen Euro an, während vonseiten der CDU und der Grünen 4 Millionen Euro eingeworfen wurden. Bis zur Stadtverordnetenversammlung am 3. April könnte in dieser Angelegenheit mit einem fraktionsübergreifenden Antrag zu rechnen sein.
Der Ausschüttung voran geht zunächst die Prüfung, ob sie ohne weiteres - und vor allem ohne steuerliche Belastungen - möglich ist. Hierzu gehen die Meinungen in Bensheim weit auseinander, der Ton wird zunehmend rauer. Wie hilfreich das in der angespannten Situation ist, ist fraglich. Der aktuelle Stand: Die Steuerberatungsgesellschaften der Stadt und der MEGB befinden sich hierzu im engen Austausch, eine abschließende Antwort gibt es aber noch nicht. Zutreffend ist aber, dass steuer- und handelsrechtlich eine Auflösung oder Minderung der Kapitalrücklagen grundsätzlich möglich ist, aber mit Risiken für die MEGB verbunden (wir haben berichtet).
„1000 Hebesatzpunkte wären gerade noch vermittelbar“
„1000 Hebesatzpunkte wären den Bürgerinnen und Bürgern gerade noch so vermittelbar“, ist sich Franz Apfel (BfB) sicher. Eine zusätzliche Senkung könnte weiter eine Einigung mit den Aufsichtsbehörden mich sich bringen - seit Monaten laufen die Gespräche zur Verlängerung des Konsolidierungszeitraums von bisher fünf auf zehn Jahre. Der Erfolg beziehungsweise die Fortführung dieser Gespräche ist in großen Teilen daran geknüpft, dass die Stadt es schafft, einen genehmigungsfähigen Haushalt 2025 vorzulegen, was bisher nicht geschehen ist.
Zudem fordern BfB und VuA neben dem Verkauf von GGEW-Anteilen der Stadt eine geringfügige Anhebung der Gewerbesteuer von derzeit 390 auf 400 Punkte. „Ein Hebesatz bei der Gewerbesteuer bis zu 400 Punkte belastet Einzelunternehmen und Personengesellschafter nicht, da bei diesen die Gewerbesteuer bis zu einem Hebesatz von 400 Hebesatzpunkten in voller Höhe die tarifliche Einkommensteuer mindert“, gab Apfel die Darstellung der Hessischen Kommunalberatung wieder. Im Februar hatte die Institution in Bensheim mögliche Einnahmequellen und Einsparpotenziale vorgestellt.
Die FDP lehnt den Vorschlag über 1000 Hebesatzpunkte ab: „Wir haben keine Glaskugel. Bisher gibt es, da wir noch keinen Haushaltsentwurf mit den konkreten Zahlen haben, keine Entscheidungsgrundlage für die Festsetzung des Hebesatzes“, kritisierte Harald Boeddinghaus. Zudem warnte er vor Schnellschüssen in Bezug auf MEGB und GGEW: Eine einmalige Ausschüttung von Kapital könne langfristige Nebenwirkungen haben. „Solche Einmaleffekte müssen wir sinnvoll nutzen.“ Dem pflichtete auch Bürgermeisterin Christine Klein bei: „Da die Haushaltslage auch in den kommenden Jahren angespannt bleiben wird, brauchen wir nachhaltige Lösungen.“
Im Hintergrund geht derweil die Suche nach weiteren Einsparmöglichkeiten weiter. In manchen Bereichen sei man mittlerweile an der absoluten Schmerzgrenze angekommen, etwa im Straßenbau. Auch mit den Vereinen laufen die Gespräche weiter, wobei es einen sensiblen Umgang brauche. Die Stadtgesellschaft müsse lebensfähig erhalten werden.
Vorsicht bei der Gewerbesteuer geboten
Nicht nur die FDP spricht sich dafür aus, den Hebesatz der Grundsteuer gemeinsam mit dem Haushalt - Stand jetzt am 5. Juni - zu beschließen. „Eigentlich hätten wir in der kommenden Stadtverordnetenversammlung im April die Entscheidung treffen sollen. Dann kam aber ein weiterer Einbruch der Gewerbesteuer, die Haushaltsberatungen wurden ausgesetzt. Folglich haben wir keinen Haushalt, sollen aber jetzt den Grundsteuerhebesatz festlegen. Ich halte es für den falschen Weg, jetzt einen Hebesatz festzulegen, bei dem man in drei Monaten möglicherweise feststellt, dass er nicht ausreicht. Die Bürgerinnen und Bürger bekämen für 2025 drei Grundsteuerbescheide, alle mit anderen Forderungen. Das schafft nur noch mehr Unklarheit“, sagte Doris Sterzelmaier (Grüne). Würde die rückwirkende Grundsteuererhöhung im April beschlossen, würden die zusätzlichen Einnahmen im Juni fließen, bei einer Einigung im Juni erst im September. Eine MEGB-Ausschüttung könnte in Sterzelmaiers Augen diese Zeit überbrücken.
