Museum

Expressive Motive im Großformat im Bensheimer Museum

Von 
Thomas Tritsch
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Der Künstler Andrej Dúbravsk während der Vorbereitungen zur neuen Ausstellung im Bensheimer Museum. © Neu

Bensheim. „Während meiner Kindheit wollte ich eigentlich Naturwissenschaftler werden. Aber ich war zu temperamentvoll, um still zu sitzen und zu lernen“, sagt Andrej Dúbravsk beim finalen Arrangieren seiner Werke im Museum der Stadt Bensheim. Also hat er seine Liebe zur Natur auf eine andere, kreative und energiegeladene Weise zum Ausdruck gebracht.

Der slowakische Künstler ist inzwischen weltweit bekannt für seine expressiven Motive im Großformat, die von der unmittelbaren Umgebung beeinflusst sind, die er sich selbst schafft: Tiere und Pflanzen sind gleichermaßen Inspiration wie auch komplettierendes Element einer privaten wie künstlerischen Persönlichkeit, die permanent unterwegs zu sein scheint. Physisch wie intellektuell.

New York, Bratislava, Berlin

Künstler leider erkrankt Ursprünglich war am Freitag um 19 Uhr ...

Künstler leider erkrankt Ursprünglich war am Freitag um 19 Uhr eine Vernissage mit dem Künst ler im Museum geplant. Da Andrej Dúbravsk. leider erkrankt ist, muss die Veranstaltung jedoch abgesagt werden - im Juni soll es nach aktu

Im Frühjahr und Herbst hält er sich für gewöhnlich in Brooklyn, New York, auf. Aber auch in Bratislava und Berlin taucht er regelmäßig auf. Sein Atelier hat er auf einem Biobauernhof im Südwesten seines Heimatlands. Die ländliche Perspektive auf die Welt prägt seinen Blick: auf idyllische Landschaften und düstere Fabriksilhouetten, auf den menschlichen Körper und die facettenreichen Spielarten der Natur, die ihn schon früh fasziniert haben.

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In seinem Werk setzt er sich mit zentralen Fragen unserer Zeit auseinander: mit einer radikal die Natur ausbeutenden und vergiftenden Landwirtschaft, einer destruktiven Industrie und der daraus resultierenden schwindenden Artenvielfalt. Aber auch die natürliche Schönheit von Mensch und Tier und die Frage nach Identität und Sexualität sind ein wiederkehrendes Sujet.

Die Ausstellung „The last Party for Diversity“, die am Freitag (8.) eröffnet wird, ist eine repräsentative Auswahl seiner Arbeiten, in denen Andrej Dúbravsk die Auseinandersetzung mit der Umwelt in raumgreifende Bilder übersetzt, die die Aufmerksamkeit des Betrachters ebenso aufsaugen wie die Leinwand die Farbe, die der Künstler in einem schnellen Malprozess aufträgt, so dass Konturen verschwimmen und selbst dem bedrohlichsten Motiv eine subtile lyrische Ästhetik verleihen – teils sehr ernst und mit großer Sorgfalt, teils mit distanzierter Ironie und sarkastischem Humor.

Vor zehn Jahren galt Dúbravsk (Jahrgang 1987) in seiner Heimat als vielversprechender Newcomer. Damals hatte er kaum sein Studium an der Kunstakademie in Bratislava beendet. Schon früh offenbarte seine Malerei ein hohes Maß an Freiheit und Unbekümmertheit. Seine Kunst war und ist ein konsequenter und ungefilterter Ausdruck innerer Empfindungen und biografischer Entwicklungen – oftmals geprägt von hedonistischen und narzisstischen Zügen, die aber niemals in starrem Egoismus enden, sondern immer auch als analytisches Instrument zur Wahrnehmung des Selbst inmitten einer prägenden Umwelt dienen. „Ich möchte die Welt so zeigen, wie ich sie wahrnehme, aber nicht so, wie ich mir sie erträumen würde“, sagt er bei der Vorbereitung der Werkschau in Bensheim. Der Künstler möchte Denkprozesse auslösen. Moralisierende Öko-Pädagogik oder verlogene Weltretter-Posen sind ihm ein Graus.

