Woche junger Schauspieler

"Einsame Menschen": Hauptmann-Klassiker in modernem Gewand

Mit der Inszenierung „Einsame Menschen“ des Stadttheaters Gießen ging am Donnerstag das Theaterfestival zu Ende.

Von 
Eva Bambach
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Zum Abschluss der Woche junger Schauspieler zeigte das Stadttheater Gießen „Einsame Menschen“ nach Gerhart Hauptmann. © Thomas Zelinger

Bensheim. Auch das fünfte und letzte Stück der diesjährigen Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler hielt das hohe Niveau der ausgewählten Stücke. Mit „Einsame Menschen“ der Berliner Autorin Felicia Zeller nach der Vorlage von Gerhart Hauptmann stand außerdem erneut ein Stück auf dem Programm, das viel mit der gesellschaftlichen Gegenwart zu tun hat. Für das Stadttheater Gießen hatte die Regisseurin Anaїs Durand-Mauptit mit den fünf Schauspielerinnen und Schauspielern eine rund anderthalbstündige Inszenierung erarbeitet, die einerseits die tragischen, anderseits aber auch die komödiantischen, geradezu albernen Aspekte der Figuren zum Tragen bringt.

Während es bei Gerhart Hauptmann vor allem um die Probleme eines larmoyant zwischen zwei Frauen stehenden Mannes geht, der am Leben scheitert, gibt Felicia Zeller den anderen Figuren mehr Gewicht, mit jeweils eigenen Vorstellungen und Interessen, die nicht nur in Bezug zu den anderen Charakteren, sondern auch in sich selbst Widersprüche aufweisen.

Die tatkräftige Architektin Marie (Carolin Weber) und der seit Jahren an einer absurden, vermutlich völlig inhaltlosen Dissertation arbeitende Gerhart (Levent Kelleli) sind aufs Land gezogen, wo Marie als reiche Erbin ihr Geld in einer Immobilie angelegt hat, das sie zu einem internationalen Coworking- und Cogardening-Space ausbaut. Während Marie unter lautem Schreien ein Kind gebärt, palavert Gerhart über den Kosmos und nimmt die Geburt nicht einmal wahr. Erwartbar entzieht er sich auch den folgenden Notwendigkeiten wie dem Windelwechsel („Ich mach das, aber nicht jetzt“), während die strukturiertere Marie die nötige Literatur gelesen hat: „Die wichtigsten Fehler rund ums Baby“.

Günther-Rühle-Preis geht an Lucia Kotikova

Im Anschluss an die letzte Aufführung der diesjährigen Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler wurden wie in jedem Jahr die drei mit Spannung erwarteten Preisträger bekanntgegeben. Die Schülerinnen-Jury und die Jury für den Günther-Rühle-Preis berieten sich noch unmittelbar im Anschluss an das Stück.

Bürgermeisterin Christine Klein bezeichnete die drei zurückliegenden Wochen mit herausragenden Theaterstücken als große Bereicherung, die allerdings nur dank des Engagements vieler Beteiligter überhaupt möglich gewesen seien. Sie dankte insbesondere den Mitgliedern der Jurys, den Mitarbeitenden von Stadtkultur und Parktheater sowie der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, die die Gesamtverantwortung trägt.

Die Bürgermeisterin wies auch auf die tiefe Haushaltskrise hin, in der sich die Stadt befinde. Eine Veranstaltung wie das Theaterfestival sei nur durch Sponsoring möglich. Klein dankte für die Unterstützung der Finanzierung durch die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, der Sparkasse Bensheim, der Jubiläumsstiftung der Sparkasse Bensheim, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Bürgerstiftung der Stadt Bensheim, dem Eigenbetrieb Stadtkultur und dem Bergsträßer Anzeiger.

Auf der Grundlage der digitalen Abstimmung des Publikums jeweils im Anschluss an die einzelnen Stücke war der Publikumspreis ermittelt worden. Auf den ersten Platz kam Lilly-Marie Vogler mit ihrer Solo-Performance „Iphigenies Rache“. Die Bürgermeisterin überreichte ihr eine Trophäe, die vom Team des Parktheaters selbst entworfen und gebaut worden war. Den zweiten und dritten Platz belegten „Das schweigende Mädchen“ des Mozarteums Salzburg sowie mit „Blutbuch“ das Solo von Lucia Kotikova für die Bühnen Bern.