Auch Bernhard Stenger (CDU) würde sich wünschen, dass ein Hebesatz von 1000 Punkten genügen würde - „das sehen wir allerdings aktuell nicht darstellbar.“ Eine Einigung im April hält auch er für fraglich. Eine Erhöhung der Gewerbesteuer lehnt er ab. „Lieber würde ich sie weiter senken und den Unternehmen so Anreiz geben, sich anzusiedeln oder zu bleiben. Sie halten Bensheim wettbewerbsfähig und würden doppelt belastet bei einer Erhöhung. Denn auch sie zahlen die Grundsteuer.“ Der Bürgermeisterin werde in regelmäßigen Besuchen bei Bensheimer Unternehmen genau das widergespiegelt, ergänzte Klein. Die Stadt müsse bei der Erhebung der Gewerbesteuer vorsichtig sein.
Da die Lage mehr als komplex ist, hat die Redaktion die Stadtverwaltung darum gebeten, die folgenden Fragen knapp zu beantworten:
Wenn der Hebesatz der Grundsteuer B nicht zum 3. April rückwirkend auf 1275 Punkte angehoben wird, passiert Folgendes:
Die Stadt Bensheim wäre dann nach aktuellem Stand im Juni zahlungsunfähig – trotz der im HFA beschlossenen Aufnahme eines Liquiditätskredits (vergleichbar mit einem Dispokredit) in Höhe von 10 Millionen Euro. Diese Summe wäre bei einem Hebesatz von 617 Prozent nicht ausreichend, um „flüssig“ zu bleiben. Zudem hat die Stadt Bensheim in einem solchen Fall nicht mehr die Möglichkeit, ihre gesetzlich vorgegebene Pflicht zur Rückzahlung eines Liquiditätskredits zum 31. Dezember 2025 zu erfüllen.
Wenn der Hebesatz erst im Juni gemeinsam mit dem Haushalt beschlossen wird:
Dann müsste (wie in dieser Sitzungsrunde angestrebt) eine separate Hebesatzsatzung über mindestens 1275 Prozent für die Grundsteuer B beschlossen werden. Ansonsten besteht im Zuge des Genehmigungsverfahrens für die Haushaltssatzung ein erhebliches Risiko, dass eine rückwirkende Erhebung der Grundsteuer B mit 1275 Prozent wegen Fristablauf zum 30. Juni nicht mehr möglich ist. Zusätzlich braucht es bis dahin den Liquiditätskredit über 10 Millionen Euro, um die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen. Allerdings gilt es nicht als gesichert, dass eine Bank einen Kredit an eine Stadt vergibt, die keinen aktuellen, beschlossenen und genehmigten Haushalt vorlegen kann.
Sind 1275 das Minimum und wäre der Hebesatz ohne Liquiditätskredit noch höher?
Bereits Ende 2024 hat die Stadt Bensheim einen Investitionskredit über 11 Millionen Euro aufgenommen. Diese Summe ist in den Berechnungen zum anvisierten Hebesatz der Grundsteuer B von 1275 Punkten bereits enthalten. Stephan Schneider, Fachbereichsleiter Finanzen, stellte bei der Sitzung des HFA unterschiedliche Szenarien dar, in denen die Zahlungsfähigkeit der Stadt mit und ohne Investitionskredite dargestellt wurde. Die im HFA präsentierten Szenarien zeigten, dass die Liquidität nicht ausreichen wird, obschon darin bereits Erträge aus Grundsteuer B mit einem Hebesatz von 1275 Prozent eingerechnet sind. Es trifft zu, dass ohne die 11 Millionen Investitionskredit aus dem Vorjahr und ohne die Option zur Aufnahme eines Liquiditätskredits der Hebesatz für die Grundsteuer B eigentlich noch viel höher als 1275 Prozent sein müsste, um die negativen Liquiditätsspitzen ausgleichen zu können.
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