Bensheim. Stell’ dir vor es ist Warntag – und keiner kriegt es mit. Ganz so schlimm war es im September 2020 zwar nicht, aber unterm Strich war die bundesweite Aktion schon eine ordentliche Katastrophe, weil viele Sirenen stumm blieben. Am 8. Dezember wird nun der zweite Anlauf unternommen, initiiert vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einem Probealarm um 11 Uhr auf diversen Kanälen.
Wie laut und durchdringend es in Bensheim schallt, wird sich zeigen. Aber selbst wenn die Anlagen nicht heulen wie gewünscht: Die Feuerwehr hat für die Zukunft vorgesorgt und die richtigen Weichen gestellt, vor allem, weil man sich mit der Thematik nicht erst seit dem gefloppten Warntag oder der Flut im Ahrtal befasst. In der jüngsten Stadtverordnetenversammlung wurde als nächster Schritt daher folgerichtig ein Sirenenkonzept einstimmig verabschiedet.
Größere Reichweite und Akku
Dadurch können die alten Motorsirenen, die mit einem Ventilator laufen, durch eine elektronische Variante ersetzt werden. Diese haben eine bis zu einem Drittel größere Reichweite, funktionieren dank eines Akkus auch bei Stromausfall noch 72 Stunden bei zehn Alarmierungen und ermöglichen individuelle (und somit bei Bedarf mehrsprachige) Ansagen. „Außerdem können wir damit sämtliche Warnsignale abspielen“, erklärte Stadtbrandinspektor Jens-Peter Karn bereits bei einem Gespräch mit dieser Zeitung im Sommer.
Um das komplette Stadtgebiet abzudecken, sind laut einer sogenannten Beschallungsanalyse 25 Anlagen notwendig, die entweder umgebaut oder komplett neu errichtet werden müssen. In dieser Zahl enthalten sind die Sirenen auf dem Parkhaus Süd, dem Feuerwehrstützpunkt und dem Rathausdach. Feuerwehr- und Parkhaus wurden schon umgestellt, der Auftrag für den Verwaltungssitz in der Kirchbergstraße ist erteilt und soll Ende dieses Jahres umgesetzt werden.
Im Westen von Bensheim und Auerbach weist das Netz nach Angaben der Fachleute erhebliche Lücken auf, weil es nicht an die wachsende Bebauung angepasst worden sei. Aus diesem Grund hat die Feuerwehr eine Prioritätenliste erstellt. An Position eins steht die Mastsirenen in der Mierendorfstraße 20 am Hochbehälter in Auerbach. Danach kommt die Anlage auf der Joseph-Heckler-Schule an die Reihe, bevor es in Absprach mit der Fachfirma in die Stadtteile geht. Bis 2024 sollen die Umrüstungen abgeschlossen sein. Der Zeitplan hängt jedoch stark von der Verfügbarkeit der Spezialisten ab, die deutschlandweit gefragt sind und aktuell volle Auftragsbücher haben.
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Neben dem Umbau sollen darüber hinaus neue Standorte erschlossen werden – was nicht so einfach ist. Eventuell müssen Verhandlungen mit Grundstückseigentümern geführt werden, wenn sich das Gelände nicht in städtischer Hand befindet. Kalkuliert wurde mit neun Anlagen in folgenden Bereichen: Schillerstraße/Herrmann-Löns-Straße sowie Weserstraße/Schillerstraße in Auerbach, in Bensheim Nibelungenstraße 85, Sparkassen-Allee, An der Hartbrücke, Rudolf-Diesel-Straße und Heidelberger Straße/B 3. In Langwaden planen die Verantwortlichen mit einer Mastsirene am Feuerwehrgerätehaus, in Schönberg im Neubaugebiet Seeberg (ehemals CBM).
Läuft alles reibungslos, könnte das Großprojekt 2026 abgeschlossen sein. Die Kosten belaufen sich – Stand jetzt – auf insgesamt 560 000 Euro, aufgeteilt auf die Haushaltsjahre 2023 und 2024.
Aus dem Konzept geht auch hervor, dass man zehn Standorte aufgeben kann, sobald das neue Netz eng geknüpft ist. Das betrifft in Auerbach die Darmstädter Straße und die Schlossstraße, in Bensheim die Rheinstraße und die Mannheimer Straße sowie die Odenwald- und Friedhofstraße. In Fehlheim könnte die Mastsirene an der Rodauer Straße verschwinden, in Gronau die Dachsirene Am Römer, in Langwaden die Anlage an der Jägersburger Straße und in Schwanheim an der Rohrheimer Straße.
Der Abbau wird durch die höhere Reichweite der elektronischen Varianten und die bessere Verteilung der Sirenen im Stadtgebiet ermöglicht. „Die Anlagen befinden sich zudem nicht in kommunaler Hand. Obwohl derzeit keine größeren Probleme bestehen, könnte es bei Eigentümerwechsel oder Änderung der Nutzung eines Gebäudes zu Schwierigkeiten in der Erschließung kommen“, teilte die Verwaltung mit.
Fest steht aus Sicht der Feuerwehr aber auch, dass das Netz erweitert werden muss, wenn weitere Neubaugebiete Bensheim wachsen lassen.
Zusätzlich müssen – wie berichtet – die Sirenensteuergeräte auf den Digitalfunk Tetra umgerüstet werden. Sonst herrscht irgendwann Funkstille, wenn das Land Hessen die analogen Frequenzen kündigt. Bensheim ist allerdings auf einem guten Weg, zumal man schon 2008 der Einkaufskooperation des Landes beigetreten ist, was preislich von Vorteil ist und die bürokratischen Vorgänge erleichtert. Am Ende des Vorhabens kann die Leitstelle Bergstraße dann die Sirenen in Bensheim direkt ansteuern, eine manuelle Alarmierung gehört dann in der Regel der Vergangenheit an.
Immer gut vorbereitet
Mit Blick auf den Warntag kurz nach Nikolaus ist das Sirenen-Gesamtpaket noch Zukunftsmusik. Durch die gute und umsichtige Vorarbeit der Feuerwehr – dazu zählt auch, dass Bensheim in früheren Jahren unter dem damaligen Stadtbrandinspektor Willi Plaschke keinen Sirenen-Kahlschlag betrieben hat – können die Bürger aber künftig davon ausgehen, im Falle einer Katastrophe rechtzeitig aus dem Schlaf oder dem Alltagstrott gerissen zu werden.
Ohnehin stehen die Verantwortlichen um Jens-Peter Karn nicht im Verdacht, sich mit guten Wünschen und dem Prinzip Hoffnung auf potenzielle Gefahrensituationen vorzubereiten. Das zeigte sich zuletzt bei der Präsentation des Stufenkonzepts für einen längeren Stromausfall (wir haben bereits berichtet). „Wir planen für den Fall, der hoffentlich nie eintritt“, betonte Karn damals.
Gleiches gilt im Prinzip für die Sirenen. Hören will man sich eigentlich nur dann, wenn mal wieder ein Testlauf gestartet werden muss.
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