Mit Museumsleiter Christoph Breitwieser ist der Maler seit einigen Jahren bekannt. Über persönliche Kontakte und die Berliner Galerie, die ihn in Deutschland betreut, kam schließlich die Einladung nach Bensheim zustande. Bis zum 5. Juni sind seine Gemälde zu sehen, die als Teil von Installationen spezifisch auf die Ausstellung in Bensheim zugeschnitten sind, wie die Veranstalter ankündigen. Die Motive werden von bemalten Leinwänden umrahmt, die den Hintergrund an der Wand bilden wie auch über den gesamten Boden verteilt sind. Im Museumshof hat der Künstler ein Insektenhotel aus heimischen Hölzern installiert.

Ob natürliche Vielfalt, kulturelle Heterogenität oder sexuelle Identität: Biodiversität in allen Schattierungen bildet den roten Faden bei Andrej Dúbravsks Bensheimer Gastspiel. Die Perspektive ist sensibel und zart, aber auch direkt und unverfälscht. Seine buntfarbigen und überdimensionierten Raupen- und Insektengemälde inszeniert er unter dem Eindruck des fortschreitenden Klimawandels und der zunehmenden Bedrohung von balancierter Biodiversität durch wirtschaftliche Interessen und ökologische Zerstörung.

Forciert wurde diese grüne Tendenz durch einen Umzug aufs Land im Jahr 2015. Dabei wollte Dúbravsk eigentlich nur ein idyllisches Refugium abseits der großen Städte beziehen. In der Region, in der seine Großmutter lebte, fand er ein neues künstlerisches Zuhause. „Ich hatte nicht geplant, fortan auch Hühner, Bienen und Käfer zu malen.“ Doch die Umgebung beeinflusste nicht nur seinen Alltag, sondern auch den künstlerischen Output. Zuvor führte ihn der Weg über die alten Meister der Kunstgeschichte, vor allem des Barock, darunter Watteau oder Fragonard. Nach einer Phase der Monochromie entschied sich Dúbravsk ganz bewusst wieder dafür, mit Farben zu arbeiten. Ein rationaler Impuls, wie er betont. Das Malen in schwarz-weiß sei auf Dauer zu komfortabel geworden.

Weil er es für „lächerlich“ hält, über die Kunst tiefgreifende Botschaften zu vermitteln, hat der 34-Jährige 2020 ein monatliches Magazin gestartet („Andrej“), in dem er wie in einem Tagebuch jene Ideen, Vorstellungen und Gedanken ordnen und transportieren kann, die nicht über eine Leinwand zu vermitteln sind. Auch in der Publikation spielt er mit Geschlechter-Rollen und sexueller Freiheit, was – in seinem Herkunftsland – durchaus als politischer Akt verstanden werde, wie er betont. Motive mit nackten Männern sorgten im katholischen Umfeld noch immer für Wallungen.

Auch in der Serie „Runner’s High“ greift er die gesellschaftspolitische Diskussion über Genderrollen auf: junge Männer laufen in Gruppen. Ein dynamisches Porträt physischer Schönheit, aber auch eine Metapher für die Menschheit, die immer schneller, erfolgreicher und sexuell aktiver sein will, um den existenziellen Schmerz auszublenden – wie beim rausch-ähnlichen Zustand, den viele Läufer während ihres Trainings erreichen. Die Pandemie habe gezeigt, so der Maler, wie verletzlich die menschliche Seele sein kann, wenn sie zu Isolation und Langsamkeit gezwungen wird.

Doch im Grunde ist auch die Darstellung gefräßiger Raupen – als Synonym des in jeder Hinsicht unersättlichen Konsummonsters Mensch – eine gesellschaftspolitische Aussage: die Kreatur im Moment vor der Transformation in eine neue Lebensform, währen das Ökosystem als Ganzes gerade vor die Hunde geht. Auch die Kaulquappe kommt als Motiv häufiger vor. Die Kreisläufe des Seins und die Prozesshaftigkeit allen Lebens faszinieren den Künstler seit frühester Kindheit.

An die Veränderung der Welt durch die Kunst glaubt Dúbravsk nicht. „Ich denke nicht, dass diejenigen, die wirklich etwas bewegen können, sich um die Kunst scheren!“ Aber er ist sicher, dass Kunst und Literatur das Individuum auf eine höhere Ebene begleiten können. Wenn er selbst einen Teil dazu beitragen könne, dann sei dies ein überaus befriedigender Gedanke. Er möchte kein Missionar sein. Sein Anspruch sei es, prächtige und wunderbare Bilder zu malen.

Um Dúbravsks Oeuvre ganzheitlich erfassen zu können, erscheint zur Bensheimer Ausstellung ein Katalog, der ebenso wie die gesamte Werkschau von der Hessischen Kulturstiftung unterstützt wird.

Freier Autor

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