Nachtragshaushalt 2024

Grundsteuererhöhung in 2025 ist in Bensheim unausweichlich

Die Nachricht über die prekäre Finanzsituation ist im Stadtgebiet durchgedrungen. Die Tragweite, die das Millionendefizit, das Klein am Donnerstag auf 43,2 Millionen Euro bezifferte, für Bensheim hat, wird sich zeigen.

Von 
Anna Meister
Lesedauer: 
Bei der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstagabend brachte Bensheims Bürgermeisterin Christine Klein den Nachtragshaushalt für 2024 und das Haushaltssicherungskonzept ein. © Thomas Zelinger

Bensheim. Volle Zuschauerreihen sind ein eher seltenes Bild bei der Stadtverordnetenversammlung – mit Blick auf die Tagesordnung war dieser Umstand aber nicht überraschend. Am Donnerstagabend brachte Bensheims Bürgermeisterin und Finanzdezernentin Christine Klein den lang ersehnten Nachtragshaushalt für das Jahr 2024 ein, ebenso wie das Haushaltssicherungskonzept. Auch die heiß diskutierte Frage nach der Erhöhung der Grundsteuer B ab 2025 war Thema. „Daran wird kein Weg vorbeigehen, wenn wir den Haushaltsausgleich schaffen wollen“, so Klein.

Die Nachricht über die prekäre Finanzsituation ist mittlerweile im ganzen Stadtgebiet durchgedrungen. Die Tragweite, die das Millionendefizit, das Klein am Donnerstag auf nunmehr 43,2 Millionen Euro bezifferte, für Bensheim hat, wird sich in ihrem vollen Ausmaß in den kommenden Jahren zeigen.

„Unser Ziel sollte lauten: Die Finanzen sanieren, unsere Werte erhalten. Denn die Finanzkrise betrifft Bürgerinnen und Bürger, den Handel, das Gewerbe – also alle Menschen, die hier leben und die Angebote in unserer Stadt nutzen und schätzen.“ Dazu gehören Kultur und Sport, die umfangreiche Versorgung in den Kitas, das Freizeitangebot mit Schwimmbad, Badesee, Sportstätten ebenso wie die Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt und die großen und kleinen Feste, die den Tourismus ankurbeln.

Das alles seien Faktoren, die Bensheim ausmachen. „Aber malen wir uns die Situation nicht zu schön: In einer Lage wie dieser müssen alle Angebote auf den Prüfstand, das kann schmerzhafte Einschnitte bedeuten. Aber: Was wir heute zerstören, wird uns morgen fehlen – und dafür müssen wir uns erklären“, mahnte Klein an.

Prognosen sahen 2024 Einnahmen von 54 Millionen Euro vor

Gestartet war man ins Haushaltsjahr 2024 mit einem prognostizierten Defizit in Höhe von 12,5 Millionen Euro im Ergebnishaushalt. Die Prognosen sahen Gewerbesteuereinnahmen von 54 Millionen vor. Doch es kam ganz anders: Mitte des Jahres musste die Stadt Gewerbesteuerrückzahlungen für die Jahre 2022 und 2023 in Höhe von 30,7 Millionen leisten, so dass nun ein Defizit von 43,2 Millionen Euro zustande kommt.

„Gleichzeitig müssen wir davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren die Gewerbesteuern massiv zurückgehen werden, um jährlich mindestens 20 Millionen Euro.“ Das eine ist also das Loch, das der Gewerbesteuereinbruch bereits gerissen hat, das andere die künftigen Mindereinnahmen, die der Stadt einen noch strengeren Sparzwang und zwingende Einnahmeerhöhungen auferlegen.

Bisher konnte die Stadt 8,6 Millionen Euro einsparen

Im Nachtragshaushalt 2024 sind an Ausgaben 131,88 Millionen Euro veranschlagt. Allein auf Pflichtleistungen entfallen geschätzte 111,75 Millionen Euro. Die geschätzten Ausgaben für freiwillige Leistungen liegen bei 20,12 Millionen. Im Rahmen der Haushaltssperre, die seit Mitte des Jahres gilt, konnten im Nachtragshaushalt für das Haushaltsjahr 2024 im Verhältnis zur originären Haushaltsplanung 2024 Aufwendungen in Höhe von rund. 8,6 Millionen Euro gestrichen werden.

