Bensheim. Eine Woche nach der Kundgebung des politischen Nachwuchses haben sich am Samstag auch die Stadt- und Ortsverbände von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen geschlossen gegen Putins Krieg gegen die Ukraine positioniert. Zu der überparteilichen Veranstaltung auf dem Marktplatz, die auf die Demo der Jugend aufbauen sollte, kamen am Nachmittag zwischen 250 und 300 Menschen, um für Frieden und Freiheit in Osteuropa zu demonstrieren und ihre Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung zu bekunden.
Es brauche jetzt eine starke Reaktion gegen den Krieg, auch in Bensheim, so Carmelo Torre aus dem CDU-Vorstand im Namen aller Beteiligten. Die Resonanz auf dem Marktplatz wurde von den Veranstaltern als sehr erfreulich kommentiert. Es gäbe keinerlei Rechtfertigung für die Aggression aus Russland. Die ukrainische Bevölkerung werde ohne Schuld zum Opfer der Moskauer Großmachtfantasien.
Eine genaue Einschätzung zur Lage hatte der Europaabgeordnete Michael Gahler (CDU) mit nach Bensheim gebracht. Gahler ist Außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und in dessen Auftrag als ständiger Berichterstatter der Ukraine unterwegs.
Zum Abschluss wurde die ukrainische Nationalhymne gespielt
Deutschland habe eine besondere historische Verantwortung gegenüber den Menschen in der Ukraine, sagte Michael Gahler (EVP) bei der Kundgebung in Bensheim. Das Land war einer der Hauptkriegsschauplätze des Zweiten Weltkriegs mit acht Millionen Opfern und verwüsteten Landstrichen. Die Ukraine verlor im deutschen Vernichtungskrieg rund ein Viertel ihrer Bevölkerung.
Am Donnerstag, 24. Februar 2022, habe mit einem erneuten Krieg auf europäischem Boden ein neues historisches Kapitel begonnen, so Moritz Promny (FDP). „Europa darf nicht in Trümmern fallen.“ Friede und Freiheit seien lediglich eine Idee, solange sie nicht verteidigt würden. Auch er rechtfertigte weitere Waffenlieferungen in die Ukraine.
„Die russische Bevölkerung ist nicht der Aggressor“, so Doris Sterzelmaier von Bündnis 90/Die Grünen. Man müsse die Menschen über eine objektive Presseberichterstattung darüber informieren, was in der Ukraine wirklich passiert. „Der Mut jener, die gegen den Krieg protestieren, verdient unseren Respekt.“
Zwischen den einzelnen Redebeiträgen wurde Musik gespielt. Unter anderem „Imagine“ von John Lennon und die Europahymne.
Am Ende der Kundgebung erklang die ukrainische Nationalhymne. Darin heißt es unter anderem sinngemäß: „Verschwinden werden unsere Feinde wie Tau in der Sonne, und auch wir, Brüder, werden Herren im eigenen Land sein.“
Bei seinem letzten Besuch vor einem Monat sei er unter anderen auch in der Hauptstadt Kiew, in der Hafenstadt Mariupol und in Saporischschja gewesen, wo das größte Atomkraftwerk Europas steht, das ebenfalls unter russischem Beschuss steht.
Michael Gahler (CDU): Sanktionen sind steigerungsfähig
„Es geht um Frieden und Freiheit“, betonte Gahler in Bensheim, wo er Putin als paranoiden Despoten bezeichnete und – ohne diesen namentlich zu nennen – mit Hitler verglich. Indem er die Existenz der Ukraine als autarken Staat infrage stelle, beziehe er sich auf einer der Kernbotschaften von „Mein Kampf“, die besagt, dass die Nation nicht geteilt werden könne. Putin beziehe das praktisch wortgleich auf die Ukraine, der er jede Identität und Selbstbestimmung abspreche, so Gahler weiter.
Die Sanktionen der EU hält er für richtig und noch steigerungsfähig. Es gehe nun darum, den Finanzfluss nach Russland zu kappen, denn auch Deutschlands Stromrechnungen finanzieren den Ukraine-Krieg. Aktuell zahlt die Bundesrepublik rund 200 Millionen Euro an Russland für Erdgas. Man sei innerhalb der EU aber stark genug, um einen Importstopp für Kohle, Öl und Gas aus dem Kriegsland verkraften zu können.
Wenn Putin den Gashahn abdreht, wäre das kurzfristig kein Problem, da der Winter vorbei ist und das Land noch über Reserven verfüge, so der Europapolitiker, der in den nächsten Monaten eine massive Flüchtlingswelle erwartet. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR meldete bislang mehr als 1,2 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine.
Putin störe nicht die NATO, sondern die Art und Weise, wie der Westen in Frieden und Freiheit lebe und dass sich die Ukraine im Kontext einer inneren Modernisierung genau in diese Richtung bewege, so Michale Gahler. Die Perspektive auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union müsse jedem Land in Europa offen stehen.
Der Landtagsabgeordnete und Generalsekretär der FDP Hessen, Moritz Promny, sprach in Bensheim von freiheitsliebenden Ukrainern, die sich dem Aggressor mutig entgegenstellten. „Deshalb haben sie unsere Solidarität.“ Putin dulde keine Demokratie vor seiner Haustür, die Invasion in der Ukraine sei ein Angriff auf alle freien westlichen Nationen.
„Es geht um Recht gegen Unrecht, um Freiheit gegen Unterdrückung.“ Promny verwies auch auf die Zivilbevölkerung in Russland, wo der Krieg gegen die Ukraine nicht nur Zustimmung erfahre. „Während aber unsere Kundgebung hier von der Polizei beschützt wird, werden Demonstranten dort verhaftet“, so der Liberale, der von einem lange andauernden Konflikt ausgeht, bei dem auch Deutschland Zugeständnisse machen müsse: „Wir werden einen langen Atem brauchen, aber den werden wir haben!“
Für eine schnelle Energiewende
Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Doris Sterzelmaier ging in ihrem Beitrag näher auf die Rohstoff-Problematik ein. Es sei der falsche Weg, angesichts eines Boykotts gegenüber Russland nun über den Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke zu diskutieren.
Weil das Uran für die Reaktoren aus Drittländern importiert werden müsse, sei Deutschland weiterhin auf ausländische Ressourcen angewiesen. Sterzelmaier plädierte für eine schnelle und konsequente Energiewende, um durch regenerative Energien eine klimafreundliche, unabhängige und sichere Versorgung gewährleisten zu können. Die Fraktionsvorsitzende forderte einen sofortigen Stopp des Krieges und die Aufnahme von Friedensgesprächen auf allen Ebenen: „Die Waffen müssen schweigen!“
Julia Hamm (SPD) sprach von einer neuen Ordnung in Europa. Die stellvertretende Vorsitzende des Bensheimer Ortsvereins sieht ein Russland mit faschistischen Zügen, dessen Präsident „keine zwei Flugstunden entfernt“ ein menschenverachtendes Verbrechen begeht. Dem Aggressor im Kreml müsse jetzt mit aller Härte entgegengetreten werden.
Auf die Person Gerhard Schröder ging sie in ihrer Rede nicht ein. Der Altkanzler der SPD steht wegen seiner Russland-Nähe im Ukraine-Konflikt immer heftiger in der Kritik. Auch in den eigenen Reihen.
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