Parktheater

Don Quijote im Bensheimer Parktheater

Von 
Thomas Tritsch
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Der Klassiker „Don Quijote“ wurde vom Neuen Globe Theater aus Potsdam als Zwei-Mann-Schauspiel mit Gitarrenbegleitung auf die Bühne gebracht. © Zelinger

Bensheim. Die Figur taucht auf dem Theater immer dann wieder auf, wenn verstaubte Ideologien ins Koma fallen: Don Quijote. Prototyp des chronisch verblendeten Illusionisten, der seine Rolle als heldenhafter Weltbeglücker nur durchhalten kann, weil er überall Unterdrückung, Leid und Bedrohung sieht. Parallelen zur aktuellen weltpolitischen Lage sind rein zufällig.

Der „Ritter von der traurigen Gestalt“ ist ein literarisches Modell, dessen Konzept in Literatur und Theater vielfach nachgeahmt worden. In Miguel de Cervantes’ Original erkennt der Protagonist in Kriminellen gefangene Edelleute, eine Schafherde hält er für eine feindliche Armee, und in Windmühlen wittert er bösartige Riesen. Als er seine Ritterrolle im Kampf verliert, erlebt er einen bitteren Moment der Selbsterkenntnis und stirbt im Augenblick hellster Verstandesklarheit. Vielleicht, weil seine Fantasie aufgebraucht ist.

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„Don Quijote“ ist der erste bedeutsame Roman, der einen Selbstbezug aufbaut und damit die illusionserzeugende Wirkung seines Genres in einem Anflug von distanziertem Realismus thematisiert. Am Ende wird der Ritter sogar mit sich selbst als literarischer Figur konfrontiert.

Das Neue Globe Theater aus Potsdam bringt die Story vom visionären Idealisten und seinem bauernschlauen Realpolitiker Sancho Pansa, der für manche der eigentliche Star der Geschichte ist, als intimes Kammerspiel auf die Bühne.

Zwei Schauspieler, die sich an dem monumentalen Stoff allein durch den Einsatz von Sprache und Körper abarbeiten und dabei eine intensive Spannung erzeugen, die von lakonischem Witz und ironischen Kommentaren ausgarniert wird. Eine reizvolle Inszenierung, nicht ohne Längen, aber in ihrem unkompliziert verspielten Ansatz ein insgesamt kurzweiliges Theatererlebnis.

Kontrast zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Das Schauspiel mit Musik nach einer Bearbeitung von Jakob Nolte in der Übersetzung von Susanne Lange hat am Mittwoch kaum 30 Zuschauer ins Parktheater gelockt. Zu wenig. In einer „Stadt der Schulen“ obendrein, wo man sich als cleverer Oberstufenschüler in hundert schlanken Minuten komplexe Weltliteratur hätte aufsaugen können.

Eine innerschulische Mobilmachung fand aber offenkundig nicht statt. Und so mussten Laurenz Wiegand als Don Quijote und Andreas Erfurth als Knappe vor versprengtem Publikum im hohen Hause das archetypische Komikerduo der Literaturgeschichte geben: ein großer Dünner und ein kleiner Untersetzter, die zwischen Schein und Sein vor sich hin mäandern und als fleischgewordener Kontrast zwischen Wunsch und Wirklichkeit mit Perspektiven jonglieren.

Einziges Requisit auf der Bühne ist ein meterhohes Buch, das auf die antiquierte Idee des Rittertums verweist: Denn erst durch die Lektüre alter Romane legt sich der Junker Don Quijano den romantisch klingenden Namen zu, zieht eine rostige Rüstung an und steigt als fahrender Ritter auf den müden Klepper Rosinante, mit dem er ins Feld zieht, um seine Herzensdame Dulcinea del Toboso zu erobern – ein einfaches Bauernmädchen, das in seinem Kopf zur Edeldame mutiert.

Pantomimisch und akustisch

Ein zielloser Wanderer mit getrübter Linse, den Regisseur Kai Frederic Schrickel als komische Parodie existenzialistischer Ideen inszeniert, die sich wahnwitzig in eingebildete „Aventiures“ stürzt.

Das Duo agiert durchweg präzise und pointiert. Alle Motive des Romans werden pantomimisch und akustisch auf die Bühne gemalt: die anrückenden Herden, die donnernden Windmühlen, die Abendrituale bei der Einrichtung des Nachtlagers, die Andreas Erfurth mit Schliff und physischer Komik auf die Bühne bringt. Nahezu jede Aktion wird live und synchron begleitet von der betont cineastischen Gitarre Rüdiger Krauses, der jede Szene akustisch kommentiert und so eine besondere tragische Dramaturgie erzeugt, die wunderbar mit den Schauspielern korrespondiert.

Nach den Erfahrungen mit dem Theater-Lockdown während der Corona-Krise hatte das Ensemble im vergangenen Jahr eine Pandemie-kompatible Zwei-Mann-Schauspiel-Produktion konzipiert, die sich nah an der Wurzel des künstlerischen Selbstverständnisses orientiert hat: An der Schnittstelle zwischen modernem und elisabethanischem Theater haben die Potsdamer eine reduzierten Fassung eines der epochalsten literarischen Abenteuer inszeniert, das in Wahrheit eine Wahnvorstellung ist.

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Dass zwei Monate nach Shakespeares Geburt die Pest in Stratford ausbrach, ist eine Ironie der Geschichte. Die Londoner Behörden schlossen die Spielhäuser und Versammlungsorte und erteilten den Schauspielern ein Berufsverbot. Während des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts waren die Spielhäuser ebenso oft geschlossen wie sie geöffnet waren.

Doch erzwungene Isolation hat seit jeher große Geister auf Trab gebracht, und letztlich auch Don Quijote in den Sattel geholfen. Im Falle von Cervantes war es die Gefangenschaft. Dass die Sklaverei in Algerien Cervantes’ Hauptwerk sowohl bei der Charakterisierung der Figuren als auch hinsichtlich der Mechanismen von Macht und Machtlosigkeit entscheidend geprägt hat, gilt als unumstritten.

„Die Welt ändern zu wollen, Freund Sancho, ist keine Utopie oder Verrücktheit, sondern Gerechtigkeit“, sagt der traurige Ritter, der den Tod dem Nichts vorgezogen hat. Diesen Geist hat das Theaterensemble in Bensheim sehr plastisch auf die Bühne geholt. Dafür gab es einen (angesichts der wenigen Zuschauer) tröpfelnden, aber recht langen Applaus.

Freier Autor

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