Am Wegesrand

Die "Waldruhe" in Auerbach war einst ein beliebtes Erholungs- und Freizeitheim

Das Haus Waldruhe am Rande von Auerbach war einst ein stattliches Gebäudeensemble, das über viele Jahrzehnte hinweg im 20. Jahrhundert als Erholungs- und Freizeitheim diente.

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Auf der Postkarte aus dem Jahr 1926 sieht man das Haus „Waldruhe“ ohne An- und Umbauten, mit zahlreichen bürgerlich gekleideten Gästen auf Terrasse und den Balkonen. © gemeinfrei

Auerbach. Wer vom Hochstädter Haus auf dem „Sommerweg“ durch das Mühltal Richtung Auerbach läuft, kann – kurz vor der Biegung des Wegs in Richtung der Hauptallee des Fürstenlagers und noch östlich der ehemaligen Villa Leydhecker – seit Jahren beobachten, wie ein einst stattliches Gebäudeensemble dem Verfall anheimgegeben wird. Eine Leserin hat in Reaktion auf den kürzlich in der Reihe „Am Wegesrand“ erschienenen Text zu dem in Auerbach 1926 errichteten Zollingerdach auf die Gebäude des ehemaligen Hauses Waldruhe aufmerksam gemacht.

Das älteren Auerbachern wegen seiner kuriosen Form noch als „Zeppelinbau“ bekannte eingeschossige Haus trägt allerdings kein Zollingerdach, sondern ein Haubendach. Eine ganz ähnliche Konstruktion bedeckt übrigens das als „Butterdos“ bekannte Haus in der Zwingenberger Orbisstraße. Die „Butterdos“ wurde um 1924 als Wohnhaus erbaut, mit einem Haubendach über einem quadratischen Grundriss. Ein solches geschweiftes Haubendach, allerdings auf länglich gestrecktem Rechteck als Grundriss, trägt auch das Gebäude, das eng angrenzend längs des Sommerwegs liegt und 1927 als Anbau zum großen Haupthaus errichtet wurde.

Dieses, heute unter den zahlreichen im Verfall befindlichen Um- und Anbauten nicht mehr zu erkennende, doch in der Substanz noch erhaltene Haus war – wohl in der Mitte des 19. Jahrhunderts – zunächst als Wohnhaus genutzt worden. Um die Wende zum 20. Jahrhundert erwarb es ein in Frankfurt ansässiger, christlich-sozial engagierter Kaufmann und Stifter namens Louis Bernus und schenkte das Haus seiner Tochter Helene zur Hochzeit.

Eine Einrichtung für junge Mädchen

Louis Bernus war unter anderem bekannt für die Einrichtung von Mädchenerholungsheimen. Seine Tochter folgte offenbar seinem Beispiel und eröffnete in dem Haus am 3. Mai 1901 das „Christliche Erholungsheim Waldruhe“, das von einer Stiftung getragen wurde und Platz für 18 Gäste bot. Es sollte jungen Mädchen aus der Großstadt „körperliche und geistige Erquickung bieten“, wie ein Bericht zum 90-jährigen Jubiläum der Waldruhe im vom Kur- und Verkehrsverein Auerbach herausgegebenen „Auerbacher Leben“ referiert.

Dem damaligen Notstand für junge Frauen, die auf sich allein gestellt waren, wirkte gleichzeitig zum Beispiel auch die junge Fürstin Marie von Schloss Schönberg entgegen, die mit einem „Verein der Freundinnen junger Mädchen“ unter anderem gegen Prostitution und Mädchenhandel kämpfte und sich um die Resozialisierung weiblicher Straffälliger bemühte.

In keinem guten Zustand: Ein Blick auf die Rückseite des Zeppelinbaus der „Waldruhe“ heute. © Eva Bambach

Das Angebot im Haus Waldruhe geriet jedoch in Gefahr, als die Inflation der 1920er Jahre das Stiftungskapital zunichtemachte. Doch kaufte der in Worms ansässige Evangelische Verein für innere Mission in Hessen das Haus im Jahr 1924 zum Preis von 275 000 Mark und setzte den Betrieb der Einrichtung fort, berichtet die Schrift „100 Jahre Evangelischer Verein für innere Mission in Hessen“.

Die Leitung übernahm damals zunächst der Rektor der Schlossbergschule. Es wurden von Frühjahr bis Herbst voll zahlende Gäste aufgenommen, während das Haus über die Wintermonate bedürftigen Personengruppen offenstand und Bibelfreizeiten und geistliche Rüstwochen anbot.

Pachtverhältnis statt Rechtsstreit beendet

Mit großformatigen Anzeigen warb die „Waldruhe“ 1926 um Gäste. Man pries die „herrliche Lage am Eingang zum Hochstädter Tal, unmittelbar am Rande eines schönen Hochwaldes“, tägliche Andachten und mäßige Preise. Die Nachfrage war groß und das Haus erwies sich bald als zu klein. 1927 erstellte man den Zeppelinbau auf der Südwestseite des Hauses und auf der Nordostseite entstand bald darauf ein weiterer Anbau, mehrstöckig und ebenfalls direkt an das Haupthaus angrenzend, dieses jedoch überragend.

Der Platzbedarf wuchs weiter. 1937 wurde auch das Haus Wiesengrund auf dem Gelände der ehemaligen Ranzenbergmühle in den Beherbergungsbetrieb einbezogen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Hausinventar für die Ausstattung von Lazaretten gebraucht; 1944 wurden die Räume mit einem aus Frankfurt evakuierten Kinderheim belegt – es kamen um die 100 Kinder samt Betreuungspersonal.

1950 wurde das Ensemble nach einer umfassenden Renovierung wieder für den Freizeit- und Erholungsbetrieb geöffnet. Unter mehreren vom Trägerverein beauftragten Leitungen blieb der Betrieb des Hauses dann über Jahrzehnte bestehen. Das Haus Wiesengrund wurde zum Pflegeheim ausgebaut und auch am Haupthaus, das weiter als Hotel genutzt wurde, wurden immer wieder größere Veränderungen vorgenommen.

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Das Haupthaus wurde unter anderem komplett entkernt; Stroh und Lehm wurden aus den Decken entfernt und aus Schallschutzgründen durch eine Schüttung und Estrichplatten ersetzt. Der Zeppelinbau wurde letztmals 1987/88 renoviert. Damals gab es in der „Waldruhe“ etwa 16 000 Übernachtungen im Jahr (so verzeichnet es der Bericht im „Auerbacher Leben“) in dem im Vergleich zum Zustand des 19. Jahrhunderts erheblich vergrößerten und sicherheitstechnisch ertüchtigten Gebäude – nach Umgestaltungen, die man heute vielleicht anders beurteilt als das, was der Autor des Artikels im „Auerbacher Leben“ im Jahr 1991 „eine vorteilhafte Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes“ nannte.

Schließlich verkaufte der Evangelische Verein für innere Mission in Hessen das Ensemble. Der neue Besitzer verpachtete getrennt vom Pflegeheim das Hotel mit dem dazugehörenden „Zeppelinbau“. Es konnte ab 2009 noch einmal für einige Jahre mit Erfolg betrieben werden, bis nicht eine wirtschaftliche Schieflage, sondern ein Rechtsstreit das Pachtverhältnis beendete. 2013 wurde das Haus – offensichtlich für immer – geschlossen.

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