Bei Personalaufwendungen hat die Verwaltung den Puffer, mit dem Schwankungen beim Personalbestand abgefedert werden, um eine Million Euro reduziert. „Um die Relationen zu verdeutlichen: Umgerechnet auf Hebesatzpunkte der Grundsteuer B entspricht diese eine Million Euro rund 48,87 Hebesatzpunkten“, so Bürgermeisterin Christine Klein bei der Vorstellung des Zahlenwerks. An folgenden weiteren Stellen konnte die Stadt seit Inkrafttreten der Haushaltssperre sparen:

Rund 1,035 Millionen aus 14 Positionen der Sach- und Dienstleistungsaufwendungen. Dazu gehören unter anderem Kürzungen bei Wartungsarbeiten im IT-Bereich, Fremddienstleistungen oder der Instandhaltung von Gebäude- und Außenanlagen.

Kürzung der Zuschüsse an beide Eigenbetriebe: Bei der Stadtkultur in Höhe von 210 000 Euro, bei der Kinderbetreuung um rund 700 000 Euro. Mit der Kürzung dieser Aufwendungen steigt das Risiko in den beiden Eigenbetrieben, dass der veranschlagte Verlustausgleich nicht ausreicht und gegebenenfalls ein überplanmäßiger Aufwand entsteht, der von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen werden müsste.

5,65 Millionen Euro der Einsparungen ergeben sich aus der Herabsetzung der Gewerbesteuerumlage und Heimatumlage. Die Gewerbesteuerumlage ist der von den Gemeinden an Bund und Land abzuführende Teil des Gewerbesteueraufkommens, zur Umsetzung und Finanzierung der „Starken Heimat Hessen“ wird von den Städten und Gemeinden vom Gewerbesteueraufkommen zudem die sogenannte Heimatumlage einbehalten.

„Sie merken: Wir machen uns Gedanken, wir diskutieren, analysieren Abläufe, hinterfragen Prozesse. Fakt ist aber auch: Dafür benötigt es Zeit“, so Klein. Bis spätestens zum Haushaltsjahr 2027 muss die Stadt einen Haushaltsausgleich darstellen können. „Um die Genehmigung des Nachtragshaushaltes für das Haushaltsjahr 2024 zu erhalten, hat der Magistrat eine Erhöhung des Hebesatzes der Grundsteuer B auf 1450 Prozent errechnet“, begründete sie diesen Vorschlag. ame

Schon Anfang 2024 war die Ausgangslage alles andere als rosig: Die Folgen von Kriegen und Krisen schlagen bis auf die kommunale Ebene durch. Die Corona-Pandemie wirkt wirtschaftlich noch immer nach, Absatzmärkte sind ein- oder sogar weggebrochen. Jeder spürt die exorbitanten Preissteigerungen in allen Bereichen täglich, ganz nebenbei schreitet der Klimawandel munter voran, ebenso wie der Rechtsruck im eigenen Land und darüber hinaus.

„Der massive Gewerbesteuereinbruch verschlechtert die Finanzlage in Bensheim aber ganz besonders. Großunternehmen – ob national oder international tätig – sind heute schneller bereit, ihre Firmensitze und Produktionsstätten zu verlagern. Absatzmärkte ändern und verschieben sich. Kurzarbeit kann eine Konsequenz sein, die wegbrechende Gewerbesteuer eine andere.“

Kommunalpolitisches Taktieren hilft nicht weiter

Die veränderte Energie-, Wirtschafts- und Sicherheitslage präge mittlerweile den Alltag und verunsichere große Teile der Bevölkerung spürbar. Gerade jetzt gelte es, Stabilität zu schaffen und die Herausforderungen in Bensheim gemeinsam anzugehen. Was Klein zufolge dabei nicht hilft: kommunalpolitisches Taktieren.

Keine Frage, der Unterhaltungswert der Gremiensitzungen würde um ein Vielfaches gemindert – etwa, wenn es den Stadtverordneten tatsächlich gelingen sollte, nicht monatelang über Dinge wie einen Windelcontainer oder Hundekotbeutel zu streiten. Letztlich kann die Sanierung des Haushaltes nur gelingen, wenn sich die Fraktionen nicht länger anhand einzelner Maßnahmen zu profilieren versuchen. „Es ist Zeit für gemeinsames konstruktives Handeln zum Wohle unserer Stadt“, sagte die Bürgermeisterin.

