Bensheim. In Bensheim klafft ein tiefes Loch im Haushalt: 42,7 Millionen Euro statt der erwarteten 12,4 Millionen Defizit werden die Stadt vor große Herausforderungen und schwere Entscheidungen stellen bei der Frage, an welchen Stellen der Rotstift angesetzt werden muss. Grund für diesen massiven Einbruch ist der Verwaltung zufolge ein „erheblicher und nicht vorhersehbarer Rückgang bei den Gewerbesteuereinnahmen“. Der Magistrat der Stadt Bensheim hatte Anfang Juli mit sofortiger Wirkung eine Haushaltssperre erlassen.
Wie genau dieses Loch unbemerkt aufreißen konnte und welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, es wieder zu schließen – oder wenigstens zu verkleinern – ist noch nicht geklärt. Ein Blick auf die Geschäftszahlen des größten Arbeitgebers, und vermutlich auch Gewerbesteuerzahlers an der Bergstraße, Dentsply Sirona mit Sitz in Bensheim, gibt einen Anhaltspunkt, woher ein Teil des Defizits kommen könnte. Wenngleich die enorme Summe natürlich nicht in vollem Umfang an einem Unternehmenfestgemacht werden kann.
Was gemutmaßt werden könnte: Dem Vernehmen nach zahlte der größte Bensheimer Gewerbesteuerzahler (vermutlich Dentsply Sirona) in Vergangenheit schätzungsweise rund 15 Millionen Euro Gewerbesteuer in der Spitze im Jahr. Im Schnitt dürften sich die Gewerbesteuerabgaben auf etwa 7 bis 9 Millionen Euro jährlich belaufen haben, auch das nur vage Schätzungen.
Doch zuletzt dürfte der größte Gewerbesteuerzahler Bensheims, angesichts einer schlechten wirtschaftlichen Lage auf jeden Fall deutlich weniger an die Kommune überwiesen haben. Es waren vermutlich mehrere Effekte wirksam. So dürften die laufenden Gewerbesteuer-Vorauszahlungen des Unternehmens niedriger ausgefallen sein als geplant. Möglicherweise musste die Stadt auch bereits vereinnahmte Steuern zurückzahlen. Und auch die Ansätze für die Gewerbesteuer könnten zu hoch gewesen oder nicht rechtzeitig der aktuellen Lage angepasst worden sein. Je nach dem, welcher Effekt in den letzten Jahren wie stark zum Tragen kam, fehlen in der langfristigen Finanzplanung der Stadt Millionenbeträge.
Anhaltende Kurzarbeit und schlechtes Deutschlandgeschäft
Auf dem Papier sieht alles gut aus: Beim größten Arbeitgeber, dem Dentaltechnikkonzern Dentsply Sirona ist die Belegschaft in Bensheim im vergangenen Jahr im Vergleich zum Jahr davor leicht gewachsen. Doch die Zahl täuscht. Die Kurzarbeit in Teilen der Produktion vom Jahresende 2023 wurde noch bis in den Spätsommer 2024 verlängert. In den 2023er Zahlen sind noch die Anfang September eingestellten Azubis und dualen Studenten enthalten. Der Personalabbau im Jahr 2023 zeigt sich aufgrund von Vertragslaufzeiten und Fristen nur teilweise in diesen Stichtagszahlen, so eine Unternehmenssprecherin bei früherer Gelegenheit.
Dentsply Sirona macht schon seitz geraumer Zeit unter anderem das schlechte Deutschlandgeschäft zu schaffen. Leistungskürzungen der Krankenkassen und hohe Zinsen ließen Zahnärzte weniger in Röntgengeräte und weitere technische Praxisausrüstung investieren.
Aktuell ist für knapp 800 Bensheimer Mitarbeiter (von insgesamt rund 2300) Kurzarbeit bei der Arbeitsagentur angemeldet.
Die Konzernumsätze sind in den ersten drei Monaten des laufenden Geschäftsjahres aufgrund der anhaltend geringen Nachfrage nach Imaging-Geräten (Röntgen) schwächer ausgefallen als erwartet, hatte das Unternehmen im Mai in einer Mitteilung bekanntgegeben.
Zur Einordnung: Bensheim steht früheren Angaben zufolge für rund ein Drittel des Konzernumsatzes. In Europa ging der Umsatz zuletzt um fast sechs Prozent zurück, was in erster Linie auf ein geringeres Volumen bei Essential Dental Solutions (Produkte in den Sparten Endodontie, Restauration, Prävention) und Equipment (Praxisausrüstung) sowie Instrumenten zurückzuführen sei. In Deutschland, dem größten Markt des Konzerns in Europa, sehe man weiterhin anhaltende Auswirkungen einer Rezession.