Ein Pokal aus Schokolade als Preis der Schülerinnen- und Schülerjury des AKG Bensheim unter Leitung von Raphael Kassner ging an „Das schweigende Mädchen“. Die Jury lobte die Harmonie in der Gesamtdarstellung, die Zugänglichkeit und Kohärenz der Inszenierung sowie deren Relevanz: „Das Stück hat gezeigt, dass der Prozess aktueller ist denn je.“

Die Jury des Günther-Rühle-Preises mit Christiane Altenburg, Paul Berg und Florian Krumb würdigte alle gezeigten Stücke als herausragende Inszenierungen, die nur schwer vergleichbar seien und ließen alle noch einmal zusammenfassend Revue passieren. Als Kriterien für ihre Entscheidung nannten sie unter anderem das Bewusstsein für die spielerischen Mittel, Raumöffnung, Zulassen von Durchlässigkeit und Resonanz. Die Jury bestimmte Lucia Kotikova zur Trägerin des Günther-Rühle-Preises. Ihr virtuoses Spiel habe die Textvorlage von „Blutbuch“ wie eine Linse oder ein Brennglas gebündelt. Jeder ihrer Sätze „landete genau da, wo er hinsollte“. Sie habe „kostbare Intimität hergestellt“ und „erfüllende und schmerzhafte Bilder“ geschaffen, aber „pur und unprätentiös“ auch Unsicherheit erzeugt.

Hans-Jürgen Drescher, Präsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, dankte zum Abschluss auch dem Bensheimer Publikum: „ Ich spüre hier immer eine besondere Zugewandtheit für das, was die jungen Schauspieler leisten.“ Mit Blick auf die beeindruckenden Leistungen aller Ensembles sagte er: „Ums Theater ist mir nicht bang.“

Echte Gespräche kommen jedoch nicht auf. Man monologisiert vor sich hin, in den für die Autorin typischen, angefangenen und selten zu Ende geführten Sätzen. Die Figuren schleudern pausenlos Phrasen von sich, die wir alle aus dem Alltag kennen – und das macht einen Gutteil der Komik des Abends aus.

Das ändert sich auch nicht mit dem Auftritt der anderen Charaktere. Gerharts Mutter Erika (Germaine Sollberger) kommt als Unterstützung bei der Pflege des Neugeborenen ins Haus und verwirklicht sich als Therapeutin nach der Rugel-Methode. Gerharts und Maries Freund Bölsche (Ben Janssen) ist Umweltaktivist („Rettet Waldi!“), dessen gebrochene Gliedmaßen mit seinem verbalen Aktivismus nicht mithalten können.

Und schließlich kommt auch noch Margarethe (Amina Eisner) ins Haus, in die sich Gerhart verkuckt. Margarethes Kreativität erschöpft sich im Schreiben von Überschriften für Textfarmen im Internet. Ihre vermeintliche Unabhängigkeit als digitale Nomadin, die an keinen Ort gebunden ist, wird jedoch durch das WLAN begrenzt („Ich brauche eigentlich nichts. Ich brauche nur das Passwort“). Sie lehnt jegliche Berührung ab („Ich bin glücklich allein“) und ist damit letztliche ein Gegenbild zu den vier anderen: Die geben ein Interesse aneinander nur vor. „Reden wir doch mal über dich, Marie“, sagt Bölsche mit Empathie, während er eilig mit dem Rollstuhl die Bühne verlässt. Alle kümmern sich in Wahrheit nur um sich selbst und um ihre halbherzig verfolgten Lebensentwürfe.

Wie in Gerhart Hauptmanns Original wollen alle alles zugleich haben. Deutlich wird das zentral an der Beziehung zur Natur: Raus aufs Land fürs familiengerechte Wohnen, wo gleich hinter dem Wald die Tankstelle liegt, und ein plakativer Kampf für die Natur, solange es nicht so weh tut wie ein Wespenstich.

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Die zum Teil sehr lauten, aufgeregten Passagen fanden einen Gegenpol in der Musik von Benjamin Junghans. Seine mehrstimmigen Vertonungen von Gedichten Paul Celans setzten als feine gesangliche Einlagen einen ernsthaften Ton in eine mit viel Spieltrieb gestaltete Inszenierung, die mit dem Tod Gerharts und einer Einspielung seines Dokumentarfilms „Wo Drohnen wohnen“ (Schwänzeltanz-Productions) endete. Im Parkett des Parktheaters waren nur wenige Plätze frei geblieben, das Publikum spendete viel anerkennenden Applaus.

Das Nachgespräch moderierte Johanna Wehner, die zuvor auch schon die Einführung mit der Regisseurin und der Dramaturgin Lena Meyerhoff gestaltet hatte.

Das Ensemble dankte den Technikern des Parktheaters für ihr großes Engagement bei der Anpassung der Inszenierung an die Bensheimer Bühnenverhältnisse. Das Gespräch gab unter anderem Einblicke über die Herausforderung, einen Text aus lauter unvollständigen Sätzen zu lernen, aber auch über dessen Musikalität. Wie man einer unsympathischen Figur wie Gerhart als Schauspieler nahekommt, erklärte Levent Kelleli: „Man muss da mit viel Spaß am Grauen reingehen“.

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