Dass dazu auch Diskussionen gehörten, sei richtig und wichtig, sowohl auf politischer Ebene als auch mit den Bürgerinnen und Bürgern. An dieser Stelle erlaubte sie sich eine persönliche Bemerkung: „Sicherlich können Anregungen und Ideen in Leserbriefen oder Internetforen geäußert werden. Das gehört zu unserem Grundverständnis von Demokratie und Meinungsbildung. Aber Verunglimpfungen, Beleidigungen, Pauschalurteile über Personen und die Verwaltung helfen uns in keiner Weise. Sie dienen als Ventil für Frust und Ärger.“

Produktiv sei das Einbringen eigener Ideen direkt dort, wo sie Wirkung zeigen. Hierzu lud die Bürgermeisterin die Stadtgesellschaft ein.

Die Stadtverwaltung muss in dieser prekären Finanzlage eine grundlegende Bestandsaufnahme durchführen, um ihre Effizienz und Effektivität zu steigern. Diese läuft bereits, seitdem im Sommer die Haushaltssperre verhängt wurde. Gezeigt habe die Maßnahme, dass ein Ausgabenstopp aufgrund der vielen Pflichtaufgaben und Vertragsbindungen nur eingeschränkt Wirkung erzeugen kann.

Haushaltssicherungskonzept ist richtungsweisend für die Zukunft

Heißt im Klartext: Selbst wenn alle freiwilligen Leistungen der Stadt eingestampft würden, so käme man nur auf einen Bruchteil der benötigten Summe, um den Haushalt zu sanieren. Die Nachwirkungen wären indes umso heftiger. Würde etwa der Kulturbetrieb vollständig eingestellt, wäre er in seiner Vielfalt unwiederbringlich verloren (wir haben berichtet). Noch dazu spülen Besucherinnen und Besucher kultureller Veranstaltungen Geld in die innerstädtischen Läden – und folglich über die Gewerbesteuer in die Stadtkasse.

Aufgrund der prekären und sehr außergewöhnlichen Situation ist die Stadt gezwungen, einen Nachtragshaushalt aufzustellen. Es ist derzeit abzusehen, dass im Gegensatz zu früher mit einem negativen Ergebnis abgeschlossen wird. „Diese Verluste werden unsere Rücklagen voraussichtlich vollständig aufzehren.“ Damit könne der Haushaltsausgleich auch mit einem Nachtragshaushalt für das Haushaltsjahr 2024 nicht mehr erreicht werden.

Das ist der Grund, weshalb die Verwaltung ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) erstellen muss. Dieses ist richtungsweisend für den Nachtragshaushalt 2024 und Basis für die Aufstellung des Haushalts 2025 (Bericht folgt).

Volle Zuschauerplätze im Bürgerhaus: Neben dem Nachtragshaushalt ging es auch um die viel diskutierte geplante Erhöhung der Grundsteuer B. © Thomas Zelinger

Der Nachtragshaushalt 2024 bezieht sich auf den Gewerbesteuereinbruch mit seinen Auswirkungen, wie Berechnung der Gewerbesteuer-, Kreis- und Schulumlage, die Abplanung von Aufwendungen und Investitionen und die Ermächtigung eines Liquiditätskredits. Der Höchstbetrag der Liquiditätskredite, die zur rechtzeitigen Leistung von Auszahlungen in Anspruch genommen werden dürfen, wird gegenüber dem bisherigen Höchstbetrag von null auf 20 Millionen Euro erhöht.

Die Konsolidierung der Haushalte findet ab dem Haushaltsjahr 2025 im Rahmen des zu beschließenden Haushaltssicherungskonzepts und den darin identifizierten Konsolidierungsoptionen statt. Bis der Haushalt beschlossen und genehmigt ist, bedeutet das eine vorläufige Haushaltsführung für Bensheim mit nur absolut notwendigen Ausgaben.

Sprich: Erfüllung von Pflichtaufgaben. „Die Belastungsgrenze der Kommunen ist dabei weit überschritten“, kritisierte Klein. Die kommunalen Haushalte seien unterfinanziert. „Dass wir neue Aufgaben, die vom Bund oder Land beschlossen werden, erfüllen müssen und dafür kein Ausgleich erfolgt, ist nicht mehr hinnehmbar. Ich spreche beispielsweise von Anforderungen bei der Digitalisierung, Standards bei der Kinderbetreuung oder dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung.“

„Kommunale Selbstverwaltung wird ausgehöhlt“

Wie die kommunale Selbstverwaltung Klein zufolge immer weiter ausgehöhlt wird, verdeutlichte sie mit folgendem Beispiel: Ein Kitaplatz in der Kita Kappesgärten koste die Stadt 1371 Euro im Monat. Nach Abzug der Landesförderung und der Gebührenzahlungen der Eltern verbleibe ein monatlicher Zuschussbetrag der Stadt Bensheim in Höhe von 917 Euro pro Platz und Monat.