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Angesichts der aktuellen Geschäftslage rechnet Konzernchef Simon Campion damit, dass der Umsatz und der Gewinn je Aktie im gesamten Geschäftsjahr eher am unteren Ende der bisherigen Prognose liegen werden. An der Börse reagierte die Aktie von Dentsply Sirona zuletzt mit Einbußen von rund sieben Prozent auf die Quartalszahlen und notierte erstmals seit Ende vergangenen Jahres wieder unter der Marke von 30 Dollar. Am 10. Juli lag der Wert einer Aktie bei rund 22 Euro. Seit Beginn des Jahres hat das Unternehmen ein Fünftel Prozent an Börsenwert verloren. Der Aktienkurs macht derzeit wenig Hoffnung auf Besserung der Geschäftslage. Und davon hängt letzten Endes auch die Höhe der möglichen Gewerbesteuerzahlungen ab.
Rückgang bei Steuerzahlungen bei der Sparkasse Bensheim 2023
Die aktuellen Zahlen hat die Sparkasse Bensheim noch nicht veröffentlich, dennoch lohnt sich bei der Suche nach den zurückgegangenen Gewerbesteuereinnahmen ein Blick in eine Mitteilung, die die Sparkasse Bensheim im Juni 2023 herausgegeben hat: Darin ist zu lesen, dass das Geschäftsjahr 2022 mit einem gegenüber dem Vorjahr nochmals deutlich verbesserten operativen Geschäftsergebnis abschließt.
Das Betriebsergebnis vor Bewertung war trotz Ukraine-Krieg, Inflation und Pandemie um 30 Prozent auf 19,2 Millionen Euro gestiegen. Damit war das Geschäftsjahr 2022 operativ das erfolgreichste der vergangenen zehn Jahre. Das kam der Region 2023 allerdings nur zum Teil zugute, da die Bewertungsänderungen im eigenen Wertpapierbestand für 2022 letztendlich die Eigentümer der Sparkasse belasteten. So ging die Steuerlast in Folge der Bewertung von 2,5 Millionen Euro auf 0,3 Millionen Euro zurück.
Um die bestehende Eigenkapitalausstattung der Sparkasse nicht zu konterkarieren, hatten sich die Trägerkommunen im Verwaltungsrat darauf verständigt, für das Jahr 2022 keine Ausschüttung vorzunehmen, auch wenn hierfür stille Reserven zur Verfügung gestanden hätten. Der Verwaltungsrat war dabei dem Aufruf von Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gefolgt, Zurückhaltung bei der Ausschüttung zu üben.
Forderungen: Nachtragshaushalt und „Frühwarnsystem“
Noch stehen seitens der Politik keine Schuldzuweisungen im Raum, welche Instanz an welcher Stelle versäumt hat, einen Blick auf die Zahlen zu haben. Bringen werden sie bei der Frage, wie die Stadt Bensheim ab sofort wirtschaften muss, ohnehin nicht viel. Und trotzdem stellt sich vielen Bürgerinnen und Bürgern die Frage, wie ein so hohes Defizit überraschend vom Himmel fallen konnte. Dass es Schwankungen bei den Gewerbesteuereinnahmen gibt, ist nicht ungewöhnlich. Ein so massiver Einbruch, der für die Stadt mit hohen Rückzahlungen verbunden ist, allerdings schon.
Einig sind sich die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung darüber, dass der Magistrat mit dem Erlass der Haushaltssperre richtig gehandelt hat. Nun geht es darum, einen Nachtragshaushalt für 2024 aufzulegen, um möglichst viele Ausgaben zu überprüfen, zu streichen, zu reduzieren oder zu verschieben. 2025 wird das neue Zahlenwerk dann deutlich schmaler ausfallen müssen.
Was ist die Gewerbesteuer und wie wird sie erhoben?
- Die Gewerbesteuer wird in Deutschland seit 1936 einheitlich erhoben. Sie rechtfertigt sich aus der Tatsache, dass der Kommune durch das Vorhandensein eines Gewerbebetriebes Lasten entstehen. Es müssen beispielsweise Zufahrtsstraßen gebaut werden, das Verkehrsaufkommen erhöht sich, Luft und Wasser werden verschmutzt, es entstehen Lärmbelästigungen und so weiter.
- Die Gewerbesteuer ist die bedeutendste Einnahmequelle der Kommune, die der Erfüllung ihrer Aufgaben entsteht. Das Steueraufkommen steht grundsätzlich der Kommune zu, Bund und Länder sind hieran jedoch beteiligt ( Gewerbesteuerumlage). Zum Ausgleich erhält die Gemeinde einen Anteil an der Einkommen-, Lohn- und Umsatzsteuer.
- Die Gewerbesteuer gehört neben der Grundsteuer zu den sogenannten Real- oder Objektsteuern. Sie berücksichtigt im Gegensatz zu den Personensteuern nicht die Leistungsfähigkeit einer Person. Bei der Gewerbesteuer werden vielmehr der Gewerbebetrieb und dessen objektive Ertragskraft besteuert.
- Das Festsetzungs- und Erhebungsverfahren ist zweistufig. Die eigentlichen Besteuerungsgrundlagen (Gewerbeertrag und Messbetrag) sowie die Steuerpflicht werden von den Finanzämtern festgestellt, während die Gemeinde die Gewerbesteuer nach Anwendung des gültigen Hebesatzes festsetzt.
- Der Gewerbesteuer unterliegt jeder Gewerbebetrieb, der in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhält. Land- und Forstwirtschaft und freie oder selbstständige Berufe zählen nicht als Gewerbebetrieb.
- Bei der Festsetzung der Gewerbesteuer ist die Gemeinde an die Feststellungen im Grundlagenbescheid des zuständigen Finanzamtes gebunden. Hierbei wird unter anderem die Höhe des Messbetrages festgestellt. Die Gewerbesteuer ergibt sich durch Multiplikation des Hebesatzes mit dem Messbetrag des Finanzamtes. Die Gewerbesteuer wird mit einem separaten Bescheid festgesetzt.
- Der Hebesatz wird von der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bensheim einheitlich festgelegt und beträgt in Bensheim 390 v.H. (seit Januar 2022). Diese Angaben stammen von der Webseite der Stadt Bensheim. ame
An der Höhe der Grundsteuer B soll sich, erklärten die Fraktionen in ihren Stellungnahmen (wir haben berichtet) nichts ändern, wo genau gespart werden soll, werden die weiteren Beratungen zeigen. Als ein möglicher Posten steht die Vertagung des Realisierungswettbewerbs zur Marktplatz-Neugestaltung zur Debatte.
Vonseiten der BfB hieß es: „Wir erwarten, dass in Zukunft das Team Steuerungsunterstützung die Mitteilungen der wenigen großen Firmen in Bensheim, die am Aktienmarkt gelistet sind, verfolgt, damit Gewerbesteuerausfälle in dieser Größenordnung nicht aus heiterem Himmel kommen. Hier muss ein Frühwarnsystem aufgebaut werden. Das gleiche gilt für den direkten Kontakt der Stadtverwaltung mit den größeren Gewerbesteuerzahlern.“
Hätten Vorauszahlungen gemindert werden können?
Bis die Frage, ob sich der Einbruch bei den Gewerbesteuereinnahmen hätte verhindern oder abmildern lassen können, geklärt werden kann, wird es noch dauern. Auf der Webseite der Stadt Bensheim findet sich unter dem Punkt „Gewerbesteuer“ aber ein Passus, der vor diesem Hintergrund interessant ist:
„Die Stadt Bensheim kann die Vorauszahlungen anpassen, wenn sich die wirtschaftlichen Daten ändern. Ein begründeter Antrag kann hierzu bei der Stadt Bensheim gestellt werden. Das zuständige Finanzamt kann alternativ einen Steuermessbetrag festsetzen, der dem erwarteten Ergebnis des Erhebungszeitraumes entspricht. An diese Festsetzung ist die Gemeinde gebunden“, ist dort zu lesen.
Für die voraussichtliche Gewerbesteuer sind grundsätzlich zum 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November des laufenden Kalenderjahres Vorauszahlungen zu entrichten. Jede Vorauszahlung beträgt üblicherweise ein Viertel der Gewerbesteuer, die sich bei der letzten Veranlagung ergeben hat.
Stellt sich nun die Frage, soweit sie wegen des Steuergeheimnisses beantwortet werden kann, ob es Firmen gibt, die wegen schlechterer Zahlen Gebrauch von diesem Mittel gemacht haben. Auf Anfrage der BA-Redaktion teilt die Pressestelle der Stadt folgendes mit: „Bei der Festsetzung der Gewerbesteuer handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren. Grundlage für die Festsetzung der Stadt Bensheim ist der vom Finanzamt Bensheim festgesetzte Gewerbesteuermessbetrag in einem Gewerbesteuermessbescheid (Grundlagenbescheid). Bei unseren Gewerbesteuerbescheiden handelt es sich um Folgebescheide. An die Festsetzungen des Finanzamtes sind wir gebunden.
Eigenständige Anpassungen der Vorauszahlungen sind zwar rechtlich möglich, werden jedoch in der Regel nicht getätigt. Bei Anträgen auf Anpassung der Vorauszahlungen verweisen wir an das jeweils zuständige Finanzamt. Dies ist auch aus Firmensicht zweckmäßig, da meist nicht nur die Gewerbesteuer, sondern auch weitere vom Finanzamt zu erhebende Steuern, anzupassen sind (zum Beispiel Umsatzsteuer, Körperschaftssteuer, Einkommenssteuer). Die Gewerbesteuerabgänge basieren auf Gewerbesteuermessbeträgen, die vom Finanzamt festgesetzt wurden. Anträge von Firmen liegen uns nicht vor. Aufgrund des Steuergeheimnisses sind Auskünfte zu einzelnen Unternehmen nicht möglich“, heißt es aus dem Rathaus.
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