Der Besuch der Kita ist vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt sechs Stunden pro Tag durch das Land Hessen gebührenfrei gestellt worden. Das Land erstattet hierfür lediglich 149 Euro, im kommenden Jahr 152 Euro pro Platz und Monat. „Nach Abzug der Erstattung durch das Land Hessen verbleibt uns ein Fehlbetrag bei den nicht erstatteten Gebühren von 88 Euro pro Platz und Monat. Bei 1602 Plätzen, die belegt werden können, sind das Mindereinnahmen bei den Gebühren von 1,7 Millionen Euro pro Jahr.“

Schon allein aus frauen- und familienpolitischen Gründen und innerer Überzeugung stehe Klein für eine flächendeckende Kinderbetreuung, die Stadt investiere sehr gerne in die Kitas. „Aber die klaffende finanzielle Lücke wird allein aus dem städtischen Haushalt gestopft.“

Mehr zum Thema

Bensheim

Bisher konnte die Stadt 8,6 Millionen Euro einsparen

Veröffentlicht
Von
ame
Mehr erfahren
Finanzausschuss

Entscheidung über Erhöhung der Grundsteuer B in Bensheim vertagt

Veröffentlicht
Von
Anna Meister
Mehr erfahren
Stadtverordnetenversammlung

Am Donnerstag kommt der Nachtragshaushalt für 2024

Veröffentlicht
Von
Anna Meister
Mehr erfahren

„Die Finanzlage und die gesetzlichen Bestimmungen zwingen uns, die Realsteuern anzupassen.“ Ganz bewusst habe man sich dazu entschieden, den Gewerbesteuerhebesatz nicht anzugreifen. Denn man wolle in keinem Fall damit einhergehende Abwanderungsrisiken von Unternehmen eingehen.

Um die Genehmigung des Nachtragshaushaltes für das Haushaltsjahr 2024 zu erhalten, hat der Magistrat eine Erhöhung des Hebesatzes der Grundsteuer B auf 1450 Prozent errechnet. Niemandem sei diese Entscheidung leicht gefallen.

Erhöhung der Grundsteuern A und C hätte kaum Effekte

An einer Erhöhung der Grundsteuer B führt aus Sicht der Verwaltung kein Weg vorbei. Dies war auch eine der Aussagen der Kommunalberatung. „Diese Steuer ist die risikoärmere und gerechtere Steuer unter den Realsteuern. Sowohl Grundstückbesitzer, Vermieterinnen und Mieter als auch Gewerbetreibende müssen die Grundsteuer B bezahlen.“ Das werden jene, die die Erhöhung besonders hart trifft – entweder weil sie wegen der ab 2025 geltenden neuen Berechnungsgrundlage ohnehin deutlich mehr zahlen müssen, oder weil sie sich bereits jetzt Sorgen machen, ihre Miete nicht mehr zahlen zu können – gewiss anders sehen.

Sozialverträglich ist die geplante Erhöhung nicht darstellbar. Geschuldet ist dies auch der Vorgabe des Landes, dass der Haushaltsausgleich innerhalb von fünf Jahren geschafft werden soll. Die Stadt hatte in einem ersten Vorschlag zehn Jahre anvisiert, was jedoch abgelehnt wurde.

Auch die Anpassung der Grundsteuer A sowie eine Einführung der Grundsteuer C wurden geprüft, brächten allerdings kaum Erfolg. Immerhin: Der Magistrat plant, eine Nachhaltigkeitssatzung zu erarbeiten. Sie soll eine Reduzierung des Hebesatzes gewährleisten, sobald sich die Situation gebessert hat.

„Die Einsparungen machen es erforderlich, zwischen dem Notwendigen und Machbaren auf der einen und dem Wünschenswerten auf der anderen Seite abzuwägen. Diesen Prozess wollen wir gemeinsam mit gestalten“, so Klein. Abschließend dankte sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung für die gute Zusammenarbeit bei der Erstellung des Nachtragshaushaltes 2024 und des HSK.

Redaktion

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

VG WORT Zählmarke
  • Winzerfest Bensheim